Eigentlich wollte ich vor sechs Jahren ein Buch schreiben zum Thema Aufklärung für Männer. Ich hatte mitbekommen, dass Männer oft nicht wissen, wie sie Frauen befriedigen sollen. Dann fand ich heraus, dass es schon Ratgeber gibt und die Männer es trotzdem nicht wissen – und brauchte einen anderen Plan [lacht].
Gianna, denken Sie auch, dass zu wenig oder die falsche Aufklärung betrieben wird?
Auf jeden Fall! Auch wenn ich an meine Jugend zurückdenke, muss ich schon sagen, dass ich nicht wirklich gut aufgeklärt war. Ich habe mich nicht getraut, meine Eltern zu fragen bei gewissen Sachen und habe das auch nicht mit Freundinnen besprochen. Von daher: Hätte ich damals schon die Möglichkeit gehabt, unsere Videos zu gucken, hätte mir das definitiv geholfen.
Der sicherste Sex ist der, der nicht stattfindet. Das ist aber nichts, was uns motiviert. Wir wollen Sexualität und Lust verbunden erleben
Wie wurden Sie aufgeklärt, Jan?
Zum Teil aus Büchern, die zu Hause zur Verfügung standen. Der biologische Teil kam in der Schule dran und den Rest habe ich in der Bravo gelesen. Klar, ich habe die Dr.Sommer-Sparten gelesen.
Hat sich Ihrer Meinung nach das Verhalten der Eltern in puncto Aufklärung in den letzten Jahren geändert?
Gianna: Sexualität ist in vielen Familien immer noch ein Tabuthema, über das nicht gesprochen wird. Ich glaube nicht, dass sich da so viel verändert hat. Aber das Thema bringt es ja auch einfach mit sich, es besteht viel Scham.
Jan: Und das ist ja auch eine Frage, welchen Teil man betrachtet: Geht es wirklich um Sexualaufklärung der Gefahrenprävention, oder geht es auch um Aufklärung im Bereich der Lust? Denn die Motivation hinter Sexualität ist nicht die Gefahrenprävention.
Ihnen geht es also mehr um Spaß als um Sicherheit?
Jan: Der sicherste Sex ist der, der nicht stattfindet. Das ist aber nichts, was uns motiviert. Wir wollen Sexualität und Lust verbunden erleben. Und dieser Drang, das in Erfüllung zu leben, das ist das, was uns motiviert Sex zu haben. Die Kommunikation über genau diesen Teil der Sexualität, die ist immer noch sehr eingeschränkt. Die Kommunikation über Gefahrenprävention hat sich schon etwas verändert, weil auch da das Grundwissen in der Gesellschaft einfach mehr geworden ist.
Und genau das ist ja das Problem, dass eben die motivierende, die lustbringende, die schöne Seite in der Kommunikation mit den Eltern aufgrund dem natürlich gegebenen Generationsunterschied immer noch tabuisiert sein “muss“, in Anführungsstrichen. Natürlich kann offene Kommunikation statfinden. Das kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten mit sich und ihrer Sexualität völlig im Reinen sind. Das ist aber sehr selten der Fall.
Wie sollen die Eltern denn mit ihrem Kind kommunizieren?
Gianna: Das ist schwer, denn man muss Fragen beantworten wie ‘Was ist denn an einem Kuss wichtig? Was ist an einem Blowjob wichtig? Wie funktioniert Analsex wirklich?’ Wenn die Eltern selber wenig Erfahrung damit haben, ist es schwieriger, das überhaupt zu kommunizieren. Aber selbst wenn sie Erfahrungen haben: Möchten sie ihrem Kind vermitteln, wie zum Beispiel jetzt eben dieses noch mehr tabuisierte Thema Analsex funktioniert? Ist es normal mit Fäkalien in Kontakt zu kommen? Was tut man dann?
Jan: Ja, das stellt für die Eltern eine große Herausforderung dar.
Wie viele Männer und Frauen wissen nicht, dass die Klitoris nicht nur der kleine, Stecknadel große Kopf ist?!
Werden Ihre Videos auch von Eltern geguckt, um die richtigen Erklärungen und Worte zu finden?
Gianna: Wir haben durchaus Zuschriften von Eltern bekommen, die gesagt haben, dass es ihnen geholfen hat und dass sie besser mit ihren Kindern kommunizieren können.
Jan: Die Eltern sind der eine Teil, zum anderen sind es auch gar nicht nur Jugendliche. Man denkt immer, dass Sexualaufklärung bei Jugendlichen im Fokus stehen muss, aber auch viele Erwachsene sind noch nicht gut aufgeklärt. Und das merkt man immer dann, wenn man Dinge anspricht, die nicht so weit über die Medien verbreitet werden.
Zum Beispiel?
Jan: Nehmen wir als Beispiel die Klitoris: Wie viele Männer, oder sogar auch Frauen, wissen nicht, dass die Klitoris nicht nur der kleine, Stecknadel große Kopf ist, sondern dass die Schenkel der Klitoris eben in die Schamlippen hineinreichen und dass sie Teil des Schwellkörpergewebes sind. Dass also auch das eine sehr Lust bringende Zone ist. Und es nicht nur darum gehen kann, bei der Befriedigung jetzt in diesem Fall, diesen kleinen Knubbel zu stimulieren. Warum also den Fokus darauf legen? Weil die grundlegende anatomische Kenntnis noch nicht einmal da ist. Weil im Biologieunterricht der Zyklus eine Rolle spielt, und Schwangerschaft und Prävention von Schwangerschaft und ganz viele Dinge darum, aber Lust bringende Themen wenn überhaupt nur angerissen werden.
Gianna: Ein anderes Thema, was kaum aufgegriffen wird, aber viele betrifft, sind sexuelle Funktionsstörungen. Wie zum Bespiel das Ejaculatio Praecox, also das zu früh Kommen, oder auch das nicht Kommen können, sowohl auf männlicher, als auch auf weiblicher Seite.
Woher bekommen Sie ihre Informationen, Quellen und Statistiken?
Gianna: Wir haben beide eine Ausbildung als Sexualpädagogen und haben da schon viel Wissen selber auch mitbekommen. Und wir bilden uns stets durch Bücher weiter. Und dann sind natürlich viele Themen aus der eigenen Erfahrung entstanden. Oder im Gespräch mit Leuten, also aus Erfahrungen von anderen Menschen.
Jan: Wir sind natürlich das komplette Gegenteil vom Kommunikationsdefizit in der Gesellschaft. Wir reden den ganzen Tag über Sex, machen uns Gedanken darum und gehen mit vielen Menschen in Kontakt. Sei es in Foren oder über Gespräche live, über Kommentare. Wir bekommen ja 10.000 Kommentare im Monat und darüber kommt sehr viel Feedback. Und all das sind Kommunikationsschnittstellen, aus denen wir eben zusammen dann Informationen rausnehmen, filtern, aufarbeiten und möglichst anwendbar und einfach verständlich umsetzen.
Das Video mit den meisten Klicks ist “Wie finger ich richtig?”, dicht gefolgt von unserem Leck-Video.
Gianna: Wir halten uns mit den Äußerungen über die eigene Sexualität sehr zurück. Denn bei uns geht es nicht darum, dass wir von uns so viel zeigen. Wenn man Sexualität von anderen Menschen, zumindest in einer gewissen Version sehen will, dann gibt auf den ganzen Pornografie- Plattformen sehr viel sehr grafisches Material
Jan: Bei uns ist aber der Gedanke dahinter gewesen: Wenn man sich selber zurückhält, dann ist es leichter bei der Person zu bleiben, um die es eigentlich geht. Und das ist der Zuschauer. Und um dessen Thema oder Frage.
Sex ist ein sensibles Thema. Haben Sie ein Regelwerk, wie Sie auftreten wollen?
Gianna: Auf jeden Fall sind unsere Regeln, dass wir versuchen sehr authentisch zu sein. Dass wir nicht versuchen irgendwie wie Professoren rüber zu kommen. Wir wollen nicht an die Schule erinnern. Dann ist im Grunde genommen auch eine Regel, wie eben besprochen, dass wir nichts aus unserer eigenen Erfahrung preisgeben. Dass wir den Zuschauer direkt ansprechen. Und dass wir versuchen, alle mit einzubeziehen und niemanden ausgrenzen. Dass im Grunde alles erlaubt ist, weil im Grunde ja immer mindestens zwei Menschen zu einer Interaktion dazu gehören.
Jan: Und das Ganze offen und ehrlich, und eher locker zu machen. So, dass man auch nicht so eine große Hürde hat, sich mit den Informationen, die dahinter stehen, auseinander zu setzen. Gibt es Trendthemen oder sind es immer wiederkehrende Fragen und Sorgen?
Gianna: Das Video mit den meisten Klicks ist „Wie finger ich richtig?”. Dicht gefolgt vom Leck-Video: „Wie lecke ich richtig?" Zugthemen sind auch immer „Das erste Mal“ – das sind natürlich die Themen, bei denen viele Unsicherheiten bestehen. Ebenso sind Penisgröße und Brustgröße wichtige Suchbegriffe. Die Jugendlichen fragen sich eben: Bin ich so normal, wie ich jetzt bin?
Jan: Es gibt einen Unterschied zwischen Dauerbrennern und Strömungen. 50 Shades of Grey ist ja jedem bekannt und dadurch ist die BDSM-Szene, die es ja schon viel viel länger gibt, wieder ans Tageslicht gekommen. Und dann gibt es YouTube-Trends: Wenn zum Beispiel ein YouTube-Star eine Geschichte oder einen Witz über einen gerissenen Schließmuskel bringt und das Hunderttausende gucken, dann sind Hunderttausende verunsichert. Weil sie sich natürlich Fragen stellen: Was tut man dann? Wie oft passiert das? Bei dem Geschichtenerzähler geht es um eine Story, ums Entertainment, bei uns geht es darum diese Sorgen, die dann auf einmal in der ganzen Generation von Jugendlichen schlummern, wieder zu beruhigen. Wir sind dann die Feuerwehr im Netz. [lacht]
Oh Gott, warum in der Schule über Sex lernen?! Vor allem mit einem Lehrer, der einem im nächsten Moment über Erdmännchen erzählt