Meine trans Tochter und ich haben neben unserem Gender auch noch etwas anderes gemeinsam: Wir werden beide schon unser ganzes Leben lang andauernd für Männer gehalten. Wir sind größer als die meisten Frauen. Wir haben riesige Hände. Wir müssen unsere Schuhe in der Herrenabteilung kaufen. Wir sind körperlich stark und von Natur aus eher muskulös. Unsere Schultern sind breiter als unsere Hüften. Und wenn eine von uns eine öffentliche Frauentoilette betritt, kann es schon mal passieren, dass eine Frau aufschreit. Das passiert uns beiden, und das andauernd. Diesen Frauen ist egal, dass einer von uns nach unserer Geburt ein „W“ auf die Geburtsurkunde geschrieben wurde, der anderen ein „M“. Wir passen einfach nicht rein. Und wann immer ich die Argumente höre, die radikale Feminist:innen von sich geben, um Frauen wie meine Tochter auszugrenzen, höre ich auch Argumente, die mich ausschließen – obwohl ich nicht trans bin.
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Meine Tochter und ich haben beide schon viel gelitten, weil wir in Körpern leben, die anderen Leuten nicht passen. Meine Größe und mein muskulöser Körperbau störten meine Mutter so sehr, dass sie nach medizinischen Möglichkeiten suchte, um mich davon abzuhalten, zu „männlich“ auszusehen. Sie ging mit mir zu Ärzt:innen, die sich mit der „Behandlung“ großer Mädchen auskannten, und überlegte laut, sich jemanden zu suchen, der oder die mir vielleicht ein paar Rückenwirbel oder einen Teil meiner Beinknochen entfernen würde, um mich kleiner zu machen.
Als meine Tochter noch sehr jung war, hatte sie kein Problem damit, mit männlichen Pronomen betitelt zu werden. Sie trug trotzdem gern Kleider und Nagellack. Als meine Nachbar:innen mein Kind im Garten im Kleid spielen sahen, riefen sie die Polizei – dreimal. Dreimal kamen dann bewaffnete Männer an meine Haustür und befragten mich zu meinen Erziehungsmethoden. Dann schauten sie sich mein Kind gründlich an, auf der Suche nach Anzeigen für Missbrauch. Mein Kind lernte, dass es gefährlich war, ein Kleid zu tragen – und dass uns unsere Nachbar:innen jederzeit im Auge hatten, sie verurteilten, und auch mich verurteilten, wegen unserer Gender-Verbrechen.
Meine Tochter und ich haben noch etwas anderes gemeinsam: Wir beide wissen, wie es ist, vom männlichen Privileg zu profitieren; selbst ich, als cis Frau. Während meines ganzen Lebens in diesem großen, starken Körper habe ich nie diese omnipräsente Panik empfunden, die mir jedes Mal aus den Augen der Frauen entgegenblickt, die mich in öffentlichen Klos anschreien. Ich lebe nicht in der konstanten Angst davor, von einem Fremden angegriffen zu werden.
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Männer behandeln mich anders als andere Frauen. So fühlt sich männliches Privileg an, wenn es einer Frau geschenkt wird. Wenn mich Männer anschauen, sehen sie jemanden, die sie als vorrangig maskulin lesen. Dieser Irrglaube hat mir im Laufe meines Lebens schon diverse Vorteile eingebracht. Manchmal waren das ganz konkrete Vorteile – zum Beispiel, wenn ich häufiger befördert wurde oder im Job bessere Aufgaben bekam. Manchmal waren die Vorteile auch etwas seltsam – zum Beispiel, wenn ich die einzige Frau war, die von den Männern zum Golfspielen eingeladen wurde, oder in den Stripclub. Und auch Frauen behandeln mich anders. Sie bitten mich darum, sie nachts zum Auto zu begleiten. Wenn sie von einem Fremden belästigt werden, werfen sie mir hilfesuchende Blicke zu.
Manche Feminist:innen würden meine Tochter aus der Kategorie „Frau“ ausschließen, weil mein Mädchen das Privileg hatte, als Junge aufzuwachsen. Dabei bin ich diejenige, die schon unverdiente Privilegien genossen hat – viel mehr als meine Tochter, trotz ihres Jungenseins. Lange bevor mein Kind jemals dachte: Ich bin trans, löste sie in anderen Menschen schon Feindseligkeit aus. Sie nannten sie „schwul“. Sie machten sich andauernd über sie lustig, und das voller Grausamkeit – nicht nur, weil sie sich manchmal außerhalb der von ihr erwarteten Gender-Kategorie verhielt, sondern auch, weil sie eine Behinderung hat.
Ich fühle mich komisch, wenn ich andere Feminist:innen sagen höre, dass ich, um eine echte Frau zu sein, die Art von Verletzlichkeit empfunden haben sollte, die ich meiner Meinung nach noch nie erlebt habe. Diesen Standpunkt vertrat die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in einem Interview von 2017:
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„Es geht darum, wie uns die Welt behandelt. Ich finde, wenn du bisher als Mann in dieser Welt gelebt hast – mit allen Privilegien, die die Welt Männern zuspricht –, und dann irgendwie das Gender wechselst, fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass wir deine Erfahrung mit den Erfahrungen einer Frau gleichsetzen sollen, die schon von Anfang an als Frau gelebt und nie die Privilegien genossen hat, die Männer genießen.“
Wenn ich mir diese Meinung dazu durchlese, was es heißt, eine Frau zu sein – eine Definition, die Gender anhand dessen definiert, was Frauen verwehrt wird, und nicht daran, wer sie sind –, tun mir die Frauen leid, die sowas glauben. Diese Perspektive definiert Gender nämlich auf Basis des Leids, das ihnen von Männern zugefügt wurde. Sie behandelt das Frausein als eine Art bewachte Wohnanlage, innerhalb deren Zäune alle darüber miteinander streiten, ob eine andere Frau – eine trans Frau – auch genug Unterdrückung erfahren hat, um selbst Zugang zu dieser Community zu bekommen. Dieser Blickwinkel schadet auch Männern, indem er Gender über alle anderen Aspekte stellt, die dich auch als Mann angreifbar machen können – wie die Hautfarbe, Behinderungen oder die Sexualität. Aspekte, die jegliches männliches Privileg neutralisieren, das diese Männer ansonsten genossen hätten, wären sie doch nur weiße, cis heterosexuelle Männer ohne Behinderung. Und idealerweise auch groß.
Letztens meinte meine Tochter zu mir: „Ich bin fertig mit meiner Transition, Mom. Ich bin jetzt genau so, wie ich sein will.“ Wie toll es für eine Mutter ist, von der eigenen Tochter zu hören, sie sei genau die Person, die sie sein möchte. Ich dachte in dem Moment, wie wunderschön sie ist – und dachte leider aber auch kurz darüber nach, wie unwahrscheinlich es ist, dass sie jetzt nie wieder mit dem falschen Pronomen angesprochen oder falsch verstanden wird. Dann dachte ich aber, dass das eigentlich egal ist. Sie ist wie keine Frau, die ich je getroffen habe. Sie hat beschlossen, dass es nicht ihr Problem ist, was andere von ihr halten. Sie will sich nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen, ob sie der Vorstellung anderer dazu entspricht, wie eine Frau aussehen „sollte“. Ich liebe meine Tochter aus vielen Gründen – aber als sie mir erzählte, sie sei mit ihrer Transition fertig, liebte ich an ihr am meisten, wie sie sich selbst liebt.
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Seit Kurzem spielen meine Tochter und ich mit einem Gender, das sich nicht ausschließlich von dem Wort Frau definieren lässt. Ich kann dir nicht sagen, ob diese Erkundung unserer individuellen Gender-Identitäten damit zusammenhängt, dass wir uns beide schon von den absurden, schädlichen und schmerzhaften kulturellen Erwartungen daran ausgegrenzt gefühlt haben, was eine „Frau“ sein sollte. Vielleicht lernen wir gerade einfach nur mehr über uns selbst. Wir sind keine Männer – das stellen wir beide klar. Aber wir lassen uns doch den Freiraum dafür, uns auf dem Gender-Spektrum nicht zwangsläufig an einem Ende einzuordnen. Wir probieren ganz viele Worte aus: maskuline Frau. Nicht-binär. Genderqueer. Demi-Frau. Manche Worte klingen verspielt, manche überraschend passend. Bei manchen von ihnen klopft mein Herz ganz doll, weil es darin etwas wiederzuerkennen scheint.
Ich denke oft darüber nach, wie merkwürdig es ist, dass manche Leute so fest davon überzeugt zu sein scheinen, dass sie entscheiden dürfen, wer ich bin.
Meine Tochter sagt mir, ihre Pronomen sind „sie“, und „they“, und „guter Junge“.
Ich sage ihr, meine Pronomen sind „they“, und „sie“, und „hey, du“.
Sie sagt mir, sie ist ein Zwergspitz.
Ich sage ihr, ich bin eine Krähe.
Claire Oshetsky ist die Autorin des Romans Chouette, inspiriert von der tollen Erfahrung, ihre Tochter aufzuziehen, die Musikerin Patricia Taxxon.
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