Stefanie* ist eine 23-Jährige Autorin aus New York City. Obwohl sie seit ihrer Jugend masturbiert und sexuell aktiv ist, hat sie noch nie einen Orgasmus gehabt. Wie etwa 10-15 Prozent aller Frauen leidet Stefanie an Anorgasmie. Das bedeutet, sie kann keinen Orgasmus bekommen, etwas, was sowohl Männer als auch Frauen haben können. Der Begriff der „Anorgasmie“ wird in der Wissenschaft auch verwendet, um einen verzögerten Orgasmus zu beschreiben; aber manche Menschen, wie Stefanie, können nie einen Orgasmus erfahren. Dieser Umstand ist bekannt als primäre oder lebenslange Anorgasmie.
Die Ursachen für eine Anorgasmie können in vielen Dingen liegen, etwa an einem physischen Trauma des Beckenbereich, emotionale Störungen aufgrund von sexuellem Missbrauch oder die Nebeneffekte von Medikamenten. Bei Stefanie liegt es an einem Medikament, ein SSRI-Antidepressivum (Stefanie leide sowohl an Angststörungen als auch an Depression).
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Leider führt diese spezielle Nebenwirkung ihres Medikaments nur noch zu mehr Stress (und die Reaktionen vergangener Sexpartner haben auch nicht wirklich dabei geholfen). Auch ohne Orgasmus haben Menschen, die an Anorgasmie leiden, Sex - und können diesen auch zweifellos genießen. Stefani’s Geschichte ist eine Erinnerung daran, dass der Orgasmus nicht das Ziel beim Sex sein sollte und für viele eine Belastung darstellt.
Um mehr über ihre Situation herauszufinden, haben wir mit Stefanie gesprochen und darüber, wie es ist, mit Anorgasmie zu leben, welche Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden, und wie man trotzdem eine Sexgöttin sein kann.
Wie hast du rausgefunden, dass du Anorgasmie hast?
„Ich wusste nicht, was los ist, bis ich etwa 17 war. Ich hatte jahrelang masturbiert und auch mit Typen was gehabt, die mich gefingert haben, und es hat sich gut angefühlt - auch wenn ich nicht gekommen bin. Einmal hat mich ein Typ darauf angesprochen und gefragt, woher er wissen soll, wann er aufhören muss. Und ich dachte nur so… warte mal, jetzt, wo du es sagst: ich hab keine Ahnung! Ich hatte nie so einen Höhepunkt erlebt, egal ob alleine oder mit Partner. Ich habe angefangen, zu recherchieren und gelernt, dass Anorgasmie sehr häufig bei den Medikamenten vorkommt, die ich nahm - die SSRI-Antidepressiva. Ich nehme die, seitdem ich 11 bin, und zwar bis heute.“
Hast du mit deinem Arzt darüber geredet? Wie war das?
„Ja, und meine Psychiater sagten, dass wir abwarten müssten und die Vorteile die Nachteile überwiegen würden. Sie sagen alle, dass ich zwar ohne Medikamente kommen könnte, aber das Risiko für meine mentale Stabilität zu hoch sei. Ich habe eine generelle Angststörung und eine schwere Depression. Ich habe schon versucht, die Medikamente zu wechseln, um die Anorgasmie zu behandeln; ich habe Zoloft und Lexapro und Paxil genommen, was ich auch zur Zeit nehme, aber es hilft nicht bei der Anorgasmie. Und sobald ich etwas finde, was sowohl für meine Depression und Angststörung hilft, habe ich Angst, die Medikamente zu wechseln. Ich habe meinen Frauenarzt gefragt, ob irgendetwas körperlich nicht in Ordnung mit mir ist, aber sie hat mir versichert dass anatomisch alles seine Richtigkeit hat. Sie riet mir etwas beschämt, dass ich mehr masturbieren sollte. Ich will unbedingt eines Tages zu einem Sextherapeuten gehen, aber das ist finanziell gerade einfach nicht drin.“
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Wie reagieren deine Sexualpartner darauf?
„Jeder ist immer total schockiert, oder sie sagen sowas wie ‘Ja, viele Frauen können nicht beim Sex kommen - das ist normal!’ Aber wenn ich ihnen sage, dass ich nicht mal beim Masturbieren kommen kann, dann sind sie plötzlich still. Außerdem versucht mir jeder Typ zu versichern, dass er derjenige sein wird, bei dem es endlich klappt.“
Und wie hat sich das auf deine Beziehungen ausgewirkt?
„Ich bin oft frustriert, sowohl physisch als auch mental. Manchmal habe ich kleine Zusammenbrüche deswegen und bin richtig aufgewühlt, und mein Partner muss damit umgehen können. Ich hatte einmal einen Freund, der sich gewünscht hatte, dass wir mal zusammen kommen - daraufhin hatte ich ein schlechtes Gewissen und war traurig. Es beeinflusst mich und meine Stimmung mehr als meine Beziehungen. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper kaputt ist, aber das ist nichts, was meine Partner mit sich rumschleppen müssen.“
Hat das schonmal jemand persönlich genommen?
„Absolut. Die Typen, denen es wichtig war, dass ich komme, haben mich oft gefragt ob ich wenigstens nah dran sei, und ich musste immer sagen: ‘Nein…’. Und wenn ich die Situation erklären wollte, waren sie halt immer so schockiert, und ich merke auch, wann sie es persönlich nehmen. Dann muss ich ihnen immer erstmal sagen, dass es nicht an ihnen liegt, sondern an mir. Und ich denke - ich denke das machen viele Männer mit den Frauen, leider - dass sie dann meistens auch aufhören, mich mit der Zunge oder den Fingern zu befriedigen. Ich glaube, die denken ‘Ich bin müde, sie kommt eh nich, was soll’s also?’ Einmal gab es eine echt aufwühlende Episode, als ein Typ an mir runter gegangen ist, gefragt hat, ob ich schon fast komme und ich die Situation erklären musste. Da ist er einfach aufgestanden, hat seine Sachen angezogen und ist gegangen. Das war furchtbar.“
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Das ist wirklich furchtbar, tut mir sehr leid. Mit welchen anderen Vorurteilen musstest du dich aufgrund der Anorgasmie herumschlagen?
„Jeder denkt, ich könne einen Höhepunkt beim Masturbieren erlangen. Aber wenn man primäre Anorgasmie hat und noch nie gekommen ist, kann man noch so lange masturbieren und trotzdem nicht “ankommen”. Ein weiteres Vorurteil ist, dass ich Sex nicht genießen könnte, was überhaupt nicht stimmt. Viele scheinen das nicht verstehen zu wollen.“
„Ich bin eine sehr sexuelle Person. Ich liebe Vorspiel und Sex und ich empfinde viel Vergnügen dabei. Alles, was andere fühlen, fühle ich auch. Was oft hilft ist es, sich eben nicht so sehr auf den Orgasmus als Ziel zu konzentrieren; der Weg ist das Ziel. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Ich habe auch über mich entdeckt, dass Sex in einer liebevollen Beziehung eher ein spiritueller Akt ist. Dann nervt es mich auch nicht so sehr, dass ich nicht kommen kann, weil ich diese tiefe Liebe spüre.“
Welchen Rat würdest du jemandem geben, der mit Anorgasmie zu kämpfen hat?
„Erinnere dich immer wieder selbst daran, dass du nicht alleine bist. Es wird darüber nicht viel geredet, deshalb fühlt es sich oft an, als sei man alleine. Aber wenn du dich mit deinem Partner wohl fühlst, solltest du mit ihm über deine Anorgasmie sprechen. Das hat mir geholfen, unangenehme Situationen an einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden, wenn man gerade dabei ist. Und so schwer es auch ist, versuche, Sex als etwas anzusehen, was auch ohne Orgasmus Spaß macht. Selbsthass bringt da nichts. Versuch nicht, dir einzureden, dass du kaputt bist. Ich glaube, sobald man das akzeptiert hat, wird es auch leichter, Frieden mit sich selbst zu finden.“
*Name von der Redaktion geändert
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