Das erste Mal, als ich versuchte, einen Orgasmus zu bekommen, plante ich alles im Voraus. Musik? Check. Unrealistischer Porno? Check. Privatsphäre? Naja, so viel Privatsphäre eben, wie man als Jugendliche im Kinderzimmer eben bekommen konnte, also… geht so? Trotzdem wärmte ich mir die Finger auf und legte los. Als mein Wunsch nach einem Orgasmus aber seinen Höhepunkt erreichte, blieb dieser Höhepunkt für mich völlig aus. Ich fühlte… gar nichts. Um ganz ehrlich zu sein, waren meine ersten Masturbationsversuche nicht nur unangenehm, sondern auch peinlich.
Als ich mich damit meinen Freund:innen anvertraute, hatten sie zwar Mitgefühl, schienen meine Schwierigkeiten aber nicht so ganz nachvollziehen zu können; auf ihre eigene Art hatten sie das mit dem Orgasmus alle hinbekommen. Im Laufe meiner Teenagerjahre tat ich also alles, um es selbst zu schaffen. Ich änderte jede Variable, die mir einfiel: Vielleicht fehlte mir nur die perfekte Playlist? Oder der richtige Winkel meiner Finger? Egal, was ich tat: Das „große O“, von dem meine Freund:innen immer wieder sprachen und das ich in Filmen und Serien schon so oft gesehen hatte, blieb für mich aus. Mir kam der Gedanke, dass ich vielleicht einfach nicht dazu bestimmt war, einen Orgasmus zu erleben. Dass mit mir vielleicht was nicht stimmte.
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Als sie von meinen Problemen hörte, zog mich eine Freundin, deren Selbstbewusstsein ich immer bewundert hatte, an meinem 17. Geburtstag beiseite und drückte mir eine kleine Box in die Hand. „Das Teil hat für mich funktioniert“, sagte sie. „Vielleicht tut’s das auch für dich.“ Darin verbarg sich ein brandneuer Satisfyer Pro, ein Klitoris-Vibrator, der Menschen mit Vulva scheinbar eine völlig neue Welt eröffnet hatte. Er war portabel, wasserdicht, glänzend und glatt – und machte mir eine Riesenangst. Ich fasste die kleine Box mindestens ein paar Monate lang nicht mal an. Dann schaute ich mir diverse YouTube-Reviews an und las mir die Schritt-für-Schritt-Anleitungen nochmal durch, die mir in meiner Jugend den schnellsten Weg zum Orgasmus versprochen hatten, bevor ich endlich dazu bereit war, den Satisfyer auszuprobieren. Leider überforderte mich der erste Versuch komplett: Selbst die sanfteste Stufe fühlte sich für mich so an, als würde mir eine Horde Ameisen über die Klitoris krabbeln. Also versteckte ich die Box wieder in meinem Schrank und versuchte, die frische Scham zu verdrängen.
Dabei hatte ich überhaupt keinen Grund dafür, mich zu schämen. Obwohl meine Generation zwar theoretisch mehr Informationen denn je zur Verfügung hat, lässt unsere Sexualkunde immer noch zu Wünschen übrig. Als Teenagerin in einer Großstadt hatte ich zwar das Glück, von jungen Leuten umgeben zu sein, die offen und ehrlich über Sex und Lust sprachen. Ich weiß noch, wie ich mit 13 bei einer Halloween-Pyjamaparty war und bei Taschenlampenlicht und mit jeder Menge Popcorn im Mund geflüsterte Gespräche über Themen führte, von denen wir alle keine Ahnung hatten (und die uns nervös kichern ließen). Diese Gespräche führten mich dazu, mich in Frauenzeitschriften und im Internet besser zu informieren – wo ich dann von einem sagenumwobenen „Orgasmus“ erfuhr. Mit einem Penis war das scheinbar ganz leicht: Ejakulation bedeutete Orgasmus. Aber mit einer Vulva? Die wissenschaftliche Literatur, auf die ich im Internet dazu stieß, war alles andere als hilfreich und bezog sich vorrangig auf Studien aus den frühen 70ern. Die Artikel, die ich dazu las, beschrieben den Orgasmus als eine Art „Feuerwerk“ – was auch immer das heißen sollte! Meine Neugier führte mich schließlich dazu, dass ich jeden Artikel Schritt für Schritt befolgte, um selbst endlich herauszufinden, wie sich ein Orgasmus tatsächlich anfühlte. Dennoch scheiterte ich jedes Mal. Seit diesen ersten Versuchen waren mehrere Jahre vergangen – und da war ich nun, mit 17, immer noch kein Stückchen weiser.
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In der Oberschule sorgte diese Kombi aus Fehlinformationen, Stigmata und Frust schließlich dafür, dass ich die Sache mit der Sexualkunde selbst in die Hand nahm. In meinem letzten Schuljahr (und zu Beginn der Corona-Pandemie) gründete ich also auf TikTok meinen Account @sexedu, um so viele junge Leute wie möglich zu erreichen.
Eins ist mir nämlich im Laufe der Zeit klar geworden: Wir brauchen dringend eine bessere Sexualkunde, und sollten uns unbedingt von der Vorstellung lösen, unser sexuelles Wohlbefinden sei ein Tabu-Thema. Ich weiß heute, dass meine Erfahrung längst kein Einzelfall ist: Ich bin nicht die Einzige, die Probleme damit hatte, einen Orgasmus zu erleben. Ich wünsche mir daher, dass jede Person, der es ähnlich geht, genau weiß: Du bist nicht allein – und du bist nicht „kaputt“. Genau deswegen teile ich meine Story. Denn wir müssen etwas gegen das Stigma unternehmen.
Mein 17-jähriges Ich hatte damals das Gefühl, nur noch eine Chance zu haben. Also teilte ich meine frustrierten Gefühle mit der Freundin, die mir den Vibrator geschenkt hatte. Sie ermutigte mich dazu, es nochmal zu versuchen – denn vielleicht war es mir nur deswegen unangenehm gewesen, weil es eben etwas Unvertrautes gewesen war, ein ganz neues Gefühl. Manche Entdeckungen sind erstmal unangenehm, meinte sie. Also griff ich zu einem Spiegel und schaute mir meinen Intimbereich genau an, um mich auch mal an den Körperstellen kennenzulernen, von denen mir die Gesellschaft eingeredet hatte, ich sollte mich nie zu gründlich damit beschäftigen. Ich unterdrückte meine Scham und konzentrierte mich auf die Erkundung – nicht auf mein Ziel. Ja, ich spürte schließlich auch das Feuerwerk, und ja, beim ersten Mal fühlte sich das wirklich brandneu an, und deswegen auch ein bisschen unangenehm. Aber ja, es war fantastisch. Es war ein Erlebnis, das nur mir gehörte – und dank dessen ich mich trotzdem mit allen Menschen verbunden fühlte.
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Letztlich war der Weg zum Orgasmus für mich, wie für so viele andere auch, ein sehr langer. Noch dazu gibt es nicht den einen Orgasmus – sondern den klitoralen, den vaginalen, den tiefvaginalen, den G-Punkt-, den analen, den Nippel-Orgasmus, und wohl noch mehr. Der Weg dorthin sieht für uns alle anders aus! Andere erleben schon früh ihren ersten Höhepunkt, und das ganz ohne Probleme; andere sprechen das Wort „Orgasmus“ erst mit Mitte 20 zum ersten Mal laut aus. Du solltest dir auch nie den Druck machen, jedes Mal unbedingt zum Höhepunkt kommen zu müssen. Selbst das „Üben“ der Masturbation ist schon sehr schön.
Du bist nicht kaputt, wenn du nicht allein von Penetration, nicht öfter als einmal hintereinander kommen kannst oder eine halbe Stunde Vorspiel brauchst. Lust ist eine biologische Funktion; sie kann sich toll anfühlen, dich frustrieren und sich im Laufe des Lebens verändern. Unabhängig davon verbindet sie uns aber alle miteinander. Und es ist dein gutes Recht, deine Lust auf genau die (einvernehmliche) Art auszuleben, die du dir wünschst.
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