Es ist 1995. Ich bin fast 11, höre No Doubt, blättere durch die Bravo und schaue mir die coolsten Klamottentrends an. Normalerweise fühle ich mich immer ziemlich erwachsen, wenn ich die Bravo ansehe, doch dieses Mal ruft es ein ungutes Gefühl in mir hervor. Während ich eine Seite nach der anderen umschlage, fällt mir auf einmal auf, da sind überall flache nackte Bäuche. Die Models präsentieren bauchfreie Outfits, im Mode-Feature dreht sich alles um die perfekte Low-Waist-Jeans und selbst die Foto-Love-Story ist eine regelrechte Bauchnabel-Parade. Die Botschaft ist klar und deutlich: Um eine attraktive Frau zu sein, musst du einen flachen Bauch vorzeigen können. Das wird natürlich nie explizit gesagt. Aber es offensichtlich.
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Mein Körper bereitet sich bereits auf die Pubertät vor und ich habe etwas zugenommen. Ich bin schockiert. Es ist absolut nicht möglich, dass ich meinen Bauch selbstbewusst in der Öffentlichkeit zeige. Ich habe einen kleinen Rettungsring und obwohl ich ein durchschnittlich wachsendes Mädchen bin, fühlt sich mein Körper riesig an – und deswegen nicht akzeptabel.
In den folgenden Jahren wird die implizite Botschaft immer lauter. Britney Spears und Christina Aguilera sind nicht nur für ihre grandiosen Stimmen, sondern auch für ihre kreisenden Hüften und ihre hautengen Outfits bekannt. Die feministischen Riot Girrrls benutzen ihr Bäuche als Plakatfläche und schreiben “Bitch“ mit rotem Lippenstift auf sie. Ob ich nun pop oder punk, Mitläuferin oder Außenseiterin bin, ich muss eine bestimmte Figur haben. Jedes Musikvideos, jede Fernsehshow, jedes Magazin sagt mir: flacher Bauch = Begehrtheit.
Mit 15 nehme ich plötzlich 14 Kilogramm zu (danke, PCOS) und habe zusätzlich zu meinem Schwabbelbauch auch noch lilafarbene Dehnungsstreifen, die von meinem Becken bis zu meinem Bauchnabel reichen. Ein neonfarbener Warnhinweis, der mich täglich daran erinnert, niemand sollte jemals meinen nackten Oberkörper sehen. Beim Schwimmunterricht planschen Bikini tragende Klassenkameradinnen selbstbewusst im Wasser; ich trage den unauffälligsten Badeanzug, den ich finden konnte. Ich bin über-wachsam was meine Bewegungen angeht und stelle sicher, mich nie zu sehr zu strecken oder meine Arme zu weit nach oben zu nehmen, damit mein Top ja keinen Millimeter meines Bauchs entblößt.
Mein fehlendes Selbstbewusstsein sah man mir zwar nicht an – ich versteckte es hinter einer quirligen Fassade und trug immer “vorteilhafte“ Kleidung –, aber ich fühlte mich nie wirklich gut in meiner Haut. Ich dachte, ich wäre nicht gut genug. Mit 16 trat ich Weight Watchers bei und verbrachte einen zu großen Teil meiner Freizeit mit Sit-ups und Hula-Hoop-Reifen (ein cooles Work-out, das die Pfunde purzeln lässt, wie es in der Bravo so schön hieß), bis ich irgendwann meine Mutter anflehte, mir eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio zu bezahlen.
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Als ich sexuell aktiv wurde, versuchte ich immer, meinen Bauch zu verstecken und legte unauffällig die Bettdecke darüber oder führte die Hand meines Freundes in eine andere Richtung, wenn sie zu nah an meiner Körpermitte war (Was würde er nur denken, wenn er bemerken würde, was für ein Moppelchen ich bin?). Ich bestand zwar nicht darauf, nur im Dunkeln Sex zu haben oder dass sich mein Freund umdreht, wenn ich mich ausziehe, aber ich fühlte mich alles andere als begehrenswert. Die Kurven, die mich sexy hätten machen können, wurden von meinem immer größer werdenden Bauch für nichtig erklärt. Ich stand damals auf große, schlaksige Jungs mit Wuschelhaaren und war mehr als völlig verblüfft, wenn einer von ihnen Interesse an mir, einem dicken Mädchen, zeigte. Erst als ich anfing, mit dicken Menschen zu schlafen, begann ich langsam zu verstehen, dass mein Körper gar nicht so abstoßend war, wie ich immer gedacht hatte.
Ich war 32 als ich meinen weichen Bauch zum ersten Mal mochte. Ich hatte was mit meinem Freund Jimmy am Laufen, einem breit gebauten, stark behaarten Typen, den man in der queeren Community “Bär“ nennen würde (er identifiziert sich als pansexuell). Jedes Mal, wenn wir zusammen waren, nahm ich mir Zeit, seinen Bauch zu genießen. Ich streichelte die Haare, die ihn bedeckten, und packte seine Röllchen. Selbst als wir gar nicht mehr miteinander schliefen, konnte ich nicht widerstehen, seinen Bauch zu drücken, wann immer wie zusammen Zeit verbrachten.
Dann kam Beth; mit ihren Grübchen und ihrer samtigen Haut, die mir das Gefühl gab, eine menschgewordene Wolke zu liebkosen.
Und jetzt ist Lexi in meinem Leben. Meine süße, sinnliche Lexi. Genau wie ich hat sie jahrelang mit ihrem Körperbild gekämpft. Erst als ihr Gewicht so hoch war wie nie zuvor, schloss sie Frieden mit sich. „Mein Bauch hat Dehnungsstreifen, Schnitte, Narben und ist wabbelig; ich bin nicht verrückt nach ihm, aber ich habe gelernt, ihn zu lieben, zu akzeptieren und zu genießen“, erklärte sie mir. Ich liebe jeden Zentimeter von Lexi und ich wertschätze ihren Bauch. Ich stürze mich meistens direkt auf ihn und küsse ihn, während ich ihre wunderschöne nicht perfekte Haut streichle, die zwei Babys beschützt hat. Erst vor Kurzem habe ich realisiert, wie sehr ich ihren Bauch liebe und dass es vielleicht gar nicht so abwegig ist, dass ich meinen eigenen auch irgendwann so sehr lieben könnte. Wie für die meisten Frauen, die ich kenne, war es leichter für mich, die körperlichen Merkmale anderer zu lieben, statt meine eigenen. Aber ich arbeite daran.
Letztens fragte ich meine Partner*innen, Lexi und Eric, ob sie mich wegen oder trotz meines Bauchs attraktiv finden. Ihre Antworten überraschten mich. „Er ist wie ein Arm oder Bein“, sagte Lexi. „Mir geht es nicht um ein bestimmtes Körperteil, sondern um das Gesamtpaket.“ Eric stimmte ihr zu. Und da fiel es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen. Ich bin nicht nur ein Bauch. Das ist ein Teil von mir und er ist wichtig, aber daran hängt eine komplette Person. Mein Selbstbewusstsein mag immer noch schwankend sein und bis heute überkommt mich das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wenn ich die ersten Szenen von “Clueless“ sehe. Aber ich lerne, meinen weichen Bauch zu lieben. Ich lerne, mich selbst zu lieben.
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