Yoga. Bevor ich damit anfing, hatte ich völlig falsche Vorstellungen davon, was das eigentlich ist. Ich dachte an esoterischen Hokuspokus, kundgetan von der säuselnden Stimme einer mit Mandalas tätowierten Übungsleiterin. Dazu eine Handvoll barfüßiger Kursteilnehmer*innen, die eine Stunde lang ihre Extremitäten in die Luft strecken und fertig. Bis ich irgendwann den Versuch unternahm, es selbst auszuprobieren, um festzustellen, dass ich mich gewaltig geirrt hatte.
Aller Anfang ist schwer. Ganz abgesehen davon, dass meine Anatomie mit den meisten Übungen, den sogenannten Asanas, leider unvereinbar zu sein schien, stellte mich vor allem der Meditationsaspekt des Yogas vor eine riesige Herausforderung. Aufkommende Gedanken, so hieß es, möge man lediglich registrieren, dann aber einfach weiterziehen lassen. Für mich in etwa so einfach wie einen ausgewachsenen Gorilla zu domestizieren. Mein Yogalehrer verglich das mit den Gedanken einmal so: „Du sitzt am Bahnsteig auf einer Bank. Ein Zug fährt ein, der exemplarisch für einen Gedanken steht. Du siehst ihn, steigst aber nicht zu. Und irgendwann verlässt er den Bahnhof, deinen Kopf, wieder – ohne dich.“
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Yoga ist mehr als nur esoterischer Hokuspokus im Spagat
Je öfter ich mich auf die Yogamatte wagte und je mehr ich mich auf das ganzheitliche Konzept des Yogas einließ, desto leichter fiel es mir, diese Beobachterposition einzunehmen. Mich am Bahnhof auf die Bank zu setzen und den Zug einfach nur ein- und ausfahren zu sehen. Mittlerweile gelingt mir das nicht nur, während ich mich auf meiner Matte kunstvoll in grazilen Asanas verliere, sondern immer öfter auch in alltäglichen Situationen. Wenn ich Notiz davon nehme, dass ich drauf und dran bin, einem, oft negativen, Gedanken zu folgen, setze ich ihn in ein beliebiges Abteil dieses imaginären Zuges und wünsche ihm eine gute Reise weg von mir. Für mich ist Yoga vor allem eine innere Haltung, die ihren Ausdruck in verschiedenen körperlichen Übungen finden kann. Yoga hilft mir, selbst in Situationen, die sonst negative Gefühle erzeugt und körperlichen Stress ausgelöst haben, Ruhe zu bewahren. Natürlich klappt das nicht immer, aber eine achtsame Haltung und eine bewusste Atmung weisen den Weg dorthin. Lässt man mir etwa in einem vollgestopften, nach Tierkäfig riechenden U-Bahnabteil viel zu wenig Platz für mein Fleisch und Blut, ist der Raum in meinem Inneren trotzdem so groß, als würde ich allein auf einem Fußballfeld stehen. Ich muss ihn nur finden, diesen inner space.
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Für mich ist Yoga vor allem eine innere Haltung, die ihren Ausdruck in verschiedenen körperlichen Übungen finden kann
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Eine amerikanische Studie hat gezeigt, dass sich das regelmäßige Praktizieren von Yoga unter Einbeziehung von Meditation und Atemübungen nach einem Zeitraum von 6 Wochen positiv auf das empfundene Stresslevel und das körperliche Wohlbefinden auswirkt. Die Teilnehmer der Studie gaben an, eine signifikante Verbesserung der inneren Ruhe, Konzentrationsfähigkeit und des Durchhaltevermögens zu empfinden. Yoga verhalf ihnen außerdem zu einer Steigerung des Glücksempfindens sowie der Selbstzufriedenheit und Selbstsicherheit. Es ist also doch mehr als nur esoterischer Hokuspokus im Spagat. Um das innere Gleichgewicht auch im Alltag bewahren, bzw. immer wieder herstellen zu können, reicht es jedoch kaum aus, einmal pro Woche im herabschauenden Hund die Yogamatte zu betrachten. Vielmehr sollte ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden, der den Fokus auf die Veränderung der inneren Haltung legt. Damit das gelingt, gibt es hier ein paar Tipps für die Entspannung in der Anspannung:
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1. Atme! Tief ein, tief aus
Eine bewusste, tiefe Atmung ist der direkte Weg zu dir selbst. Wie oft hast du heute schon achtsam geatmet und warst nicht nur stiller Nutznießer des vegetativen Nervensystems, das das schon für dich regelt? Wann immer du dich in einer Situation befindest, in der du dir wünschst, der Boden möge sich auftun, damit du ihr entschwinden kannst: Atme! Fülle die Lungen voll mit Luft und lass' diese dann langsam und vollständig wieder ausströmen. Und mit ihr deine Anspannung. Kleiner Tipp: Kleb' dir ein paar farbenfrohe Klebezettel mit der Aufforderung zu atmen an verschiedene, häufig frequentierte Orte! Kaffeemaschine, Auto, Badspiegel, Wohnungstür, Arbeitsplatz. Toilette? Übrigens: Bewusstes Atmen ist auch ein super Tipp für jeden, der nicht gut einschlafen kann.
2. Lerne aus deinen Gefühlen! Der größte „Idiot“ ist dein bester Lehrer
Das kennt wohl jeder von uns: Dinge, meist aber Menschen, die es verstehen, beachtliche Aggressionen in uns zu triggern. Ein falsches Wort und das Feuer der Wut entfacht sich in unserem Inneren wie eine lodernde Stichflamme. Stresshormone werden ausgeschüttet, Muskeln verspannen. Armer, kleiner Körper! Gefühle können wir aber erstmal nicht steuern. Was wir können, ist, ihre Ursachen zu ergründen. Und dafür sind die Dinge und Menschen, die negative Empfindungen in uns auslösen, unsere besten Lehrer. Sie geben uns Auskunft über die eigenen Schwächen. Vielleicht stehen Ungeduld oder ein Mangel an Selbstliebe dahinter, die uns angreifbar und in Folge so wütend machen. Es kann vieles sein, aber die Sache oder der „Idiot“, die das Gefühl getriggert haben, sind leider nicht das eigentliche Problem. Dabei wäre das doch so schön einfach! Aber: Es ist dein Gefühl! Wut, Enttäuschung, Traurigkeit etc. Du musst es ertragen. Vielleicht hilft dieser Perspektivwechsel dabei, an den Ursachen zu arbeiten und sich auf Dauer weniger angreifbar zu machen. Und auch hier hilft: Atmen!
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3. Schärfe dein Bewusstsein und lebe im Moment!
Kannst du am Freitag noch sagen, was du am Montag gegessen hast? Ich scheine da oft an retrograder Amnesie zu leiden. Meist beachte ich die Kulinarik auf meinem Teller nur mit einem Auge, während das andere saugnapfartig auf meinem Smartphonedisplay klebt. Das geht leider vielen von uns so. Alles wird im Automatismus geregelt und möge doch bitte auch noch zackzack gehen. Aber so verpassen wir das einzige, was wir mit Sicherheit besitzen: Den Moment. Wir sind abgelenkt, denken an Vergangenes oder daran, was alles noch gemacht werden muss und so zieht das Leben an uns vorbei ohne wirklich gelebt zu werden. Das Bewusstsein zu schärfen, ist aber gar nicht so schwer und lässt sich in beliebigen Situationen ganz heimlich üben. Putz dir doch heute Abend mal ganz bewusst die Zähne, hör und fühl, wie die Zahnbürste deine Kauleiste poliert und der weiche Schaum der Zahnpasta sich dadurch so sehr ausdehnt, dass man irgendwann wie ein tollwutbefallenes Eichhörnchen aussieht. Und wie das riecht und schmeckt! Beißendes Menthol? Lecker fruchtiger Erdbeer-Flavour? Egal, welche Situation du dir zum Üben aussuchst: Im Grundsatz geht es darum, das Bewusstsein für den eigenen Körper und die Umwelt zu schärfen und das Leben, das in jedem einzelnen Moment steckt, wahrzunehmen. Life is now!
4. Watch your Heart!
Es ist mächtiger als Chuck Norris! Unser Herz generiert das größte elektromagnetische Feld unseres Körpers. Studien des Institute of HeartMath Colorado belegen, dass das Herz nicht nur intern mit unserem Gehirn kommuniziert, sondern sein Energiefeld auch extern wahrgenommen wird. Übst du dich also darin, den Alltag so zu sehen, dass du positive Gefühle in dir erweckst, gibst du diese guten Vibes über die Herzschlagfrequenz auch an dein Umfeld weiter. Versuch es doch mal mit Mitgefühl! Wenn zum Beispiel mal wieder ein drängelnder Rowdy auf der Straße Ambitionen zeigt, sich mit seinem vorderen Nummernschild direkt an deine Anhängerkupplung zu heften, versuche, die möglichen Gründe für diesen Verstoß gegen die StVO zu sehen! Vielleicht ist der Typ hinter dir nicht einfach nur ein rücksichtloser Drängler, der es sich zum Ziel gemacht hat, dein Leben in Gefahr zu bringen. Vielleicht ist seine Eile damit begründbar, dass er seine schwangere Frau schnellstmöglich ins Krankenhaus bringen muss, um zu verhindern, dass sie den Nachwuchs auf dem Beifahrersitz gebiert. Sich im Empfinden von Mitgefühl zu üben ist ein sehr nützliches Werkzeug, um die innere Ruhe in Ruhe zu lassen.
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5. Make love, not war!
Beende den inneren Krieg! Die Physik sagt: Energie folgt immer der Aufmerksamkeit. Richtest du sie auf etwas Negatives, verhält es sich wie mit einem Baum zum Wechsel der Jahreszeiten. Er kann im Frühling nur dann wieder in voller Pracht erblühen, wenn er im Herbst all sein Laub von sich geworfen hat. Würde er die welken Blätter nämlich behalten und ihnen seine Energie den gesamten Winter über zur Verfügung stellen, wäre im Frühling nicht mehr viel mit ihm los. Lässt du also alle Gedanken los, die dich ängstigen, verärgern oder traurig machen, hast du viel mehr Energie, die du in positive Gedanken investieren kannst, um in deinem vollen Potenzial zu erblühen. Wurde zum Beispiel eine Erwartung, die du an dich selbst oder andere hattest, nicht erfüllt, kann Verzeihen sehr befreiend wirken. Du hast die Wahl, ob du lieber ein kraftloses Geäst oder ein prachtvoll blühender Baum sein möchtest.
6. Übe dich in Dankbarkeit!
Dankbarkeit hat eine unglaublich beruhigende Wirkung. Konzentriert man sich auf das Gute, erfährt man eine Art Bestätigung des Urvertrauens. Wie blöd dein Tag auch sein mag: Wenn du mal in deinem Erinnerungsschatz wühlst, wirst du sicher ein paar Dinge finden, über die du sehr dankbar bist. Und wenn nicht, überleg dir doch einfach, was dir heute alles nicht wehtut! Dafür kannst du dankbar sein. Und dich mit einem Lächeln erkenntlich zeigen.
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