Aus Gesprächen über moderne Beziehungen ist das Wort „Kompatibilität“ inzwischen kaum mehr wegzudenken. Insbesondere die Generation Z ist stolz darauf, ihr Liebesleben aus diesem pragmatischen Blickwinkel zu betrachten, der sich unter anderem auf Aspekte wie gemeinsame Werte konzentriert und „Unberechenbares“, wie die Chemie zwischen zwei Menschen, eher außen vor lässt. Wir wissen heute besser denn je, welche Eigenschaften eine:n gute:n Partner:in ausmachen, vor allem dank der schieren Menge an hilfreichem Content zu genau diesem Thema. Mit großem Wissen kommt jedoch auch große Verantwortung, und inmitten davon eine:n „kompatible:“ Partner:in zu finden, kann sich wie eine extreme Herausforderung anfühlen.
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Viele Frauen der Gen Z vergleichen vor (oder bei) einem Date genau deswegen gern ihr Geburtshoroskop oder ihren Myers-Briggs-Persönlichkeitstyp mit dem eines potenziellen Partners bzw. einer potenziellen Partnerin. Diese Art von Test ist inzwischen auch längst kein Insiderwissen mehr: Pro Jahr machen rund zwei Millionen Menschen den „16 Personalities“-Test (basierend auf dem Myers-Briggs-Persönlichkeitstest). Gary Chapmans Buch Die 5 Sprachen der Liebehat sich weltweit über 12 Millionen Mal verkauft. Und die Astrologie-App Co-Star, die die Stärke deiner Beziehungen anhand von Geburtshoroskopen ermittelt, hat über 7,5 Millionen registrierte User mit einem durchschnittlichen Alter von 24 Jahren. Ganz egal, ob sie die Wissenschaft oder die Sterne für ihre Erkenntnisse nutzen: Kompatibilitätstests sind ein wichtiger Bestandteil des modernen Datings.
Dr. Kalanit Ben-Ari (@dr_kalanit) ist Psychologin und Beziehungsexpertin. Ihr zufolge hat es zahlreiche Gründe, dass so viele junge Frauen diese Tests nutzen. „Oft machen sie Spaß und regen zum Nachdenken darüber an, welche Art von Partner:in du suchst“, erklärt sie. „Vielleicht bist du dir unsicher, wie genau deine Bedürfnisse und Wünsche aussehen, und du erhoffst dir von diesen Tests ein paar Antworten. Oder du wünschst dir in deinem Liebesleben mehr Berechenbarkeit oder ein stärkeres Gefühl der Kontrolle, um mehr Erfolg zu haben.“
Die 22-jährige Molly erzählt, sie habe sich schon immer für Sternzeichen, Persönlichkeitstests und Love Languages interessiert. „Anfangs hat mir das einfach Spaß gemacht. Mein Ex-Freund und ich haben uns immer darüber lustig gemacht, dass wir diesen ganzen Tests zufolge angeblich total inkompatibel waren. Es war aber nur so lange witzig, bis wir uns dann ein paar Jahre später trennten. Seit unserer Trennung vor knapp einem Jahr bin ich total besessen von diesen Kompatibilitätstests.“
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Seit Kurzem ist Molly mit einem neuen Partner zusammen. Sie hat festgestellt, dass ihr diese Tests dabei helfen, klarere Gedanken zu fassen und sich ihrer Gefühle besser bewusst zu werden. „Ich bekam widersprüchliche Signale von ihm und wusste selbst nicht so richtig, was ich für ihn empfand. Also verglich ich einfach mal unsere Sternzeichen, um zu sehen, wie kompatibel wir dahingehend waren. Das Ergebnis war 98 Prozent, und ich war begeistert“, sagt sie. „Das hat mir wirklich dabei geholfen, diese Verwirrung hinter mir zu lassen.“
Auch die 22-jährige Lydia verlässt sich gerne auf Kompatibilitätstests. „Als ich mit meinem Freund zusammenkam, wollte ich unbedingt wissen, welcher Myers-Briggs-Persönlichkeitstyp er ist“, sagt sie. „Kurz bevor wir zusammenkamen, machten wir den Test zusammen und schrieben darüber. Das brachte uns einander echt näher! Er ist ein ENFP – die extrovertierte Version von mir –, und das ist perfekt. Damit ist er der perfekte Ausgleich, für mich, weil ich mich manchmal zu stark zurückziehe und jemanden brauche, der mich da wieder rausholt.“ Lydia fühlt sich in ihrer Partnerwahl durch den Myers-Briggs-Test bekräftigt. „Mit einer Persönlichkeitsanalyse lässt sich nicht streiten“, sagt sie.
Wie auch Lydia und Molly benutzt die 23-jährige Amber solche Tests, um ihre Kompatibilität mit potenziellen Partnern zu ermitteln. „Ich date gerade jemanden und versuche, seinen Myers-Briggs-Typen herauszufinden, um unsere Kompatibilität bestimmen zu können. Ich glaube, er ist ein ESTJ – vielleicht auch ESTP –, und das ist super, weil ich ENTJ bin und wir ein echtes Power Couple wären“, sagt sie.
„Es fällt mir schwer, meine Gefühle auszudrücken, schwierige Fragen zu stellen und Menschen auf tiefster Ebene kennenzulernen“, erklärt sie. „Diese Tests sind für mich deswegen eine Art Abkürzung, um Leute besser kennenzulernen – und mich gleichzeitig auch.“
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Ich sehe das wie Amber: Ich liebe diese Tests vor allem dafür, weil ich mich selbst dadurch besser verstehe. Als ich herausfand, dass meine Love Language „Lob und Anerkennung“ ist, wurde mir klar, wie sehr ich mich immer darauf fixierte, dass mir andere ihre Gefühle in Worten mitteilen, ohne wirklich mitzubekommen, dass sie mir ihre Liebe auch auf andere Weise zeigten. Diese Erkenntnis half mir dabei, mich nicht dauernd so unsicher zu fühlen und nicht immer wieder mündliche Bestätigung zu brauchen. Ich erkannte, dass Liebe auch anders – wie durch gemeinsame Zeit oder Berührungen – kommuniziert werden kann. Obwohl ich potenzielle Partner:innen zwar nie nur deswegen ablehnen würde, weil sie zum Beispiel den „falschen“ Myers-Briggs-Persönlichkeitstyp haben (in meinem Fall ENFJ), halte ich diese Tests doch für hilfreich. Sie helfen mir nämlich dabei, meine eigenen Schwächen zu verstehen und herauszufinden, woran ich arbeiten sollte.
Dr. Ben-Ari ist ebenfalls der Meinung, dass es nützlich sein kann, diese Tests zu machen, um dich selbst besser kennenzulernen. „Ich finde alles gut, was dich dazu ermutigt, über deine Wünsche und Erwartungen nachzudenken“, sagt sie. „Mein Rat für all diejenigen, die eine Beziehung suchen, wäre daher, dich selbst erstmal besser kennenzulernen.“
Dennoch empfiehlt sie, die Ergebnisse von Kompatibilitätstests nur mit Vorsicht auf deine tatsächlichen Beziehungen anzuwenden. „Ich glaube nicht, dass ein solcher Test dir genügend Informationen liefert, anhand derer du dich für oder gegen eine potenzielle Partnerschaft entscheiden kannst“, sagt sie. „Kompatibilitätstests missachten nämlich häufig viele der Aspekte, die wichtig sind, um genau zu wissen, wie gut jemand zu uns passt. Dazu zählen zum Beispiel die Familienwerte, Einstellungen zu Genderrollen, Karrierevorstellungen, Hobbys, Religion, Vertrauen und die emotionale Intelligenz.“
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Wohingegen vorherige Generationen bei der Suche nach Liebe vor allem auf den Bekannten- und Kolleg:innenkreis beschränkt waren, ist der Dating-Pool heutzutage quasi endlos. Natürlich ist es toll, so eine große Auswahl bei der Partner:innensuche zu haben; vielleicht sind wir von all diesen Möglichkeiten aber so überfordert, dass wir uns von Kompatibilitätstests erhoffen, sie könnten uns die Entscheidung abnehmen. Dennoch sollten wir dabei Vorsicht walten lassen. Wie Dr. Ben-Ari nämlich betont, sind romantische Beziehungen sehr komplex – und wenn du davon ausgehst, dass deine Beziehung zum Scheitern verurteilt ist, weil du Widder bist und er Krebs, ist das keine sehr detaillierte Analyse.
Anhand der Erzählungen von Molly, Lydia und Amber scheint Gen Z Kompatibilitätstests aber auch gar nicht so zu verwenden. Sie betrachten diese Ergebnisse nicht als vorgefertigte Entscheidungen, sondern als hilfreiche Hinweise. Wie Molly sagt: „Ich benutze diese Tests, um mir über meine eigenen Gefühle klarer zu werden.“ Und wenn Kompatibilitätstests jungen Frauen dabei helfen, sich wohler mit ihren Entscheidungen zu fühlen, ist das wohl eindeutig etwas Gutes.
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