Im Falle von Sigmund Freuds Denkmodell der Psychoanalyse werden Träume als eine Momentaufnahme unserer unbewussten Wünsche betrachtet. Seiner Ansicht nach spielen wir im Schlaf ein Band mit Dingen ab, die wir im Wachzustand nicht tun würden oder können. Für Freud stellten Träume die Erfüllung eines verdrängten Wunsches dar.
Für diejenigen, die schon einmal einen Sextraum hatten, ist diese Auslegung vielleicht etwas beunruhigend. Wenn du schon einmal aus einem solchen Traum aufgewacht bist – vor allem, wenn du das Bett mit deinem Partner oder deiner Partnerin teilst, die nicht darin vorgekommen sind– und dich noch an alle Einzelheiten erinnern kannst, weißt du ja, welch komplexe Gefühle dabei zutage treten können.
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Vor nicht allzu langer Zeit kam dieses Thema auf, als ich mit einer guten Freundin für ein Wochenende weg war. Als wir in einer Bar auf dem Land Bier tranken und Karten spielten, gestanden wir einander, dass wir in letzter Zeit mehr Sexträume hatten, als uns eigentlich lieb war.
Einer Studie aus dem Jahr 2019 zufolge, die in der Fachzeitschrift Psychology and Sexuality veröffentlicht wurde, gibt es einen Grund dafür, warum dieses Thema so häufig zur Sprache kommt. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen geben junge Frauen von heute nämlich häufiger an, erotische Träume zu haben (allerdings immer noch weniger als Männer).
Die Forscher:innen dieser Studie definieren einen erotischen Traum als „sexuell motivierte Handlungen wie Flirten, Küssen, Geschlechtsverkehr oder Masturbation sowie das Beobachten sexueller Handlungen“. 2.907 Frauen zwischen 16 und 92 wurden dafür zu ihren Träumen befragt. Dabei stellte sich heraus, dass 16-30-Jährige am häufigsten von sexy Szenarien träumen.
Wie die Studie zeigt, gibt es dafür eine ziemlich einfache Erklärung: Junge Frauen, die im Gefolge der feministischen Bewegungen der 1960er- und 70er-Jahre, die eine sexuelle Revolution herbeigeführt haben, aufgewachsen sind, gehen offener mit dem Thema Sex um. Infolgedessen berichten sie häufiger von erotischen Träumen, als das bei älteren Generationen in ihrem Alter der Fall gewesen wäre.
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Im Vergleich zu früheren Untersuchungen geben junge Frauen von heute häufiger an, erotische Träume zu haben (allerdings immer noch weniger als Männer).
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Zurück du der kleinen, ruhigen Kneipe am Land. Meine Freundin (die aus offensichtlichen Gründen anonym bleiben wollte) und ich sprachen über unsere ernsthaften Bedenken darüber, was unsere Träume bedeuten und wie sie unsere Beziehungen beeinflussten könnten.
„In meinem“, flüsterte sie über den wackelnden Tisch gelehnt und verschüttete dabei Bier, „bin ich immer eine jüngere Version von mir selbst und mache mit Männern in dem gleichen Alter rum.“
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Ich gestand, dass in meinen Träumen immer derselbe Ex-Freund vorkommt, und zwar so oft, dass ich mich inzwischen unglaublich unwohl fühlte und sogar mehrmals in Erwägung zog, wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen. Die ganze Sache veranlasste mich dazu, meine derzeitige Langzeitbeziehung zu überdenken.
Seitdem hat mir eine andere Freundin (die ebenfalls anonym bleiben wollte) erzählt, dass sie „angefangen hat, sich darauf zu freuen, das Licht im Schlafzimmeer auszuschalten“, weil sie dann endlich in einen erotischen Traum abdriften konnte (Randbemerkung: Sie ist sehr in ihre derzeitige bessere Hälfte verliebt).
Vielleicht liegt das daran, dass wir uns alle irgendwann in unserem Leben mit Freud beschäftigt – oder zumindest von ihm gehört – haben, wodurch wir die Vorstellung verinnerlicht haben, dass unsere Träume der Versuch unseres Unterbewusstseins sind, uns etwas zu mitzuteilen.
Sexuelles Verlangen und Schuldgefühle sind oft zusammenlaufende Teile des Menschseins. Wenn du aber von jemand anderem träumst, während du neben deinem realen Partner oder deiner realen Partnerin liegst, werden sie eins miteinander.
Dr. Dylan Selterman ist Dozent im Bereich der Psychologie an der University of Maryland. Seine Arbeit konzentriert sich auf Traummuster und darauf, wie Träume unser späteres Verhalten beeinflussen können. Ich fragte ihn, was er von den ober erwähnten Forschungsergebnissen hält.
„Um eine Sache klarzustellen: Die Studie beweist eigentlich nicht tatsächlich, dass junge Frauen (oder Männer) heute mehr erotische Träume haben“, sagt er und mahnt zur Vorsicht. „Sie zeigt lediglich, dass die Teilnehmer:innen die Häufigkeit ihrer erotischen Träumen höher einschätzen als das in früheren Forschungsarbeiten der Fall war. Das kann durch eine Reihe von Faktoren erklärt werden. Die Untersuchung, von der die Rede ist, basiert auf Erinnerungen, während in früheren Analysen Tagebücher verwendet wurden. Im Allgemeinen sind Tagebuchstudien genauer, wenn es um das Thema Häufigkeit geht. Nichtsdestotrotz können Studien, die auf der Erinnerung der Befragten beruhen, recht nützlich sein.“
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Mithilfe seiner eigenen Forschungsarbeit hat Selterman herausgefunden, dass der Inhalt erotischer Träume einen Einfluss darauf hat, wie wir danach mit unseren Partner:innen umgehen.
„Vor allem dann, wenn eine Person von etwas Negativem träumt wie Eifersucht oder Untreue, kann das zu mehr Konflikten und weniger Intimität am nächsten Tag führen. Das ist besonders bei Personen, die entweder sehr unsicher sind oder deren Beziehung nicht gut läuft, der Fall“, sagt er.
Bei Menschen, deren Beziehungen gut laufen, erhöht sich der Intimitätsgrad zu ihren Partner:innen nach einem Sextraum, hat er festgestellt.
Seltermans Forschungsergebnisse spiegeln die Erfahrung einer meiner Freund:innen wider. Sie bemerkte, dass sie durch ihre Sexträume mehr Zuneigung für ihren Partner zu empfinden begann. Sie sagte, dass sie ihn dank ihnen mehr zu „schätzen“ wusste und tatsächlich dazu angeregt wurde, mehr Sex mit ihm im wirklichen Leben zu haben. (Eine Kollegin erzählte mir, dass sie seit über einem Jahrzehnt immer wieder den gleichen erotischen Traum mit ein und demselben Mann hat. Bei diesem Mann handelt es sich um Eminem, für den sie seither große Gefühle hegt).
Bei einer anderen Freundin war aber das Gegenteil der Fall. Sie und ihr Partner hatten sich auseinandergelebet und sie war sich deshalb nicht sicher, ob sie mit ihm zusammen bleiben wollte. Nach jedem erotischen Traum, auf den sie sich so sehr gefreut hatte, fühlte sie sich „leer und hatte Schuldgefühle.“
Selterman hebt hervor, dass es zwar immer mehr Studien gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sie aber nicht ausreichen, um daraus konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen. In der Psychologie, so betont er, hat sich seit Freud eine Menge getan.
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„Ich bin mir nicht sicher, ob erotische Träume irgendetwas im Sinne von Symbolik oder latentem Inhalt ‚bedeuten‘. Dafür haben wir nämlich keine Beweise“, fügt er hinzu. „Stattdessen träumen wir wahrscheinlich von Sex, weil wir an Sex denken, während wir wach sind. Die Kontinuitätshypothese, die ein neueres Denkmodell widerspiegelt, besagt, dass Träume unsere Gedanken und Verhaltensweisen im Wachzustand widerspiegeln.“
Als ich Selterman frage, ob wir Sexträume ernst nehmen sollten oder nicht, antwortet er: „Warum nicht? Träume können uns einen großartigen Einblick in unseren Geist und unsere Beziehungen geben.“
Einsicht ist nicht dasselbe wie ein Traum, der uns eine verschleierte Botschaft aus unserem Unterbewusstsein übermittelt. Ein erotischer Traum spiegelt also eher etwas wider, worüber du an diesem Tag bereits nachgedacht hast. Wenn dich der Inhalt aber sehr überrascht, solltest du dir selbst gegenüber sehr ehrlich sein und dich fragen, was du eigentlich willst und ob du in deiner Beziehung tatsächlich das bekommst, was du brauchst, wenn du nicht schläfst.
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