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Ich habe Gruppensex probiert & empfinde Lust heute ganz anders

Foto: Stephen Daly.
Meine allererste Erfahrung mit Gruppensex machte ich 2016, und sie hätte vom Timing her nicht besser sein können: Es war nicht nur mein erster Dreier, sondern auch mein erstes queeres Sex-Erlebnis – und das am Tag von London Pride, und meinem Geburtstag. Besser geht es wohl kaum! Das Ganze war spontan, verschwitzt und sehr, sehr sexy. Diese Nacht öffnete mir die Augen und ließ mich eine ganz neue Welt voller Optionen erkennen.
Einige meiner schönsten sexuellen Erfahrungen seitdem waren Dreier, Vierer oder Sex in noch größeren Gruppen. Sie waren nicht nur deswegen so schön, weil sie einfach ganz neue Erlebnisse waren – sondern auch, weil die Bindungen innerhalb dieser Gruppendynamiken so stark waren. Oft schlief ich dabei mit gleichgesinnten Freund:innen, und dieser Übergang von platonischen zu auch sexuellen und romantischen Freundschaften fühlte sich wirklich toll an. Für mich geht es beim Gruppensex nicht um die „Aufregung“ des Neuen. Er ist für mich eine Gelegenheit, mehr über mich selbst und die Menschen zu erfahren, die ich liebe. In meinen acht Jahren Berufserfahrung als Beziehungs- und Sexualpädagogin wurde ich schon oft zur Logistik von Gruppensex gefragt: Wie findet man potenzielle Partner:innen dafür? Wie kommuniziert man die eigenen Grenzen? Wie fragt man zwischendurch, ob alles gut ist? Wie klärt man die individuellen Erwartungen? Viel seltener werde ich aber gefragt, wie sich Sex mit drei oder mehr Leuten auf unser Bild und Empfinden von Lust auswirken kann. 
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Bei meiner Arbeit geht es mir vor allem darum, Leute dazu zu ermutigen, die Messages zu hinterfragen, die uns dazu vermittelt wurden, wie Sex sein „sollte“. Meist denken wir dabei nämlich automatisch an Sex zwischen zwei Menschen (traditionellerweise zwischen einem cis Mann und einer cis Frau – hallo, Heteronormativität!). Versteh mich nicht falsch: Sex mit einem Partner oder einer Partnerin ist toll! Ich bin ein großer Fan von dem Gleichgewicht dessen, dich auf die Lust dieser Person zu konzentrieren, während sie dasselbe für dich tut. Es ist aber eben nur eine Form davon, sexuelle Lust zu erleben. Wenn nämlich noch weitere wunderschöne Körper ins Spiel kommen, kann es wirklich interessant werden. Meine Erfahrungen mit Gruppensex haben auf diese Weise nicht bloß den Sex mit mir selbst, sondern auch mit einem:einer Partner:in revolutioniert. Lass mich dir erklären, wie.

Orgasmen sollten nicht die (einzige) Priorität sein

Ich beschreibe meine Herangehensweise an Sex seit Kurzem als „Rumräkeln“. Aus diesem Blickwinkel klingt Sex nämlich irgendwie lockerer und erlaubt mehr Freiraum für Kreativität, wie ich aus diversen Gruppendynamiken gelernt habe. Je mehr Körper im Spiel sind, desto größer das Potenzial zum Räkeln! Meiner Erfahrung nach entsteht daraus eine entspanntere Stimmung beim Sex, bei der Orgasmen zwar sehr gern gesehen, aber keine Pflicht sind. Niemand erwartet einen Orgasmus. Ich muss auch sagen, dass es mir in der Gruppe schwerer fällt, zu kommen. Ich muss mich schon sehr konzentrieren, um überhaupt zu kommen – und obwohl die Überstimulation durch mehrere Körper zwar sehr heiß und aufregend ist, kann die schiere Menge an sexy Sachen dazu führen, dass mein Gehirn in den Orgasmus-Modus schaltet. Vielen meiner Freund:innen geht es ähnlich. Anstatt das aber als „Versagen“ zu betrachten, habe ich daraus gelernt, meine Erwartungen an mich selbst runterzuschrauben und meine Lust mehr zu genießen, anstatt auf irgendein Ziel „hinzuarbeiten“. Schon seit Beginn meiner Karriere betone ich, wie wichtig es ist, Orgasmen nicht als Prio Nr. 1 zu betrachten – aber erst, als ich meinen Groove beim Gruppensex fand, hielt ich mich auch selbst wirklich daran.
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Foto: Stephen Daly
Die Autorin.

Es muss sich nicht alles um Penetration drehen

Diese Erkenntnis ergab sich für mich aus der Not: Penetrativer Sex beschränkt sich ja meist auf zwei Personen – und in einem Gruppen-Setting, in dem ihr eure Körper alle erstmal kennenlernen wollt, stellte es sich für mich schnell als leichter heraus, mich erstmal auf all das zu konzentrieren, was man mit den Händen, Mündern und Spielzeugen machen kann. Dadurch entsteht seltener der Eindruck, irgendjemand werde „ausgegrenzt“. Im Laufe der Zeit habe ich dafür nicht nur beim Gruppen-, sondern auch beim Partner:innensex eine Vorliebe entwickelt.
Penetration kann Spaß machen, ist aber eben nur eine von vielen Optionen. Sie weniger zu priorisieren, hat mein Lustempfinden in den letzten Jahren enorm verändert, und ich würde allen dazu raten – vor allem, wenn jemand der Beteiligten eine Vulva hat. Diese US-Studie von 2015 mit 1.055 teilnehmenden Frauen zwischen 18 und 94 Jahren ergab, dass 81,6 Prozent aller Frauen (bzw. Menschen mit Vulva) nicht vom vaginalen Sex allein kommen können (obwohl wir ja bereits etabliert haben, dass der Orgasmus ohnehin nicht das Endziel sein sollte). Penetration also ganz von der Speisekarte zu nehmen, ermutigt mich und meine Partner:innen dazu, kreativer an Sex heranzugehen – und das sorgt für jede Menge Extraspaß. Nicht-penetrativer Sex ist auch deutlich flexibler und gibt dir die Chance, dich mehr auf den ganzen Körper zu konzentrieren, anstatt nur auf die Genitalien.

Verlagere den Fokus vom Sexuellen zum Sinnlichen

Ich weiß, dass sich das erstmal merkwürdig anhört, aber: Ich finde, dass Sex oft übersexualisiert wird. Wenn all die Punkte, die ich hier bereits erwähnt habe, beim Gruppensex miteinander verbunden werden, entsteht daraus etwas Tolles: Sinnlichkeit. Wir konzentrieren uns weniger auf das Sexuelle als auf das Sinnliche. Das heißt nicht, dass wir dabei weniger Lust oder Leidenschaft empfinden – sondern, dass wir unser Verständnis von beidem verlagert haben. Es geht uns nicht ausschließlich um die Berührung der Genitalien, sondern darum, eine Umgebung zu schaffen, in der alle Beteiligten möglichst viel empfinden und alle Sinne ausleben können. Es geht um das Gefühl, mehrere Körper gleichzeitig zu berühren, die verschiedenen Berührungen dieser Leute gleichzeitig zu empfinden, ihren Atem und ihr Stöhnen zu hören und zu erkunden, wie unterschiedlich ihre Küsse schmecken und sich anfühlen. Gruppensex ist die Gelegenheit zur Reizüberflutung, und er hat mich dazu gebracht, die sinnliche Seite anderer Formen von Sex zu schätzen.
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Lernt als Gruppe dazu

Je mehr sexuelle Erfahrungen ich sammle, desto stärker wird mir bewusst, wie unendlich vielseitig Sex sein kann. Es ist faszinierend, die Dynamik anderer Paare zu beobachten und zu sehen, auf welche verschiedenen Arten Leute kommunizieren und erkunden. Es ist irgendwie zutiefst erfüllend, sich als Team der Befriedigung einer Person zu widmen und ihr das ultimative sexuelle Abenteuer zu ermöglichen.
Nach meiner Erfahrung sehen echte Dreier und Gruppensex-Konstellationen nur selten so aus wie das, was du in Pornos gezeigt bekommst. Es geht dabei viel mehr um verspielte Bindung und Erkundung. Diese Erlebnisse haben nicht nur mitbestimmt, wie ich Sex im Privaten angehe, sondern auch, wie ich bei der Arbeit über Sex und Lust spreche. Ganz egal, ob du selbst neugierig darauf bist, beim Sex eine Gruppendynamik auszuprobieren: Wir alle können so viel von den Erfahrungen anderer lernen.
Ruby Rare ist eine zertifizierte Beziehungs- und Sexualpädagogin bei Acet UK.
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