Direkt wo New York, Pennsylvania und New Jersey aufeinandertreffen, liegt ein Campingplatz am Ufer eines traumhaft idyllischen Flusses. An diesem Ort – genauer gesagt auf einem Floß – fühlte ich mich zum ersten Mal wohl genug in meinem Körper, um mich auszuziehen. Alles, was ich dafür brauchte, war ein bisschen Zuspruch von Beth* und ihren beiden Freund*innen, mit denen ich hier war. Beth und ich waren zu diesem Zeitpunkt offiziell noch Friends With Benefits, inoffiziell aber schon so gut wie ein Paar.
„Zieh dein T-Shirt aus, Kassie“, sagte Beth. „Ist doch keiner hier.“ Also tat ich es einfach. Den Rest des Nachmittags verbrachten ich und mein nackter Bauch damit, Sonne zu tanken, zu trinken und mit meinen neuen Freund*innen zu lachen.
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Dieses ganze Wochenende war quasi ein Verstoß gegen die Regeln einer klassischen Friends-With-Benefits-Beziehung: Eigentlich sollten wir weder die jeweiligen Freund*innen treffen, noch zu viel Zeit außerhalb des Schlafzimmers miteinander verbringen. Doch Beth und ich waren keine typischen FWBs. Sie brachte mich dazu, Dinge zu tun, die ich normalerweise vermeiden würde – wie diesen Campingausflug, meinem ersten seit der Grundschule, und einen Bar-Hopping-Abend in Williamsburg mit Leuten, die wir erst am Morgen desselben Tages kennengelernt hatten. Es war eben eine waschechte Freundschaft Plus. Deswegen fühlte es sich auch nicht wie eine große Sache an, ihre Freund*innen zu treffen. Dachte ich zumindest.
Als ich mich ein paar Tage darauf nackt in ihre violetten Seidenlaken kuschelte, schaute Beth zu mir rüber, strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und sagte: „Ach, übrigens: Tess* hat mich gefragt, ob ich mir eigentlich wünsche, du würdest abnehmen.“
Tess war eine Freundin von Beth und mit uns auf dem Floß gewesen. Sie hatte selbst ein paar Probleme mit ihrer Figur; sie hatte mehrfach 25 Kilo ab- und wieder zugenommen. Beim Campen hatte sie gerade überlegt, sich nach ihrem letzten Gewichtsverlust die lose Haut straffen zu lassen.
Ich weiß noch, wie wohl ich mich auf dem Floß gefühlt hatte. Wie schön es gewesen war, mich einfach mal entspannen zu können, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen, was andere von meinem Plus-Size-Körper halten. Ohne das Gefühl zu haben, zu viel Platz einzunehmen. Ganz offensichtlich hatte ich mich getäuscht: Selbst in diesem friedlichen Moment war ich von Menschen, mit denen ich mich bei starken Cider und Lagerfeuer-Würstchen angefreundet hatte, genau gemustert worden. Das zu erfahren, war furchtbar. Was Beth allerdings als Nächstes sagte, war noch schlimmer.
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„Ich habe ihr gesagt, du musst meinetwegen gar nicht abnehmen – dass ich einfach jemanden brauche, der mit mir mithalten kann. Und das kannst du.“
Damals wusste ich nicht genau, was es war, aber irgendwas an ihrer Antwort störte mich. Mir war nicht klar, ob sie “mithalten“ im sexuellen oder sportlichen Sinne meinte – nach dem Motto “Kann dein Kleidergröße-44-Körper genauso schnell laufen wie mein Kleidergröße-36-Körper“? Aber letztlich war es egal, was genau sie ausdrücken wollte: Ihr Kommentar war in jeder Hinsicht problematisch.
Heute weiß ich, wieso Beths Spruch (und diverse andere Kommentare, die Beth während unserer fünf gemeinsamen Monate abließ) für mich einen bitteren Beigeschmack hatten. Manchmal ist Fatshaming eben nicht so offensichtlich. Es muss nicht immer bedeuten, dass dir jemand auf der Straße oder im Internet das Wort „fett“ um die Ohren haut. Wenn du in einer Beziehung mit jemandem bist, der oder die mehr wiegt als du, kann es schwer sein, solche Kommentare als das zu erkennen, was sie sind.
Beth nannte mich niemals fett. Sie kritisierte nie mein Gewicht oder sagte mir, ich solle an meiner Figur arbeiten. Aber in ihrer Antwort, die sie für eine heldenhafte Verteidigung meines Aussehens hielt, hatte sie von “ihretwegen“ gesprochen – als würde mein Körper ihr gehören. Außerdem hatte sie davor mehrfach betont, sie sei schon vorher mit Plus-Size-Frauen zusammen gewesen. („Ich glaube sogar“, hatte sie einmal gesagt, „die Eine wog mehr als du.“)
Diese Kommentare hatten mich immer irgendwie gestört, obwohl Beth sie so klingen ließ, als seien sie gut gemeint. Von Weitem betrachtet, wirkten sie auch durchaus nett aus. Rückblickend wurde mir allerdings nach der Floß-Enttäuschung eines klar: Beth hatte die ganze Zeit versucht, ihre wahre Einstellung zu meiner Figur überschwänglich auszugleichen. Hätte sie meinen Körper wirklich akzeptiert, wie er ist, hätte sie es nicht so oft betonen müssen. Jedes Mal, wenn sie mir gegenüber erwähnte, wie gerne sie dickere Frauen datet, hatte ich den Eindruck, sie erwartete dafür eine Art Belohnung. „Herzlichen Glückwunsch! Du bist eine echte Heldin, weil du dich traust, mich heiß zu finden!“, hätte die Gravur des Pokals gelautet.
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Im Machtverhältnis unserer Beziehung stand Beth klar über mir. Dafür sorgten nicht nur ihre Kommentare, sondern auch die subtile Andeutung, dankbar dafür sein zu müssen, dass sie mit mir schlafen will. Sie war quasi diejenige, die sich zu mir herabließ. Sie war diejenige, die nichts zu verlieren hatte.
Versteh mich nicht falsch: Beziehungen, bei denen die Partner*innen unterschiedliche Körpertypen haben sind natürlich nicht automatisch zum Scheitern verurteilt. Sie können definitiv funktionieren – und einige tun es auch. Damit das klappt, sind gewisse Gespräche aber Pflicht; zum Beispiel darüber, inwiefern sich das Privileg der Dünnen auf die Beziehungsdynamik auswirken kann (und das wird es). Um damit klarzukommen, sollte jede*r zumindest ein Grundverständnis dafür haben, wie die systematische Unterdrückung von Plus-Size-Menschen ihnen das Gefühl vermittelt, nicht begehrenswert zu sein. Hätte ich damals besser ausdrücken können, was mich daran störte, wenn Beth mir immer wieder zwanghaft ihre Liebe für meinen größeren Körper versicherte, hätte ich es ihr vielleicht erklären können. Vielleicht hätte sie es aber auch einfach von selbst besser wissen müssen.
Wenn du von klein auf in den Medien, von Verwandten, Bekannten und Ärzt*innen zu hören bekommst, dein Körper sei unattraktiv und müsse korrigiert werden, ist es schwer, Mikroaggressionen zu erkennen. Vor allem, wenn sie von einer Person kommen, die dich in einer Bar aufs Klo zerrt, weil sie „die Hände einfach nicht von dir lassen kann“.
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.