Ich hatte gerade den dritten Zoom-Call des Tages beendet und suchte online nach neuen Rezepten für meine KitchenAid, die ich mir extra für die Selbst-Isolation zugelegt hatte. Da fiel mir eine Headline ins Auge, die mich wirklich verletzte: „Wir haben im ganzen Land virtuelle Dates auf die Beine gestellt – und du kannst zuschauen“. Ich ignoriere jetzt mal den Fakt, was für ein großer Fokus darauf gelegt wird, dass Singles ja noch daten können (müssen), selbst während einer globalen Pandemie – stell dir nur mal vor, sie müssten bis zum Juli allein bleiben; welche Katastrophe. Was mich wirklich an der Überschrift stört, ist der zweite Part: „du kannst zuschauen“. Für mich ist das das beste Beispiel dafür, wie wenig Respekt unsere Gesellschaft für die Gefühle von Singles hat. Sie nutzt ihre Suche nach Liebe zur eigenen Belustigung und Unterhaltung.
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Koch dir was, schmeiß Netflix an und scroll dann in aller Ruhe durch die Titel. Wetten, dein Essen wird noch dampfen, wenn du eine Serie gefunden hast, bei der der ehrliche Wunsch nach einer Partnerschaft als Grundlage für eine ach so lustige Show genutzt wird? Für eine Art modernen Gladiatorenkampf, bei der zwar niemand stirbt, aber bei dem mit Gefühlen gespielt und Hoffnungen zerstört werden. Kein Szenario ist zu krass, keine “Spielregeln“ zu übertrieben. Die Welt des Entertainments bringt Singles dazu, alles zu tun – und sie lässt dich dabei zuschauen.
Ich spreche natürlich von Finger weg!, Liebe macht blind und all den anderen Shows, die das Singledasein der einen zur Unterhaltung der anderen benutzen. Allein beim Tippen der Worte “Liebe macht blind“ wird mir schlecht. Wenn ich meiner Familie erzählen würde, ich hätte mich verlobt und würde mit einem Fremden zusammenziehen, den ich vor einer Woche kennengelernt und gestern zum ersten Mal gesehen habe, würden sie mich glaube ich einweisen lassen. Aber wenn über andere Menschen eine Serie gedreht wird, in der sie genau das machen, bingen wir alle die komplette Staffel an einem Wochenende weg.
Ich wünschte, es würde hier nur ums Fernsehen gehen. Doch das gleiche Verhalten lässt sich auch im echten Leben beobachten. In New York gibt es zum Beispiel eine Art Show, die UpDating heißt und bei der Menschen ihr erstes Date vor Publikum haben – mit verbundenen Augen. Anfang des Jahres habe ich eine PR-Email bekommen, in der das Konzept wie folgt erklärt wird: „Die Macher*innen casten und matchen nicht nur die geeignetsten New Yorker Singles, sie sorgen auch zusammen mit den Moderator*innen dafür, dass alles glatt läuft und das Publikum bei Laune bleibt und lacht“. WTF? Sie sorgen dafür, dass die Zuschauer*innen zwei alleinstehende Menschen auslachen, die sich nichts sehnlicher wünschen als eine*n Partner*in zu haben? Ernsthaft? Und dabei sitzen sich die beiden auch noch blind gegenüber und haben keinen blassen Schimmer, warum sie ausgelacht werden? Und das Traurigste daran ist, ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die sich liebend gern ins Publikum setzen und sich auf diese Weise unterhalten lassen würden. Und das bricht mir das Herz.
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Es ist mir unangenehm, wenn die Menschen um mich herum wissen, dass ich auf einem ersten Date bin – selbst, wenn es nur der Barkeeper ist. Ich versuche dann immer, den Fremden zur Begrüßung zu umarmen, denn wenn ich ihm meine zitternde Hand reichen würde, wüssten alle direkt was los ist. Es kostet mich so schon Überwindung genug, mich mit einer fremden Person zu treffen und mich ihr öffnen. Da will ich es mir doch nicht noch schwerer machen und mich freiwillig noch mehr unter Druck setzen, in dem ich andere Menschen dabei zuschauen lasse.
Mein Liebesleben ist eine private Angelegenheit. Und ich bin der Meinung, andere Menschen sollten das respektieren. Mein Wunsch, einen Gefährten zu finden, dient nicht deiner Unterhaltung. Ich bin ein echter Mensch mit echten Gefühlen und keine Serie, die nebenbei läuft, während du Sushi isst, Wein trinkst und mit Freund*innen chattest. Du kannst nicht kurz auf Pause drücken, damit du ja keinen cringy Moment verpasst, während du schnell auf Klo gehst. Wenn es irgendetwas in meinem Liebesleben gibt, das cringy ist, dann geht das nur mich etwas an. Würden mir Millionen von Menschen in diesen Momenten zuschauen, wäre das unglaublich demütigend für mich.
Und trotzdem wird eine neue Datingshow nach der anderen releast – und jede einzelne von ihnen benutzt Singles, die auf der Suche nach Liebe und Zweisamkeit sind, für Unterhaltungszwecke. Und das kotzt mich einfach an.
Die Ehe ist eine heilige Sache, die alle Menschen respektieren. Ich finde, das Singledasein verdient den gleichen Respekt. Es wird nie eine Show geben, hoffe ich, in der verheiratete Paare gegeneinander antreten und das erste Paar, das sich scheiden lässt, hat verloren. Es wird nie eine Show geben, in der das erste Paar, dass schwanger wird gewinnt, hoffe ich. Oder in der ein Adoptivkind der Preis ist, den man gewinnen kann. All diese Konzepte wären einfach widerlich. Weil manche Dinge im Leben eben einfach Privatangelegenheiten sind. Und deswegen behandeln wir sie auch mit dem Respekt, den sie verdient haben. Aber wenn es um Singles auf der Suche nach dieser heiligen Partnerschaft geht, vergessen wir anscheinend unseren Anstand und wollen einfach nur zuschauen. Ich meine, die wussten doch vorher, worauf sie sich einlassen, oder?
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Wenn wir anfangen würden, das Singledasein als wertvolle Zeit im Leben eines Menschen zu betrachten, dann würden wir vielleicht auch respektvoller mit alleinstehenden Menschen umgehen. Vielleicht hätten dann auch weniger Menschen das Bedürfnis, an Shows wie Liebe macht blind teilzunehmen. Vielleicht würden wir Singles uns dann nicht so unter Druck gesetzt fühlen, um jeden Preis eine*n Partner*in finden zu müssen. Denn ja, die Suche nach Liebe ist kostspielig. Und da spreche ich nicht nur von den hunderten, wenn nicht sogar tausenden Euros, die in Dating-Apps, Life Coachs und Webinare fließen. Und von denen man, ganz nebenbei bemerkt, keinen Cent zurückbekommt, sollte man am Ende ohne Partner*in dastehen. (Zum Vergleich: Wenn Rewe eine Flasche Wasser bei meiner Lieferung vergisst, bekomme ich mein Geld zurück. Aber mein Jahresabo bei einer Dating-Website erstattet mir niemand, wenn ich Silvester immer noch allein bin. Das ist dann schlicht und einfach mein Problem.)
Ich spreche auch von den emotionalen Kosten, die mit der Suche nach Liebe einhergehen. Wie muss sich wohl eine Single-Frau wohl fühlen, wenn sie The Bachelor und Liebe ist blind schaut und ihr Beziehungsstatus zur Belustigung anderer genutzt wird? Wenn ich diese Shows sehe, wenn ich sehe, wie Menschen buchstäblich um Liebe und Zuneigung kämpfen, fühle ich mich klein. Ich habe das Gefühl, für die Gesellschaft ist mein Beziehungsstatus etwas, für das ich mich schämen müsste. Und dann kommt die Entertainment-Branche und nutzt das Schamgefühl der Singles – das uns über die Jahre eingebläut wurde – aus und lässt uns wie Affen im Zoo tanzen. Denk an meine Worte, wenn du das nächste Mal deine alleinstehende Freundin nach ihren Datingstories fragst.
Singles sind keine Zirkusclowns. Unsere Verletzbarkeit dient weder eurer Belustigung noch eurem Zeitvertrieb. Unsere Wünsche, Bedürfnisse und Gefühle sind wertvoll; sie sind genauso heilig wie das Liebesleben von Paaren.
Bis mir nicht der Respekt entgegengebracht wird, den ich anderen Menschen zeige – ob sie nun single oder vergeben sind –, werde ich nicht tatenlos rumsitzen. Es ist mir egal, wenn ich mit meiner Meinung anecke. Es ist mir egal, wie viele Singles sich in Zukunft bei diesen Trash-Shows anmelden. Und es ist mir egal, für wie binge-worthy die Welt sie hält: Ich werde nicht aufhören, meinen Mund aufzumachen, bis die Menschen aufhören, Singles zu degradieren.
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