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Warum ich auch meine oberflächlichen Freundschaften sehr schätze

Photographed by Ashley Armitage.
Ich habe mich mit einer Freundin zum Kaffee verabredet und will mich gerade auf den Weg zum Treffpunkt machen. Da klingelt auf einmal mein Handy. Es ist Jane: „Sorry, ich schaff's leider nicht. Mir ist was dazwischengekommen. Können wir uns ein anderes Mal sehen?“.
In einer Rom-Com wäre Jane eine chaotische Frau mit Bindungsangst, die hinter meinem Rücken mit meinem Ehemann schläft – oder sonst irgendein dunkles Geheimnis hat. Im echten Leben bin ich Jane. Ich bin diejenige, die kurz vor knapp abgesagt hat. Und ich weiß, dass das überhaupt nicht schlimm ist, weil meine Freundin genauso viel um die Ohren hat wie ich und es mir deswegen nicht übel nimmt.
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In unserer Gesellschaft gibt es dieses Bild von einer perfekten Freundschaft, in der man immer für einander da ist und für ein Kaffeedate alles stehen und liegen lässt. Sagst du dagegen kurzfristig ab oder bist nicht 24/7 zu erreichen, wirst du direkt als unzuverlässig abgestempelt. Als egoistisch. Als schlechte*r Freund*in. Aber bei mir und meiner Freundin ist das anders. Wir führen eine pflegeleichte Freundschaft und sind damit beide sehr zufrieden.
Tatsächlich habe ich sogar eine ganze Palette von chaotischen, entzückenden, viel beschäftigten, unzuverlässigen Freund*innen und das kratzt mich nicht die Bohne. Eine Freundin hat mal am Vorabend eines Wochenendtrips abgesagt. Der Rest der Gruppe hat einfach nur mit den Achseln gezuckt und dann sind wir trotzdem gefahren und hatten eine tolle Zeit zusammen. Eine Bekannte und ich haben allein diese Woche schon vier Mal unsere gemeinsamen Pläne über Bord geworfen. Eine andere hat mir erst im Nachhinein von ihrem Geburtstagsessen erzählt und meinte dann: „Ich hätte dich wirklich sehr gern dabei gehabt, aber ich weiß ja, wie busy du bist und deswegen habe ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht, dich einzuladen“. Andere wären an meiner Stelle sicher beleidigt oder traurig gewesen, aber ich wusste, dass es für sie und für mich so am besten war. Und dann gab es da noch den Freund, der mich an seinem Geburtstag anrief und mich fragte, ob ich nicht spontan Lust hätte, mit ihm Mittagessen zu gehen. Er kennt mich eben sehr gut.
Ganz anders als die Personen aus diesen Beispielen ist Sarah (das ist nicht ihr richtiger Name, sie würde mich killen, wenn sie hiervon wüsste). Ich kenne sie erst seit ein paar Jahren, aber sie war schon immer der Typ Mensch, der es immer schafft, zu allen sozialen Events eingeladen zu werden. Sie ist natürlich auch ein gern gesehener Gast und ich freu mich immer, wenn sie da ist. Aber sie stresst mich manchmal auch extrem. Sie muss alles kontrollieren und bis ins Kleinste planen. Das bringt mich nicht nur regelmäßig auf die Palme, es sorgt auch dafür, dass ich nicht unbedingt so scharf darauf bin, eine enge Freundschaft mit ihr aufzubauen.
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Das klingt, als sei ich eine richtig schlechte Freundin. Aber das finde ich ehrlich gesagt nicht. Wuiklich nicht. Die Menschen, die mir am Nächsten stehen, würden mich als fürsorglich und rücksichtsvoll beschreiben. Sie verbringen gern Zeit mit mir. Ich vergesse (fast) keine Geburtstage, geb gern mal eine Runde aus und bin immer pünktlich – wenn ich die Verabredung nicht abgesagt habe.
Die Psychologin Karen Kwong sagt, diese lockeren Freundschaften, in die du nicht so viel investieren musst, sind meist sehr unbeschwert. Sie bereiten dir Spaß, statt Stress. Sie setzen dich nicht unter Druck und erfordern nur wenig Planung und Zeit. Dank ihnen hast du immer jemanden, mit dem oder der du einfach nur diese neue Kunstausstellung anschauen oder ein neues Restaurant testen kannst. Dank ihnen kannst du mit einer anderen Person Zeit verbringen, ohne gleich tiefe Unterhaltungen führen zu müssen. Klingt oberflächlich und gefühllos, ist aber manchmal genau das, was wir brauchen.
Dazu kommt, dass du mit einer Person, mit der du „nur“ eine lockere Freundschaft führst, vielleicht auch mal andere Dinge ausprobierst und dadurch neue Eindrücke sammeln kannst, so Kwong. „Du kannst der unbeschwerte, freie Mensch sein, der du sein möchtest, weil dein Gegenüber dich nicht in eine Schublade steckt. Er oder sie kennt deinen emotionalen Ballast schließlich gar nicht. Du kannst deine Probleme für einen Moment vergessen“.
Kurz gesagt: Die sogenannten Low-Risk- oder Low-Stakes-Freundschaften verlangen dirnur wenig ab. Bei High-Stakes-Freundschaften ist dagegen das Gegenteil der Fall. So beinhalten sie oft auch Streits, Diskussionen, Tränen und Kummer. Ich hab schon Geschichten von Freundschaften gehört, die auseinander gingen, weil eine*r von beiden nicht alles stehen und liegen gelassen hat und 300 Kilometer gefahren ist, um an einer Taufe teilzunehmen. Oder weil die eine Person drei Jahre hintereinander keine Karte zu Weihnachten geschrieben hat (das könnte ich gewesen sein). Wer braucht diese Art von Druck in einer Freundschaft? Trotzdem haben High-Stake-Freundschaften natürlich auch ihre Vorteile: „Das Schöne an ihnen ist, dass du eine Person in deinem Leben hast, die mit dir alle Höhen und Tiefen durchsteht“, sagt Kwong.
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Sowohl Kwong als auch ich finden beide Arten von Freundschaften wertvoll. Beide haben ihre Berechtigung, wichtig ist nur, dass alle Beteiligten wissen, mit was beziehungsweise wem sie es zu tun haben. Wenn es dir zum Beispiel nicht gut geht und du dich ausheulen willst, solltest du dich besser nicht mit der Person verabreden, mit der du eine oberflächige Freundschaft führst. Es könnte sein, dass sie in der letzten Sekunde absagt und du alleine mit deinen Problemen dasitzt. Wenn du aber Bock auf einen lockeren Abend in einer Bar hast und mit einer (größeren) Runde von Freund*innen feiern willst, kannst du genau diesen Menschen einladen. Im besten Fall sorgt sie oder er für gute Stimmung, im schlechtesten sagt sie oder er ab – aber du hast immer noch andere Leute da, mit denen du feiern kannst.
Versteh mich nicht falsch: Ich sage nicht, dass ich keine Freund*innen habe, für die ich nicht alles tun würde. Aber ich persönlich schätze alle meine Freundschaften – egal wie deep sie sind. Tatsächlich ist eine der Freundinnen, die ich am meisten liebe, eine Person, zu der ich schon seit Wochen keinen Kontakt mehr hatte. Aber ich weiß, wenn wir uns sehen, wird es fantastisch.
Im Vergleich zu romantischen Beziehungen sprechen wir bei Freundschaften nicht über die Art der Beziehung – inklusive ihrer Grenzen, bemerkt Kwong. „Wir müssen also zwischen den Zeilen lesen und aufgrund des Verhaltens selbst Schlüsse ziehen. Wenn du ein ungutes Gefühl hast und denkst, ihr könntet unterschiedliche Erwartungen an die Freundschaft haben, solltest du es auf jeden Fall ansprechen.“
Fazit: Wenn es um die Art der Freundschaft geht, haben unterschiedliche Menschen unterschiedliche Erwartungen. Es ist weder schlimm, noch traurig, noch oberflächlich, wenn du mit manchen Freundinnen nie deine tiefsten Gefühle und Gedanken teilen wirst. Sie sind trotzdem wichtig für dein Leben, weil sie dir eine andere Seite an dir zeigen und deinen Horizont erweitern können.

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