Chris Buck, ein in New York und Kalifornien lebender Fotograf und Regisseur, hat sich schon immer von der Spannung zwischen Stärke und Verletzlichkeit angezogen gefühlt. In seiner neuesten Serie, dem Buch Gentlemen's Club, erforscht Buck diese Gegensätzlichkeit innerhalb der Welt der Stripclubs. Über sechs Jahre hinweg hat er 40 Stripper:innen und ihre Partner:innen interviewt.
Ursprünglich waren Bucks Fragen einfach und drehten sich darum, ob die Befragten damit einverstanden sind, dass ihre Partner:innen strippen. Im Laufe der Zeit, als er dann mit mehr und mehr Paaren gesprochen hatte, begann sein Projekt Gestalt anzunehmen und beschäftigte sich mehr mit – wie er es ausdrückt – „dieser Art von komplizierten Beziehungen und wie wir uns in einer sozialen Welt bewegen, die nicht linear ist“.
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Diese Interviews sollen die Meinung der Leser:innen nicht ändern, sondern vielmehr augenöffnend wirken, sagt Buck. „Ich denke, es gibt eine beträchtliche Minderheit von Menschen, die auf eine Art und Weise leben, die man als sehr unkonventionell bezeichnen würde. Nichtsdestotrotz sind sie bloß ganz normale Menschen, die einfach nur versuchen, wie alle anderen zurechtzukommen. Die Leben dieser Personen sind nicht gewöhnlich, aber weisen viel mehr Gemeinsamkeiten auf, als du vielleicht vermutest“, sagt er. „Ich fühle mich zu Umständen hingezogen, die nie eine klare Antwort liefern.“
Im Folgenden erklärt Buck, wie ihm die Idee für diese Serie gekommen ist, wo er seine Interviewpartner:innen gefunden hat und was sein übergeordnetes Ziel für ein Projekt wie dieses war.
Refinery29: Erzähl uns doch, wie du auf die Idee für dieses Projekt gekommen bist.
Chris Buck: „Redaktionelle Fotografie und Werbung sind mein Hintergrund. Ich habe ständig jede Menge neue Ideen, aber irgendwann stieß ich an meine Grenze. Mir wurde klar, dass ich meine Ideen mehreren Faktoren anpasse: was mich interessiert, was originell ist und visuell effektiv sein könnte, aber auch, was sich für Werbematerial eignen würde [Bilder von Sessions, die ich an potenzielle Klient:innen verschicken kann, um Interesse an meiner Arbeit zu wecken]. Da sich Werbekund:innen oft konservativ verhalten, weil sie potenzielle Kundschaft nicht verschrecken wollen, wurde mir klar, dass ich durch diese Überlegungen einen Großteil meiner Arbeit einschränkte.“
„Sobald ich mir dieser einschränkenden Faktoren bewusst geworden war, kam mir die Idee, etwas zu machen, das frei davon war und mit Strip-Clubs zu tun hat, die mich schon immer fasziniert haben. Ich fing an, darüber nachzudenken, was ich tun könnte, das sich mit dem deckt, was ich als Fotograf mache. So kam ich auf die Idee, die Aufmerksamkeit auf Partner:innen von Sexarbeiter:innen zu lenken und eine Porträtserie über sie zu machen.“
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Ich war überrascht darüber, wie umfangreich die Interviews waren, da du ja eigentlich ein Fotograf bist. Hast du dich bewusst dafür entschieden, dem schriftlichen Teil des Buches so viel Gewicht zu geben wie den Fotografien?
„Ursprünglich hatte ich geplant, ein einzelnes Bild des Partners, der Partnerin oder der Paare aufzunehmen und ein kurzes Zitat jeder Person hinzuzufügen. Mein erstes Interview mit einem Kerl namens Pano dauerte 45 Minuten lang. Das war eine ganz schön intensive, aber auch tolle Erfahrung. Ich war wirklich aufgeregt, denn ich weiß, wenn ich Material in der Hand habe, das Gold wert ist. Nach drei oder vier solcher Interviews merkte ich auch, dass es schwer war, Leute zu finden. Ich wollte, dass dieses Buch etwas Gewicht hat. Also beschloss ich, mehrere Bilder von jedem Paar mit ausführlicheren Interviews zu veröffentlichen.“
Wenn man bedenkt, wie schwierig es war, Menschen zu finden, die bereit waren, mitzumachen, ist unter deinen Interview-Partner:innen doch ein so breites Spektrum an Menschen vertreten. Hast du bewusst versucht, eine Vielfalt an unterschiedlichen Geschichten und Erfahrungen zu finden?
„Ich denke, dass etwa die Hälfte der ganzen Geschichte [im Buch] steht. Weil der Beruf des Strippers oder der Stripperin so stigmabehaftet ist, waren die meisten Leute, die ich angesprochen habe, zwar begeistert von der Idee, lehnten mein Angebot aber letzten Endes ab. Die endgültigen Interview-Partner:innen stellen eine sehr selbstauswählende Gruppe zusammen.“
„Eines der besten Aufnahmen (siehe unten) zeigt Lana. Sie war eine der Personen, die am besten ausdrücken konnte, warum sie in dieser Branche tätig war und warum es etwas war, das sie tun wollte. Nichtsdestotrotz versteckt sie sich auf diesem Foto hinter ihrem Partner. Das erklärte sie folgendermaßen: ‚Ich mache bei dem Shooting mit, aber ich will nicht gesehen werden.‘ Also haben wir dieses Bild gemacht, auf dem sie sich zwar versteckt, aber dennoch im Spiegel sichtbar ist. Weil es diesen Zwiespalt so gut widerspiegelt, wurde es zu einem meiner Lieblingsbilder.“
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Hat dich etwas bei der Verwirklichung dieses Projekts überrascht?
„Die Interviews werden gegen die zweite Hälfte des Buches länger. Das hat damit zu tun, dass ich im Laufe der Zeit besser im Interviewen wurde und auch irgendwie mehr über die Welt dazulernte. Am Anfang stellte ich Fragen à la: ‚Fühlst du dich wirklich wohl in deinem Job?‘ Mit der Zeit lernte ich aus vorherigen Interviews und wendete sie diese Erkenntnisse an, weshalb meine Fragen auch aufschlussreicher und nuancierter wurden.“
„Ich sprach zum Beispiel mit einem Kerl, der in einer polyamoren Beziehung war. [Seine Partnerin] hatte eine fortlaufende Beziehung mit einem Kunden. Das war ihm unangenehm, weil sie es als Arbeit bezeichnete, während er das als Polyamorie sah und sie sich nicht einigen konnten. ‚Für mich ist ihr Verhalten polyamor. Für sie ist es Arbeit. Für sie macht es einen Unterschied, ob es sich dabei um eine offene Beziehung handelt oder ihren Job. Für mich ist es egal, ob es dabei um ihre Arbeit geht oder nicht, solange dabei mehrere Beziehungen auf einmal im Spiel sind‘, sagte er. Wir analysierten das Ganze, während er darüber sprach und versuchte, mir zu erklären, wo die Grenze liegt.“
Welche Botschaft soll dieses Projekt deinen Leser:innen im Idealfall vermitteln?
„Selbst wenn Leser:innen theoretisch mit dieser Art von Arbeit einverstanden sind, existiert immer noch ein tief sitzender Glaube, dass Sexarbeiter:innen nicht sehr anspruchsvoll sein können oder dass sie schlechte Entscheidungen getroffen haben müssen, die sie soweit gebracht haben. Das ist ja auch manchmal tatsächlich der Fall, aber manchmal auch nicht. Eines der Gesprächsthemen, die immer wieder aufkamen, war die Frage, ob es dieses Projekt gedacht sei, für Sexarbeiter:innen einzutreten. Das trifft aber nicht zu. In dieser Serie ging es mehr darum, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen, als darum, Lobbyarbeit zu leisten. Dennoch glaube ich, dass es wertvoll ist, eine breite, nuancierte Palette von Menschen zu zeigen. Selbst wenn sich deine Meinung über ihre Arbeit nach der Lektüre meines Buches nicht besonders ändert, siehst du sie danach zumindest in einem komplexeren Licht.“
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