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Der Druck, nach dem Lockdown gut aussehen zu müssen, macht mich verrückt

Illustration: Megan Drysdale
Mit der Einführung der Impfstoffe kam ein Gefühl der Hoffnung auf. Obwohl es noch eine Weile dauern wird, bis wir uns alle impfen lassen können, hält uns dieser Hoffnungsschimmer bei Laune. Mit diesem Hintergrund steigt auch die (zaghafte) Aufregung, andere in naher Ferne wieder ohne Einschränkungen persönlich treffen und – für einige – ins Büro zurückkehren zu können. Der etwas unangenehme Beigeschmack: der soziale Druck, nach dem Lockdown gut aussehen zu müssen.
Als ob es nicht schon stressig genug sei, sich ständig unterschiedlichen Ansteckungsrisiken bewusst sein und diese vermeiden zu müssen, und sich darüber den Kopf zu zerbrechen, ob wir uns überhaupt noch etwas zu sagen haben, herrscht jetzt auch noch der Druck, nach dem Lockdown in Topform sein und Köpfe zu verdrehen zu müssen. Unzählige Memes machen sich lustig darüber, wie schlimm unser Kleidungsstil in der Zwischenzeit geworden ist, wie sehr wir in den letzten Paar Monaten gealtert sind und wie viel wir seit dem Ausbruch der Pandemie zugenommen haben. In den sozialen Medien wird bereits überall von einem #hotgirlsummer gesprochen. Wie soll man da nicht in Panik geraten?
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Wer auf Instagram etwas sucht, das auch nur im Entferntesten mit Schönheit zu tun hat, wird mit Anzeigen überhäuft, die erklären, was man gegen ein „Lockdown-Gesicht“ tun kann und wie man graue Haare abdeckt. Beauty-Marken und Salons verschwendeten keine Zeit damit, Behandlungsangebote zusammen mit unzähligen Vorher-Nachher-Bildern anzupreisen. Je mehr du klickst, desto mehr davon kriegst du natürlich zu Gesicht. Werbetreibende sind aber nicht die Einzigen, die angstmachende Vorher-Nachher-Vergleiche anstellen. Mein Handy war in letzter Zeit besonders gut darin, mir unaufgeforderte Fotomontagen zu zeigen. Wo bitte bleibt mein Streichquartett-Soundtrack im Hintergrund, während ich darüber nachdenke, ob ich mitgenommener, älter, trauriger oder ungepflegter aussehe als auf den Selfies vom letzten Jahr um diese Zeit herum?

Kleine Eingriffe erfreuen sich großer Beliebtheit

Seit Monaten träumen viele von uns von dem Moment, in dem wir uns von einer Raupe in einen Schmetterling verwandeln werden. Es scheint aber, dass wir dazu mehr als nur eine Mani-Pedi brauchen werden. Ich habe Freund:innen, die bereits eine ganze Liste mit Behandlungen erstellt haben, denen sie sich unterziehen wollen – von Mikrodermabrasions-Gesichtsbehandlungen bis hin zu CoolSculpting für einen schnellen Gewichtsverlust. Damit sind sie nicht alleine. In den letzten Paar Wochen ist das Interesse an nicht-chirurgischen Eingriffen (zu denen Behandlungen mit Fillern und Botox gehören) immens angestiegen. Das Telefon des Schönheitschirurgen Dr. Vincent Wong klingelt wie verrückt, da alte und neue Kund:innen sicherstellen wollen, noch vor dem Sommerbeginn einen Termin zu ergattern.
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Dr. Wong erklärt, dass bei Patient:innen in ihren 20ern und 30ern Botox- und Hyaluronsäure-Injektionen am beliebtesten seien, dicht gefolgt von Lippen-Fillern. Was hat es aber damit auf sich, dass in letzter Zeit die Zahl der Interessierten zugenommen hat, die noch gar keine Erfahrung mit solchen Eingriffen haben? „Die meisten Frauen tragen [während des Lockdowns] kein Make-up, sodass sie feine Linien, Verfärbungen – alles, was sie vorher mithilfe von Make-up kaschierten – zum ersten Mal bemerken“, sagt Dr. Wong. Laut einer Studie von No7 tragen 82 Prozent der Frauen weniger Make-up und 56 Prozent wählen einen minimalistischeren Look für Videogespräche während der Pandemie.

Früher konnten wir mit Freund:innen bei einem Drink über unsere Unsicherheiten sprechen. Jetzt müssen wir ihnen allein, isoliert in unseren eigenen vier Wänden, ins Auge sehen, was sich nicht unbedingt positiv auf unsere ohnehin schon instabile Gemütslage auswirkt.

Filler sind schon seit einiger Zeit sehr beliebt bei jüngeren Menschen. Durch den Lockdown hat sich die Kundschaft, die kleine Eingriffe dieser Art durchführen lässt, aber etwas verändert. Ashton Collins, Co-Direktor von Save Face, spricht über den so genannten „Zoom Boom“: „Immer mehr Frauen, die mit beiden Beinen fest im Berufsleben stehen, zeigen ein Interesse an solchen Behandlungen. Das hat damit zu tun, dass sie jetzt ständig Videogespräche führen müssen, die – lass uns ehrlich sein – keinem von uns schmeicheln.“ Ashton fügt hinzu: „Viele fragen nach Botox, um etwas frischer auszusehen.“

Wir vergleichen uns ständig mit anderen

Neben diesen Eingriffen planen viele von uns bereits Friseur- und Nagelstudiobesuche ein. Obwohl diese Form von Selbstfürsorge Spaß macht und es dir ermöglicht, dich gut zu fühlen und dementsprechend auszusehen, ändert sich damit nichts an der Tatsache, dass uns die unrealistische Erwartung stresst, nach dem Lockdown zu Köpfe verdrehen.
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Die 21-jährige Lauren will sich nicht nur ihre Haare und Nägel machen und ihre Wimpern verlängern lassen, sondern zieht auch Lippen-Filler in Erwägung. „Meine Oberlippe ist wirklich dünn. Wenn ich lächle, ist sie kaum sichtbar. Da die meisten Frauen in meinem Alter aufgespritzte Lippen haben, fällt dieser Makel jetzt noch mehr ins Auge. Auf Gruppenbildern gefalle ich mich mir deshalb nie.“ Lauren ist nicht die Einzige, die sich mit ihren Freundinnen vergleicht. Die 28-jährige Georgia* glaubt, dass sich diese Tendenz verstärken wird, sobald der Lockdown aufgehoben wird. „Ich weiß jetzt schon, dass ich auf unzähligen Fotos zu sehen sein werde, sobald wir wieder ausgehen können“, sagt sie. „Der Gruppenzwang, alle Blicke auf uns zu ziehen, wenn alles zu seinem Normalzustand zurückkehrt, macht mir echt zu schaffen. Es fühlt sich so an, als sich ob alle Personen in meinem Umkreis gerade auf diesen Moment vorbereiten würden – egal ob es dabei um kosmetische Behandlungen oder kleinere Eingriffe geht. Seitdem mehr und mehr Leute Impfungen erhalten, kann man sich auf Instagram gar nicht mehr vor Anzeigen, die einen Post-Lockdown-Glow-up versprechen, retten. Vor allem Lippen-Filler werden jetzt mehr denn je beworben. Obwohl ich sie mir im Moment nicht leisten kann, spiele ich mit dem Gedanken, mich einem solchen Eingriff zu unterziehen – vor allem deshalb, weil sich alle anderen auch die Lippen aufspritzen lassen.“
Kleine Eingriffe können großartig sein, wenn sie auf sichere Weise durchgeführt werden. Wenn du eine bestimmte Behandlung in Betracht ziehst, zahlt es sich aus, Recherchen darüber anzustellen. Zudem solltest du dich wirklich nur dafür entscheiden, wenn du es auch tatsächlich willst. Lass lieber die Finger davon, wenn du es tun willst, da du dich unter Druck gesetzt fühlst oder das Gefühl hast, dass du etwas ändern solltest. Dr. Wong empfiehlt, das Beratungsgespräch (eine Voraussetzung für eine gute Behandlung) mit Behandelnden zu nutzen, um alle deine Wünsche und Sorgen zu besprechen. „Halte dich nicht zurück und bring alle deine Bedenken zur Sprache“, sagt er. „Egal, wie klein oder seltsam etwas auch klingen mag, Fachärzt:innen haben Erfahrung im Umgang mit diesen Themen. Es gibt also nichts, was Patient:innen sagen könnten, das uns überraschen würde.“ Dein Arzt oder deine Ärztin wird dann in der Lage sein, eine für dich geeignete Behandlung zu empfehlen. Wenn das, was du brauchst, nicht angeboten werden kann, werden anständige Behandelnde deine Anfrage abweisen.
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Von Instagram-Interaktion zurück ins echte Leben

Abgesehen davon, dass wir uns jetzt ständig mit anderen vergleichen, erhöht die Beliebtheit neuer Skin-Tracking-Apps, Beauty-Tutorials auf TikTok und Reels auf Instagram den Druck, nach dem Lockdown attraktiv zu sein. Es wird gezeigt, wie du deine Lippen größer erscheinen lassen oder Körperbehaarung beseitigen kannst. So entdecken wir nur Zusätzlliches, das wir an uns selbst zu kritisieren könnten. Pausenlos mit solchen digitalen Botschaften bombardiert zu werden, wirkt sich nachteilig auf unsere ohnehin schon instabile Beziehung zwischen unserer eigenen Körperwahrnehmung und unserer psychischen Gesundheit aus. Diese wurde aufgrund der Pandemie bereits sowieso schon mehr als genug in Mitleidenschaft gezogen. Früher konnten wir mit Freund:innen bei einem Drink über unsere Unsicherheiten sprechen. Jetzt müssen wir ihnen allein – isoliert in unseren eigenen vier Wänden – ins Auge sehen, was sich nicht unbedingt positiv auf unsere ohnehin schon instabile Gemütslage auswirkt. Viele Frauen haben das vergangene Jahr damit verbracht, die Beziehung zu ihrem Aussehen und ihrem Körper zu stärken, ohne sich dabei von gesellschaftlichem Druck geschlagen zu geben. Mit der Rückkehr zur Normalität und den hohen Erwartungen an uns könnten damit verbundene Unsicherheiten diese positive Entwicklung bremsen oder zum Stillstand bringen.

Viele Frauen haben das vergangene Jahr damit verbracht, die Beziehung zu ihrem Aussehen und ihrem Körper zu stärken, ohne sich dabei von gesellschaftlichem Druck geschlagen zu geben. Mit der Rückkehr zur Normalität und den hohen Erwartungen an uns könnten damit verbundene Unsicherheiten diese positive Entwicklung bremsen oder zum Stillstand bringen.

Nalea, 33, fällt der Alterungsprozess ihrer Haut seit der Pandemie viel mehr auf. Sie findet auch, dass das Internet einen wesentlichen Beitrag dazu beigetragen hat. „Ich habe mehr Zeit, um in den sozialen Medien herumzuscrollen. Außerdem nehme ich jetzt wegen all dieser Filter mein Gesicht viel genauer unter die Lupe“, sagt sie. „Ich war eigentlich immer schon zufrieden mit meinem Aussehen. Meine Haut aber bereitet mir Kopfschmerzen.“ Nalea zieht eine Profhilo-Behandlung mit Hyaluronsäure in Erwägung. Zudem hat sie sich auch über andere Prozeduren wie z.B. Microneedling schlaugemacht. „Da sich die Situation langsam zum Besseren wendet, habe ich damit angefangen, über unterschiedliche Optionen nachzudenken“, fügt sie hinzu. Auch Jamieson, 34, versucht dahinterzukommen, warum sie für die Post-Lockdown-Zeit Änderungen an ihrem Äußeren durchführen lassen will. „Meine Selbst- und Körperwahrnehmung hat sich tatsächlich verbessert“, sagt sie. „Ich erstellte einen TikTok-Account. Davor hatte ich mich nie wirklich selbst gefilmt. Als ich mich dann schließlich selbst sah, sind mir meine Stirnfalten zum ersten Mal so richtig ins Auge gestochen.“ Jamieson war bereits bei einem Beratungsgespräch. Sie hat aber noch keine Entscheidung getroffen. Sie sagt: „Ich hoffe, meine Entscheidung beruht darauf, was ich tatsächlich möchte und nicht darauf, dass ich in einer Welt lebe, die jung aussehende Frauen schätzt.“
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Stress wirkt sich auf unsere Haut aus

Abgesehen davon, dass uns Fältchen jetzt stärker auffallen, hat sich der Lockdown und der damit verbundene emotionale Stress auch auf die Gesundheit unserer Haut ausgewirkt. Die Psychodermatologin Dr. Alia Ahmed, die sich auf Haut und psychische Gesundheit spezialisiert hat, hat beobachtet, dass ihre Patient:innen vermehrt unter stressbedingtem Haarausfall (bekannt als Alopecia areata), sowie Akne und Ausschläge im Gesicht leiden. Das kann Personen, denen das Aussehen ihrer Haut sehr wichtig ist, extrem aus dem Gleichgewicht bringen. Immerhin können Hautprobleme einen große Einfluss auf die Psyche haben. Es kann sich ganz schön überwältigend anfühlen, von sozialen Medien ständig mit ästhetischer Perfektion überschwemmt zu werden. Der Druck, Haare und Haut in Topform zu bringen und mit einem klaren, strahlenden Teint aus dem Lockdown hervorzukommen, sollte nicht unterschätzt werden.
Unsere Beauty-Redakteurin Jacqueline kann ein Lied davon singen. „Da ich an PCOS (polycystic ovary syndrome, zu Deutsch: polyzystische Ovarial- oder Ovarsyndrom) leide und Angst vor der Rückkehr zur Normalität habe, sieht meine Haut im Moment dementsprechend schlecht aus“, sagt sie. „Ich bin ein wenig beunruhigt darüber, dass ich vielleicht mit Pickelchen ins Büro zurückzukehren muss. Das ist mir deshalb besonders unangenehm, weil ‚Sommer-Glow‘ oder Haut, die ‚ready für den Sommer‘ ist, doch so wichtig in der Schönheitsbranche sind. Wir alle haben bereits so viel um die Ohren, dass sich der Druck, toll oder ‚besser als vorher‘ auszusehen, unerträglich anfühlt – vom Kostenfaktor ganz zu schweigen.“
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Das unsichtbare „Soll“ – ob es nun vom Gruppenzwang, den sozialen Medien oder dem Bedürfnis, etwas zu verändern, herrührt, wird uns die Freude rauben, wenn wir es zulassen.

Viele, die an einer bestehenden Hauterkrankung wie Schuppenflechte, Akne oder Ekzemen leiden, können bestimmt bestätigen, dass sich ihre Symptome aufgrund von Stress, der mit der Pandemie zu tun hat, verstärkt haben. Während einige Hautprobleme verschwinden werden, sobald unsere Leben wieder ihren normalen Lauf nehmen, sagt Dr. Ahmed, werden jene, die stressbedingt sind, wohl aber noch lange, nachdem der zusätzliche Stress nachgelassen hat, anhalten. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit negativer Auswirkungen auf die psychische Gesundheit bei Menschen mit Hautkrankheiten höher, fügt sie hinzu. Dr. Ahmed rät dazu, Hausärzt:innen oder Dermatolog:innen zu Rate zu ziehen. Außerdem hält sie es für eine gute Idee, über die Beziehung zu unserer Haut nachzudenken. Es ist unwahrscheinlich, dass die milliardenschwere Schönheitsindustrie damit aufhören wird, uns mit Bildern von makellosen Gesichtern zu bombardieren. Ein positives Umfeld zu schaffen, ist aber ein guter Anfang. Vielleicht ist die Zeit gekommen, Promis mit perfekter Haut einfach nicht mehr zu folgen und dir selbst eine dringend benötigte Pause zu gönnen.

Alles hat sich verändert, auch unser Aussehen

Es lässt sich nicht leugnen, dass die letzten Monate sehr belastend waren. Alles ist anders. Warum sollten wir also erwarten, dass wir genauso aussehen wie noch vor einem Jahr? Wir mussten so viele Herausforderungen bewältigen – von Einsamkeit über Arbeitslosigkeit bis hin zu Trauer. 44 Prozent der Frauen zwischen 25 und 34 Jahren finden, dass sie wegen des Lockdowns älter aussähen. Die Pandemie ist alles andere als ein Spaziergang gewesen und das hat sich nun mal auf unser Aussehen ausgewirkt. Das ist ja auch völlig normal.
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Ich habe beschlossen, mir ein Beispiel an den Prinzipien der Körperneutralität zu nehmen. Deshalb versuche ich, mich auf das zu konzentrieren, was mein Körper erreicht hat, und nicht darauf, wie „gut“ er aussieht. So kann ich negative Gedanken im Keim ersticken, während ich mich auf die Rückkehr zur Normalität vorbereite. Das unsichtbare „Soll“ – ob es nun vom Gruppenzwang, den sozialen Medien oder dem Bedürfnis, etwas zu verändern, herrührt, wird uns die Freude rauben, wenn wir es zulassen. Das Gesicht, das Freund:innen während endloser Videotelefonate das Gefühl vermittelte, nicht allein zu sein, die Augen, die sich an den kleinsten Dingen erfreuten, die Haut, die mir klar zu verstehen gab, wenn alles zu viel wurde, wird das gleiche Gesicht sein, dass ich in einem Schaufenster sehen und mir dabei denken werde: „Ich reiche vollkommen aus“, während ich zum nächsten Ort, an dem ich erwartet werde, eile.
Hoffentlich genießen wir unsere Face-to-Face-Zeit mit den Menschen, die uns am Herzen liegen, so sehr, dass die neueste gesellschaftliche Definition von „perfekt“ völlig an uns abprallt. Und wie schlimm sind schon Lachfalten, stimmt's?
*Namen wurden von der Redaktion geändert.

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