Kann es sein, dass sich sie unsere Datingkultur gerade komplett verändert? Früher hatte man zwei, drei Dates, lernte sich kennen und entschied dann, ob man zusammen sein will oder nicht. Heute hat man monatelang eine Bettgeschichte, aus der sich dann irgendwann vielleicht was Ernstes entwickelt oder eben auch nicht.
Nehmen wir meine Freundin als Beispiel. Sie hatte ein Jahr lang Spaß mit einem Typen – bis zu dem Tag, an dem sie herausfand, dass er mit einer anderen Sex hatte. Also gab sie ihm ein Ultimatum: Entweder er entscheidet sich für sie und damit für eine feste Beziehung oder sie lassen es komplett bleiben. Sie sind jetzt zusammen und er sieht den Tag des Ultimatums als ihren Jahrestag. Sie erzählt dagegen immer allen, dass sie zusammen sind, seit zum ersten Mal etwas zwischen ihnen lief.
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Eine andere Freundin kann dagegen gar nicht richtig sagen, wann aus dem „Casual Dating“, also dem unverbindlichen Dating, eine richtige Beziehung wurde. Sie waren einfach irgendwann zusammen. Und weil sie keinen Tag haben, an dem sie ihre Beziehung definiert haben, haben sie auch keinen richtigen Jahrestag.
Bei meiner Freundin und mir hat es auch etwas länger gedauert. Wir haben uns vier Monate gedatet, bevor sie mich fragte, ob wir es offiziell machen wollen. Diesen Tag zählen wir als Jahrestag, wobei der Tag unseres ersten Dates genauso viel Sinn ergeben und unsere Beziehung deutlich länger machen würde.
Die Frage ist also, ob es Zufall ist, dass meine Freundinnen und ich ähnliche Geschichten haben oder ob es heutzutage einfach so läuft. Ich denke ja, letzteres ist der Fall. Und wenn sich die Art und Weise, wie wir Beziehungen führen oder beginnen tatsächlich verändert, wirkt sich das auch auf das Thema Jahrestage aus.
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Die Idee einer langen, monogamen Beziehung vor der Ehe stammt aus der Zeit des zweiten Weltkrieges
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Dr. Lisa Wade, Professorin und Autorin von „American Hookup: The new Culture of Sex on Campus“, findet das nicht wirklich überraschend. Dating-Gewohnheiten ändern sich ständig: Bis 1950 feierte man zum Beispiel abgesehen vom Hochzeitstag gar keine Jahrestage, so Dr. Wade. Die Idee einer langen, monogamen Beziehung vor der Ehe stammt aus der Zeit des zweiten Weltkrieges. Damals sind viele Männer gestorben, manche heirateten Frauen aus anderen Ländern und einige stellten während des Krieges fest, dass sie homosexuell sind, weil sie dort ihre Sexualität erforschen konnten. Dr. Wade erzählt, dass junge Frauen in den USA durch die Medien beispielsweise dazu animiert wurden, ihre Männer fest an sich zu binden und nicht mehr gehen zu lassen. Schließlich will ja niemand allein sein und als „alte Jungfer“ sterben. Feste Beziehungen entstanden – und mit ihnen die Idee von Jahrestagen.
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Jetzt leben wir glücklicherweise in einer anderen Welt – zumindest theoretisch. Beispielsweise gibt es rein zahlenmäßig wieder mehr Männer, also „muss“ man sich nicht an einen binden, den man vielleicht gar nicht liebt. Außerdem ist es auch nicht mehr verpönt, wenn man nicht heiraten oder eine feste Beziehung führen will. Der Fokus liegt auf dem lockeren, offenen Dating, wodurch das Thema Jahrestage noch ein bisschen mehr von der Bildfläche verschwindet.
Obwohl Casual Dating wie eine Erfindung der Millennials klingt, ist es tatsächlich nichts Neues. Dr. Wade berichtet, dass es das Konzept schon seit etwa 1990 gibt. Damals erzogen Babyboomer ihre Töchter mit feministischen Idealen: Sie sollten all das machen können, was Männer machen. „Den Mädchen wurde beigebracht, dass es okay ist, wenn sie girly sein wollen, aber dass es noch cooler ist, wenn sie jungenhaft sind“. Das verinnerlichten die jungen Frauen und als sie zur Uni gingen, wandten sie es auch beim Sex an. Das Ergebnis: Unverbindlichkeit.
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Das Konzept des Casual Datings ist nichts Neues – das gibt es schon seit 1990.
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„In einer Welt, in der Casual Dating ganz normal ist, haben viele kein Interesse mehr an Romantik – oder tun zumindest so, als ob sie es nicht hätten“, so Dr. Wade. Heutzutage scheint es irgendwie gefährlich zu sein, seine Gefühle für eine andere Person offen zuzugeben. Anstatt direkt mit der Tür ins Haus zu fallen, finden manche einen kreativeren Weg in eine Beziehung. „Am Anfang steht zum Beispiel ein One-Night-Stand. Aus dem wird dann eine Affäre und daraus dann eine exklusive Bettgeschichte – und trotzdem ist man noch längst kein Paar“. Schritt für Schritt tastet man sich an eine feste Beziehung heran. Da es aber keinen direkten Anfangspunkt gibt, gibt es auch keinen festen Tag, den man jedes Jahr feiern kann.
Manche mögen meinen, diese Dating-Kultur würde die Liebe kaputtmachen. Doch ganz so einfach ist es laut Dr. Wade nicht. Zwar besteht die Gefahr, dass bei der Partner*innenwahl das Augenmerk stark auf Äußerlichkeiten gelegt wird. Aber sich langsam an eine Beziehung heranzutasten, statt direkt reinzuspringen, kann auch Vorteile haben. „Wenn man diese Herangehensweise mit der vorhergehenden vergleicht, scheint die Idee, sich nach drei Dates bereits für oder gegen eine feste Beziehung zu entscheiden, überstürzt, fast schon naiv. ‚Alles oder nichts‘ ist ein großer Schritt“, so Dr. Wade. Unverbindliches Dating, wenn auch nur vorerst, ist dagegen vorsichtiger und sicherer. Menschen, die sonst in unglücklichen Beziehungen gelandet wären, nehmen sich jetzt Zeit, ihr Gegenüber in Ruhe kennenzulernen und genießen gleichzeitig etwa die Vorteile von zwanglosem Sex. „Das Ganze erschwert natürlich die Auswahl eines Jahrestages. Aber es zeigt eben auch, wie konstruiert dieser früher war“, erklärt Wade. „Es war eine Vorgabe unserer Gesellschaft, dass wir überhaupt einen Tag haben müssen“.
Nehmen wir also an, dass Jahrestage ein soziales Konstrukt sind, ist es also vielleicht gar nicht so wichtig, dass man einen hat.