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Mit 29 wurde bei mir Vulvakrebs diagnostiziert & so lebe ich heute damit

photographed by Ruby Woodhouse.
Angefangen hat es mit Juckreiz. Nur ein kleines, unangenehmes Gefühl – wie bei einem eingewachsenem Haar. Vielleicht ist es ein Scheidenpilz oder ein Schnitt nach der Rasur? Es kann aber genauso gut eine allergische Reaktion sein oder aber meine Jeans sind mal wieder zu eng. All diese Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, als ich versuchte herauszufinden, was bei mir da unten nicht stimmte. Eines Nachts traute ich mich dann zwischen meine Beine zu fassen und entdeckte diese kleine Wölbung an meiner Klitoris – das Ding war nicht größer als ein Reiskorn.
Es ist bestimmt nur eine Fleischwarze oder eine Zyste, dachte ich mir in diesem Moment noch. Immerhin gab es keinen Grund zur Sorge. Jede*r Mensch mit einer Vulva kann mit solchen kleinen Problemen irgendwann im Leben konfrontiert werden, stimmt’s? Ich kaufte mir neue Unterwäsche, was den Juckreiz glücklicherweise linderte und dann konnte ich wie gewohnt weiter machen. Der Juckreiz war weg, aber das Geschwür wurde trotzdem immer größer – irgendwann hatte es die Größe eines Pickels und ich hatte schon Bammel vor dem Tag, an dem es aufplatzen würde. Um auf Nummer sicher zu gehen, verzichtete ich die nächsten Wochen darauf, meine Beine übereinander zu schlagen. 
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Während die Wochen vergingen, wuchs dieses lästige Etwas weiter und bei jeder noch so kleinen Berührung schmerzte es leicht. Mein ganzer Intimbereich war so empfindlich, ich fing sogar an meinen Freund wegzustoßen und versteckte mich lieber unter der Deck, als mit ihm intim zu werden – an Sex war überhaupt nicht zu denken. Letztendlich blieb mir also nichts anderes übrig, als zu meiner Frauenärztin zu gehen. Kurz drauf geschaut erklärte sie mir, es wäre eine Warze und verschrieb mir direkt eine dicke, stinkende Salbe, die ich jeden Tag auftragen sollte. Zuhause verkündete ich meinem Freund die Hiobsbotschaft, damit er sich auch untersuchen lassen konnte.
Zwei Wochen später war die Tube leer, die Warze aber war immer noch da. Also war noch ein Besuch bei der Frauenärztin fällig und diesmal überwies sie mich in eine Spezialklinik. Gleich mehrere Ärzt*innen untersuchten mich dort. Sie inspizierten die Stelle und drückten an dem Geschwür herum, während ich verständlicherweise Panik bekam. Was war da unten bloß los?!
Keine*r der anwesenden Ärzt*innen konnte mir klar sagen, was ich denn nun hatte, aber sie waren sich doch irgendwie einig, dass es nur eine Zyste sein konnte. Und da sie nicht wirklich etwas dagegen tun konnten, wurde ich wieder nach Hause geschickt. Innerhalb von ein paar Monaten wuchs das Ding zwischen meinen Beinen aber auf die Größe eines Fingernagels heran. Weshalb ich zum zweiten Mal in die Klinik ging – diesmal verließ ich sie aber unter Tränen. „Was es auch ist, es muss so schnell es geht entfernt werden“, sagte mir ein sehr besorgter Arzt. Er schickte mich zur Gynäkologie-Abteilung, wo ich trotz des Verdachts auf Krebs zwei Wochen auf einen Termin warten musste.
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Was es auch ist, es muss so schnell es geht entfernt werden

Ich wünschte, ich hätte nie den Schmerz der Narkosespritze an meinen Schamlippen spüren müssen. Der Geruch, als meine Genitalien verbrannt wurden, um die Blutung zu stoppen, ist mir immer noch in der Nase. Vor diesem Tag, hatte ich keinen Operationssaal von innen gesehen. Die Ungewissheit darüber, was mich erwartet, verstärkte meine Angst nur noch mehr. Deshalb entschied ich mich für eine Operation („ein kleiner Eingriff“ nannte es ein junger Arzt, der definitiv keine Vulva hat) mit örtlicher Betäubung. Dafür sprach, dass ich gleich nach der Operation wieder das Krankenhaus verlassen konnte; Der Nachteil dagegen: Ich musste über meine eigene Blutlache steigen, um den Operationssaal zu verlassen. 
Die Wunde heilte schnell und recht schmerzlos, was ich anscheinend meinem Alter zu verdanken habe. Drei Wochen nach meiner Operation ging ich zur routinemäßigen Folgeuntersuchung und hoffte, dass mir vielleicht jetzt jemand sagen konnte, was wirklich bei mir los war. 
Ja, das konnten sie, aber das, was sie sagten, war schockierend und irritierend zugleich: Ich hatte Vulvakrebs. Äh, was? Vulvakrebs ist eine der fünf gynäkologischen Krebsarten. Weil sie so selten auftritt, ist sie den meisten Menschen aber nicht so bekannt. Dieser Krebs macht gerade einmal vier Prozent aller Genitalkrebse aus. Durchschnittlich erkranken jährlich zwei von 100.000 Menschen mit einer Vulva daran. Das Risiko steigt aber im Alter an: Während es bei den unter 30-Jährigen nur 0,4 von 100.000 sind, leiden bei den 70-Jährigen ganze 20 von 100.000 Menschen an Vulvakrebs. 
Die Vulva-Haut kann von den gleichen Arten von Hautkrebs betroffen sein, bei anderen Hautpartien und entfernen kannst du den Krebs nur, in dem du ihn herausschneiden lässt. Nach der Diagnose wurde ich mehrmals operiert, um Reste und Rückfälle zu beseitigen. Die letzte Operation war meine schwierigste: Ich hatte eine vordere Vulvektomie, bei der die Oberseite meiner Vulva vollständig entfernt wurde – und ich verlor meine Klitoris.
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Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, was wirklich geschehen war. Eines Tages unter der Dusche nahm ich all meinen Mut zusammen und fasste meine Vulva an. Da wurde mir endlich klar, was mit mir passiert war. Ich war buchstäblich zugenäht worden. Meine Sexualität wurde mir genommen und wie ich mich deswegen fühlte, hätte ich am liebsten in die Welt geschrien. Doch meine Erfahrung war so intim, dass selbst meine Familie nicht darüber reden konnte und wollte. Es gingen Gerüchte herum und manche behaupteten, ich wäre gar nicht wirklich krank. Meine fröhliche Fassade überspielte die Tatsache, dass ich mich fast jede Nacht in den Schlaf weinte. Nur mein Freund kannte die Wahrheit: Ich fühlte mich hässlich und deformiert und mein Sexualtrieb existierte quasi nicht mehr.
Erst nach Monaten konnte ich die Energie aufbringen, wieder mein Leben zu genießen. Ich ging zur Therapie – meine psychosexuelle Therapeutin half mir dabei, wieder Vertrauen in mich und meinen Körper zu haben. Ich scherze zwar immer, mein Freund und ich würden eine Sextherapie machen, aber ehrlich gesagt habe ich meinen jetzigen, guten Zustand meiner Therapeutin zu verdanken. Natürlich bin ich noch nicht vollkommen zufrieden mit meinem Sexleben, aber ich sehe die Dinge jetzt viel optimistischer.

Ich fühlte mich hässlich und deformiert und mein Sexualtrieb existierte quasi nicht mehr

Ich wünschte, meine Story würde hier schon enden, aber leider ist das nicht der Fall. Gerade als ich dachte, die Dinge würden wieder besser laufen, kam der Krebs zurück – und diesmal hatte er sich auf andere Organe ausgeweitet. Ich wurde knallhart daran erinnert, dass Hautkrebs eben nicht nur Hautkrebs ist. Selbst wenn du das Geschwür herausschneidest, kann er zurückkommen und wachsen. Mein Krebs ist jetzt nicht mehr heilbar, das heißt im Klartext, dass er mich irgendwann töten wird.
Mein Ratschlag an dich ist also: Lerne deine Vulva kennen. Lerne, was normal ist und wann etwas da unten nicht so ist, wie gewohnt – lästiger Juckreiz, eine veränderte Hautfarbe, Muttermale oder aber kleine Geschwüre können Anzeichen für einen Vulvakrebs sein. Wenn du irgendwelche Sorgen rundum deine gynäkologische Gesundheit hast, zögere nicht diese deinem Frauenarzt oder deiner Frauenärztin anzuvertrauen. Und bleibe dabei hartnäckig! Du kennst deinen Körper am besten. Wenn deine Symptome nicht binnen paar Wochen verschwinden oder sogar neue dazukommen, geh in die Praxis und verlange, dass man dich nochmal untersucht!
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