Willkommen bei Can We Talk?, der Sex- und Beziehungskolumne, die deine brennendsten Fragen rund um Sex, Dating, Beziehungen und Trennungen beantwortet, die du deinen Partner:innen ungern stellen möchtest – oder auch deinen Freund:innen. Diesmal hilft die Beziehungstherapeutin Moraya Seeger DeGeare einer Person, die sich fragt, wie sie ihrem Partner am besten helfen soll, der unter derselben Angststörung leidet wie sie selbst.
Liebe Moraya,
mein Partner und ich sind seit zwei Jahrzehnten zusammen, haben aber seit Kurzem mit einer ganz neuen Situation zu kämpfen. Seit etwa einem Jahr leiden wir beide gleichzeitig unter Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Ich schleppe sehr alte Traumata mit mir herum und habe schon lange und oft in meiner Therapie über meine PTBS gesprochen. Mein Partner weiß das alles, und im Laufe unserer Beziehung hat er mich immer fantastisch unterstützt.
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Jetzt leidet er aber nach einer traumatischen Erfahrung selbst unter einer PTBS. Es war sein allererstes traumatisches Erlebnis, und für mich ist es das erste Mal, einem Partner bei so etwas zu helfen. Natürlich äußert sich seine PTBS auch ganz anders als meine. Das hat nicht wirklich für äußere Konflikte in unserer Beziehung gesorgt; oft fühlt es sich aber doch so an, als würde unsere Kommunikation – die immer eine unserer großen Stärken waren – zwischendurch unerwartet zusammenbrechen.
Meine Frage lautet deswegen: Wie sollen wir damit klarkommen, dass wir beide gleichzeitig solche Probleme haben? Ich dachte immer, meine fast lebenslange Erfahrung mit einer PTBS hätte mich darauf vorbereitet, anderen Betroffenen helfen zu können. Ehrlich gesagt bin ich aber überfordert und glaube, vieles falsch zu machen. Wie schaffe ich es, ihm zu helfen, obwohl ich gleichzeitig seine Hilfe brauche? Wie kann ich seinen PTBS-Bedürfnissen entsprechen, wenn sie sich so sehr von meinen unterscheiden?
Moraya Seeger DeGeare: Wenn uns zum ersten Mal etwas so richtig traumatisiert, kann das das Leben aus der Bahn werfen – und unsere Instinkte sind danach nie wieder dieselben. Das Schwierigste an eurer Situation ist dabei vielleicht nicht mal die Diagnose PTBS, oder die Tatsache, dass ihr in eurer Beziehung mit einer psychischen Erkrankung klarkommen müsst – denn tatsächlich ist es völlig normal, in einer Partnerschaft auch mit psychischen Herausforderungen konfrontiert zu werden. Nein, eure Spannungen haben eher damit zu tun, dass sich eure jeweiligen Traumata zu verschiedenen Zeiten ergeben haben. Das kann der Hauptgrund dafür sein, dass ihr gerade nicht wisst, wie ihr miteinander umgehen und aufeinander reagieren sollt.
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In der Welt des Traumas kennst du dich inzwischen gut aus. Dein Gehirn kennt es vielleicht gar nicht mehr anders, und dein Leben vor dem Trauma fühlt sich sehr weit weg an. Dein Partner hingegen hat sein Trauma gerade erst erlebt und war dazu gezwungen, diese „Sprache“ sehr schnell zu lernen – und muss damit nun leben. Ihr habt beide ein Verständnis für PTBS und Depressionen, und trotzdem hast du das Gefühl, es immer wieder falsch zu machen. Weil Kommunikation aber eine eurer Stärken als Paar ist, lass uns das doch ausnutzen.
Zuerst stellt ihr einander diese Frage: Was fiel uns in dieser Beziehung früher leicht, das uns in diesem neuen Lebensabschnitt schwer fällt? Stellen wir uns mal vor, ihr antwortet darauf beide wie folgt: „Ich habe mich früher stärker von dir geliebt gefühlt und wünsche mir dieses Gefühl zurück.“ Eine mögliche Konsequenz von PTBS – über die nur wenig gesprochen wird, die sich aber vor allem innerhalb unserer Beziehungen äußert – ist ein geringeres Selbstwertgefühl. Betroffene können oft nicht nachvollziehen, warum sie jemand lieben sollte. Und wenn sich eine solche Depression vertieft, kann es dir immer schwerer fallen, dich geliebt zu fühlen. Sein Trauma hat deinem Partner einen Teil seiner Sicherheit und Lebensfreude geraubt, und das wirkt sich natürlich auch auf eure Beziehung aus. Wenn du dann den Eindruck hast, ganz viel falsch zu machen, kann das demnach auch daran liegen, dass ihr euch beide weniger liebenswert fühlt.
Als ich vor einiger Zeit selbst damit beschäftigt war, ein Trauma zu überwinden, weiß ich noch genau, wie ich mich damals hilfesuchend an meinen Partner wandte, mit dem ich schon seit über einem Jahrzehnt zusammen war – und in dem Moment rauschte seine Liebe wie eine Lawine über mich hinweg. Mein Trauma hatte dafür gesorgt, dass ich mich eine Zeit lang nicht so geliebt fühlen konnte wie zuvor. Das hatte nichts damit zu tun, wie er mich behandelte, sondern lag ganz allein an meinem Trauma. Es hielt mich davon ab, meinem liebsten Menschen wirklich nah zu kommen. In der Hinsicht ist ein Trauma wirklich merkwürdig. Und obwohl ich zwar eine Therapeutin bin, wurde mir in diesem Moment so richtig bewusst, dass eine Therapie wirklich funktioniert, wenn du dich darum bemühst. Es klingt, als wärt ihr beide in Therapie – und wenn ihr euch dazu bereit fühlt, könnte sich auch eine Paartherapie lohnen. Dort lernt ihr, euch gegenseitig besser zu verstehen, und entwickelt eine objektivere Perspektive darauf, inwiefern ihr euch beide vielleicht manchmal triggert.
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Studien zu Empathie und posttraumatischer Entwicklung haben bereits erwiesen, dass Menschen mit traumatischen Kindheitserfahrungen oft ein stärkeres Mitgefühl oder die Fähigkeit haben, die Erfahrungen anderer Leute besser nachzuvollziehen. Sie sind außerdem tendenziell besser darin, schwierige Situationen und Beziehungen zu bewältigen. Als Paar könnt ihr lernen, auch in dieser neuen gemeinsamen „Sprache“ des Traumas zu kommunizieren – und darüber zu sprechen, wie sich euer Leben dadurch verändert hat. Auf unterstützende, liebevolle Art könnt ihr damit eine neue Phase eurer Beziehung erreichen.
Untersuchungen zu PTBS zufolge kann es sich sogar enorm auf das eigene Sicherheitsgefühl und die persönliche Heilung auswirken, eine:n Partner:in in diesen Prozess einzubeziehen. Um mit einem solchen Trauma abzuschließen und zu lernen, die Welt mit einer PTBS zu bewältigen, musst du erst wieder ein Gefühl der Sicherheit in deinem eigenen Körper entwickeln und deinem Körper dabei helfen, sich in dieser Welt sicher zu fühlen. Ihr klingt wie ein sehr liebevolles Paar – also lass dir gesagt sein, dass es mehr um diese Sicherheit geht als darum, dass ihr alles „richtig“ macht. Wenn ihr euch darauf konzentriert, erkennt ihr hoffentlich schnell, dass ihr tatsächlich sogar sehr gut darin seid, euch in dieser Phase gegenseitig zu unterstützen.
Dabei ist es aber sehr wichtig, aufeinander zuzugehen, weil es passieren kann, dass eine:r von euch mal besser funktioniert als der oder die andere – an anderen Tagen dann aber vielleicht andersherum. Jeder Tag kann anders sein. Trotzdem ist es immer noch möglich, ein gewisses Gleichgewicht zu wahren, selbst wenn dein Partner gerade noch tief in der Heilung steckt. Dazu habe ich ein paar Tipps:
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1) Wie kann ich für ein Gleichgewicht innerhalb meiner Beziehung sorgen, wenn eine Person leidet? Dazu sind feste Grenzen entscheidend, damit euch eventuelles Rumraten erspart bleibt. Vielleicht sagt dir dein Partner zum Beispiel: „X, Y und Z bekomme ich alleine hin“, oder: „Für X suche ich mir woanders Hilfe, aber für Y brauche ich deine Hilfe. Ist das okay?“
Das erspart dir viel Unsicherheit, weil dein Partner seine Bedürfnisse ganz klar kommuniziert – selbst wenn diese Bedürfnisse in manchen Momenten vielleicht stärker ausgeprägt sind als in anderen. Vielleicht wünscht er sich zum Beispiel, dass du ihn in den Arm nimmst, wenn er aus einem Albtraum aufwacht, oder dass ihr eine Party früher verlasst als geplant, weil es ihm zu viel ist.
2) Welche Fragen kann ich stellen, um uns als Paar den Umgang mit psychischen Problemen zu erleichtern? Es kann für viel Konfliktpotenzial in einer Beziehung sorgen, wenn unsere Partner:innen immer nur raten können, was in uns vorgeht. Ich empfehle euch daher, einen festen Termin zu vereinbaren, zu dem ihr regelmäßig darüber sprecht. Vielleicht nehmt ihr euch dafür jeden Morgen ein bisschen Zeit. So habt ihr die Gelegenheit, immer wieder ganz offen miteinander zu kommunizieren, und nicht bloß dann, wenn es euch besonders schlecht oder gut geht. Gleichzeitig ist es wichtig, die Last des Nachfragens gerecht zwischen euch aufzuteilen, indem ihr euch beide gegenseitig fragt:
1. Gibt es eine Situation, die sich diese Woche ein bisschen leichter anfühlt?
2. Gibt es einen Teil deines Körpers, der sich gerade ganz ruhig anfühlt?
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3. Gab es diese Woche eine Situation, in der du dir Trost von mir gewünscht hättest, aber nicht darum gebeten hast?
4. Gab es diese Woche einen Moment, in dem du dich selbst besonders geliebt hast?
5. Gab es diese Woche einen Moment, in dem du mich besonders geliebt hast?
6. Was hast du diese Woche über dich selbst erfahren, das dich überrascht hat?
Das sind nur Ausgangsfragen; vielleicht fallen euch welche ein, die besser passen. Dabei geht es darum, ein Sicherheitsgefühl im Körper zu entwickeln und auch eurer Beziehung neue Sicherheit einzuhauchen. Es ist also gewollt, dass sich eure Gesprächsthemen durchaus wiederholen.
In vielerlei Hinsicht führt ihr beiden jetzt eine ganz neue Beziehung – und du hast einen ganz neuen Partner, den du seit Jahrzehnten liebst. Wenn sich unsere Umstände verändern, hat unser Gehirn leider kein System dafür, diese Veränderungen zu organisieren. Es kann deswegen helfen, wenn ihr euch quasi wieder „datet“ und neue Routinen entwickelt.
Obwohl du in deinem Brief keine Sorgen über deine eigene Sicherheit ausgedrückt hast, möchte ich an dieser Stelle dennoch betonen, dass es seit Beginn der Coronapandemie international zu immer mehr Gewalt in intimen Partnerschaften kommt. Daher: Nur, weil es unseren Partner:innen nicht gut geht, müssen wir nicht mit ihnen leiden – vor allem nicht auf Kosten unserer eigenen Sicherheit und Gesundheit. In manchen Beziehungen kommt es dann zur sogenannten Traumabindung, einer emotionalen Abhängigkeit zwischen Missbrauchsopfer und Täter:in; oder vielleicht fühlst du dich aufgrund deiner starken Empathie schuldig, wenn du deinen Partner bittest, sich auch anderswo Hilfe zu suchen. Genauso, wie auch du aber an deiner eigenen Heilung gearbeitet hast, muss auch dein Partner lernen, wie seine Heilung und Hilfe aussehen sollten. Manchmal kann es schwierig sein, die eigene mentale Gesundheit zu bewältigen und gleichzeitig eine Beziehung zu führen. Es ist gut, ganz offen über diesen Prozess zu sprechen – und auch darüber, wenn es für eine:n von euch unerträglich wird. Das bedeutet nicht, dass ihr euch nicht mehr liebt oder nicht wieder zusammenkommen könnt. Manchmal ist es einfach nur zu anstrengend, Heilung und Beziehung miteinander zu vereinbaren.
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Verständlicherweise können in intimen Beziehungen auch die Grenzen zwischen gesundem, liebevollem Support und Co-Abhängigkeit verschwimmen. Oder vielleicht unterstützt du deinen Partner plötzlich auf eine Art, die du nie hast kommen sehen – zum Beispiel, indem du ihn während einer Panikattacke beruhigst. Ich habe meinen Patient:innen schon empfohlen, eine beruhigende Sprachnachricht füreinander aufzunehmen, die sie sich anhören können, wenn sie es gerade brauchen. Ich habe nämlich schon viele Paare erlebt, bei denen zwar beide immer füreinander da sein wollten, dabei aber eine:r oder beide völlig ausgebrannt sind. Manchmal muss man sich nämlich auch um die eigenen Dämonen kümmern können, und es ist wichtig, einander den nötigen Freiraum dafür zu lassen.
Diese neue Phase eures Lebens zu bewältigen, in der ihr neu lernt, wer ihr seid und wie ihr euch innerhalb eurer Beziehung sicher und einander nah fühlt, wird eine große Aufgabe werden, an die ihr euch für immer erinnern werdet. Das heißt aber nicht, dass dieses Kapitel immer schlimm oder immer schwierig wird. Es wird Momente geben, in denen ihr instinktiv wisst, wie ihr euch zu verhalten habt – und Momente, in denen ihr im Dunkeln tappt, vor allem, während ihr eure Bedürfnisse noch neu erkundet. Die „richtige“ Reaktion könnte dann womöglich eine sein, die vor sechs Monaten noch völlig falsch gewesen wäre. Diese Phasen bewältigt ihr aber, indem ihr euch auf mehr Intimität einlasst. Wenn ihr mehr über einander lernt, erblüht daraus eine ganz neue Liebe – und für viele eine tiefere Liebe. Wir können uns nie aussehen, welche Situationen wir mit unseren Partner:innen zu bewältigen haben. Wir können uns aber sehr wohl daran erfreuen, wie gut es sich anfühlt, gestärkt und enger miteinander verbunden aus einem schwierigen Lebensabschnitt hervorzugehen.
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Moraya Seeger DeGeare ist eine Ehe- und Familientherapeutin, die sich auf Intimität, LGBTQIA+-Paare, Beziehungen zwischen Personen verschiedener Kulturen und die Entwicklung einer ethnischen Identität spezialisiert hat. Die Ratschläge in dieser Kolumne sollen dir eine Richtung aufzeigen, die dich zur Heilung führen und dir ein Gefühl von Sicherheit in dieser Welt vermitteln kann. Sie ersetzen keine Beziehung zu einem Therapeutin oder einer Therapeutin, der oder die deine persönliche Geschichte kennt.
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