Dass die Beziehung zwischen Frauen kompliziert sei, mag das große Unterstatement des Jahrhunderts sein – denn ja, es ist komplett wahr. Ob wir über dich oder deine beste Freundin sprechen, deine große Uni-Clique oder der enge Kreis an Mädchen, mit denen du aufgewachsen bist, die Besonderheiten weiblicher Freundschaften können schwer zu verstehen sein, erklärt Soziolinguistin Deborah Tannen.
Sie muss es wissen: Sie hat wortwörtlich ein Buch über dieses Thema geschrieben. In You're The Only One I Can Tell: Inside the Language of Women's Friendships, Tannens neuester nicht-fiktionaler Schinken, der im Frühjahr veröffentlicht wurde und genau das behandelt, was der Titel verspricht, gräbt die Autorin in den Tiefen, wieso Konversationen zwischen Freundinnen so unterschiedlich von anderen Arten der persönlichen Beziehungen in unseren Leben sind. Wir haben mit Tannen darüber gesprochen, was es bedeutet, ein Geheimnis unter Frauen zu verraten, wieso es manchmal sogar wichtig und richtig ist, zu lästern und wie sich sogar schon junge Mädchen untereinander mit Schweigen bestrafen. Sie hat uns auch eine gute Faustregel gegeben, damit der Beste-Freundinnen-Status auf jeden Fall bestehen bleibt – lest bis zum Ende und findet jede Menge Expertenratschläge.
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Als Linguistin und Autorin hast du dich in der Vergangenheit vieler spezifischer Beziehungsdynamiken angenommen. Wieso jetzt der Sprache weiblicher Freundschaften?
Mein letztes Buch handelte von Schwestern und das davor von Müttern und Töchtern, also war es logisch, dass jetzt die dritte Beziehungskonstellation, die einen großen Teil im Leben einer Frau einnehmen, dran ist: Freundschaften. Viele Frauen, die ich befragt habe – es waren über 80 formelle Interviews, dazu alle möglichen Leute, in die ich reingerannt bin, während ich geschrieben habe – sagten so etwas wie „meine Freundinnen sind mein Leben” oder „meine Freundinnen sind das stützendste Glied in meinem Leben” und „meine weiblichen Freundschaften sind essentiell wie die Luft zu atmen”.
Aber ich habe auch von Problemen unter Freundinnen gehört. Eine Frau hat mir erzählt, dass der Großteil ihrer Therapiestunde bei einer Psychologin dafür drauf geht, über eine bestimmte Freundin zu sprechen, mit der sie ständig Probleme hat. Gespräch sind, natürlich, ein großer Teil von weiblichen Freundschaften und engen Beziehungen – und vieles, über das Freundinnen miteinander sprechen, sind andere Freundinnen.
Ich glaube die meisten Frauen wissen, dass die Gespräche in einem rein weiblichen Kreis speziell sind. Aber was steckt wirklich hinter den Unterschieden der Sprache, die von Frauen mit Freunden und Freundinnen und derer, die von Männern benutzt wird?
In meinem damaligen Buch You Just Don’t Understand, habe ich es zu der Art zurückverfolgt, wie kleine Mädchen und Jungen Sprache mit ihrem gleichgeschlechtlichen besten Freunden nutzen und wie sie dazu neigen, mit ihren gleichgeschlechtlichen Freunden und Freundinnen zu spielen. Es scheint in unterschiedlichen Kulturen der Welt allgemein üblich zu sein, dass kleine Mädchen mehr Zeit damit verbringen, zu sitzen und zu sprechen – und dass sich ihr Sozialleben stark auf ihre beste Freundin bezieht. Etwas, das ich häufig zu pflegen sagte: Deine beste Freundin ist diejenige, der du alles erzählst, bei Frauen wie auch Mädchen; für Männer jedoch ist der beste Freund derjenige, mit dem man alles unternimmt. Der Fokus bei Frauen und Mädchen liegt auf dem Gespräch, bei Männern und Jungs auf den Aktivitäten. Das scheint man bis zur Kindheit zurückverfolgen zu können. Das wirft die Frage auf: Ist es die Sozialisierung, die sie von anderen Jungen und Mädchen übernehmen, oder ist es angeboren? Meine Ausbildung befugt mich nicht, vollständig darüber urteilen zu können, aber meine Einschätzung ist, dass es gut möglich eine Kombination aus beidem sein könnte.
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„Freund” und „Freundin” bedeutet für jeden etwas anderes. Zum einen kann das Wort so viele unterschiedliche Beziehungen beschreiben: Menschen, die man schon sein ganzes Leben kennt; Menschen, die man gerade erst kennen gelernt hat; Menschen, mit denen man spricht, die man im sozialen Umfeld trifft, mit denen man Emails schreibt; Menschen, die man nie getroffen hat, wie beispielsweise Online-Freunde. Es gibt auf jeden Fall allerdings einige Tendenzen, je nachdem, in welchem Lebensstadium man sich gerade befindet: Freundschaften können in der Grund- und weiterführenden Schule, sowieso an der Uni der Fokus sein. Wenn man verheiratet ist, arbeitet, Kinder hat, verschiebt sich der Fokus im Leben und die Freundschaften werden weniger zum Druckherd.
Eine Sache, über die du in deinem Buch schreibst, ist, wie Geheimnisse zwischen Frauen demonstrativ für unterschiedliche Machtstrukturen sein können. Kannst du das für uns herunter brechen?
Ich beschreibe es mal so: Eine Frau sagte zu mir „Wenn du jemanden persönliche Informationen erzählst, ist es so, als würde man sagen, dass man dieser Person ein Stückchen von einem selbst gegeben hätte. Das bedeutet, man mag diese Person, die jetzt ein Stück von einem hat. Die Frage ist: Was macht diese Person damit? Die Geborgenheit, die damit einhergeht, dass man jemand anderem seine Geheimnisse anvertraut – etwas, das andere Menschen nicht wissen –, ist für viele Leute ein Merkmal einer engen Freundschaft.
Das lässt einen jedoch für Risiken offen sein, denn die Personen könnten dein Geheimnis anderen anvertrauen, aus verschiedensten Gründen wie: Es könnte ein Versehen sein, weil sie nicht wussten, dass es vertraulich war. Es könnte aber auch Absicht sein und das aus zwei verschiedenen Gründen. Einer ist: Mädchen und Frauen sind ziemlich kompetitiv wenn es darum geht, wer was weiß und zuerst weiß, weil das ein Merkmal dafür ist, wie eng man ist. Und wir mögen es, zu zeigen, wie eng wir mit anderen Frauen sind. In manchen Fällen betrifft das nur die Frauen in deinem Kreis. In anderen jedoch könnte es um jemanden mit einem höheren Status gehen und du willst zeigen, dass du diese Person kennst. Zu zeigen, dass man die Geheimnisse dieser Person kennt, könnte ein guter Weg sein zu zeigen, dass man ihr nahe steht. Das treibt den eigenen Status nach oben, was wiederum der Grund sein könnte, wieso Menschen ein Geheimnis verraten. Der zweite ist: Es gibt das Risiko, dass die Personen böse auf dich werden, was besonders oft in den Geschichten der Schüler und Studenten vor kam, in denen Mädchen sich bewusst dafür entschlossen, sich gegen jemanden zu wenden und Gerüchte zu streuen.
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Wie hat Technologie weibliche Freundschaften beeinflusst und vor allem die Art, wie Frauen untereinander umgehen?
Ich denke, dass die Sozialen Medien die positiven und schwierigen Aspekte von Beziehungen erhöhen – es ist letztlich nur eine neue Herangehensweise an die Prozesse, die bereits seit einer langen Zeit da sind. Mädchen und Frauen neigen dazu, mit anderen Freunden in Kontakt zu sein, diese Freunde wollen wissen, was bei einem im Leben so abgeht. Wenn etwas Wichtiges passiert und deine Freundin nichts davon wusste, wird sie sich entweder denken, dass ihr doch nicht so gute Freunde seid wie erwartet, oder sie wird verletzt sein, dass du es ihr nicht erzählt hast.
Konstant durch Facebook, Instagram, Snapchat und Chatten in Kontakt zu sein ist gewissermaßen eine Verlängerung des Gefühls, in Kontakt zu sein – dass man nicht einfach für zehn Jahre abhauen und dann zurückkommen kann. Generell ist die Möglichkeit, konstant durch besagte Medien in Kontakt zu bleiben nur eine Weiterentwicklung des Telefonats. Es ist typisch, dass Frauen öfter in diesen Konversationen agieren, aber nicht so ausführlich. Ich glaube nicht, dass Leute vergessen, wie man Freunde sein kann – meine Studenten erzählen mir, dass sie immer noch zum Hörer greifen, wenn es gerade passt.
Ich war von diesem Beispiel, das mir zwei Frauen gegeben haben, fasziniert: Sie waren seit der Uni Freundinnen, texten nach einer Zeit allerdings mehr als dass sie telefonieren. Das hat eine der beiden sehr verletzt, weil sie das Gefühl hatte, die Antworten der anderen seien irgendwie abgehakt gewesen. Also hat sie sich bei ihrer Freundin beschwert, die wiederum antwortete, dass sie nicht gedacht habe, Textnachrichten seien ein adäquates Medium, um einem das Herz auszuschütten. Ihre Freundin jedoch empfand es so. Was es wieder auf den einen Punkt bringt: Freunde können sehr unterschiedliche Auffassungen davon haben, was sich im Nutzungsverhalten von Medien gehört und nicht gehört.
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Ein Stereotyp besagt, dass Frauen lästern. Außerdem scheint es ein gemeingültiges Einverständnis darüber zu geben, dass Lästern schlecht sei. Aber sich über andere Menschen zu unterhalten ist nicht immer schlimm: Es zeigt auch, dass man ein Interesse an anderen hat.
Deborah Tannen
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Und es gibt noch eine Sache, deren Problematik in die Höhe geschossen ist: Mädchen und Frauen sind besonders sensibel in Hinblick darauf, irgendwo ausgeschlossen zu werden. Und es gibt einen Grund hierfür: Mädchen bestrafen andere Mädchen damit, in dem sie sie ausschließen. Jungs tun das nicht. Sie mögen ihre Freunde strenger behandeln, aber sie würden sie nie außen vor lassen. Wir sind oft verletzt über Dinge zu erfahren, zu denen man nicht eingeladen war, oder einfach bei Dingen nicht Teil gewesen zu sein, das war schon immer so. Jetzt aber muss man darüber nichts hören, man muss es auch noch sehen. Man sieht Bilder und das kann einen wie aus heiterem Himmel treffen – man war nicht darauf vorbereitet, plötzlich ein Bild der Dinnerparty eines Freundes oder einer Freundin zu sehen, bei der auch andere Freunde waren, zu der man allerdings nicht eingeladen war. Und dann fühlt man Stich, dass man ausgeschlossen wurde. Deshalb habe ich das Akronym FOBLO geschaffen: Fear Of Being Left Out (Anmerkung der Redaktion: die Angst, ausgeschlossen zu werden)
Du hast einige von diesen Akronymen gehabt – ich glaube, FOGKO war ein weiteres. Kannst du uns mehr darüber erzählen?
FOGKO ist die Fear Of Getting Kicked Out (Anmerkung der Redaktion: die Angst, heraus gekickt zu werden). Ich habe viele Geschichten über Mädchen – meist in der Schule, aber auch im älteren Alter – gehört, in denen eine ganze Gruppe eine Person heraus gekickt hat. Es ist irgendwie so, als würden sie sich ein Mädchen aus der Gruppe heraus picken und ihr dann den Rücken zu kehren, aufhören mit ihr zu reden, sie nicht mehr auf Parties einladen: die Persona non grata. Es ist wirklich erschütternd. Manchmal habe ich von einer Frau dieser Gruppe gehört, dass sie selbst wisse, es sei unrecht, aber nicht einschreiten würde. Später werde ich dann hören, dass sie sich irgendwann doch getraut hat, etwas zu sagen und die Gruppe sie dann ebenfalls ausgeschlossen habe.
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Das ist es, wovor wir Angst haben, weil Frauen andere Frauen den Rücken kehren und sie verstoßen. Die Angst ist immer da. Gruppen von Frauen sind furchteinflößend. Es ist wundervoll von außen, wenn andere versuchen, reinzukommen. Aber von innen ist es erschreckend, eben aufgrund dieser Angst, dass man selbst verstoßen wird.
Zu guter Letzt: Ein für alle Mal, wann ist es wirklich in Ordnung, über unsere Freundinnen zu lästern?
Ein Stereotyp besagt, dass Frauen lästern. Außerdem scheint es ein gemeingültiges Einverständnis darüber zu geben, dass Lästern schlecht sei. Aber sich über andere Menschen zu unterhalten ist nicht immer schlimm: Es zeigt auch, dass man ein Interesse an anderen hat. Ich zitiere hier gerne Margaret Meade, die sagte, Anthropologe sein an Lästereien interessiert, weil es das ist, woraus das Leben besteht. Lästern ist eine Art des Philosophierens, eine Art darüber nachzudenken, welchen Problemen sich andere stellen müssen und wie sie diese Probleme angehen. „Über jemanden reden” ist nicht zwangsläufig schlecht – oft ist es sogar positiv.
„Gegen jemanden reden” ist oft die Art des Gesprächs, das oft mit Lästern verwechselt wird – das ist kompliziert, vor allem, wenn alles erfunden ist oder einen bösartigen Hintergedanken hat. Es ist interessant: Nicht wenige irische Autorinnen haben darüber geschrieben. Es scheint ein besonderes Risiko der Gegenrede in kleinen Gemeinschaften zu geben. Ich denke, für Frauen jedes Alters ist es wichtig, die Gesprächskonventionen nicht zu vergessen. Wenn man einen negativen Eindruck von einem Gespräch bekommt, kann es sein, dass dieser Eindruck lediglich auf unterschiedlichen Gesprächskonventionen basiert. Ein Beispiel: Eine Frau erzählte ihrer Freundin, dass ihre Mutter im Krankenhaus läge. Ihre Freundin jedoch fragte künftig nie wieder nach, wie es der Mutter ginge. Die Frau, deren Mutter krank war, konfrontierte ihre Freundin damit, die wiederum erklärte, in ihrer Familie hätte sie gelernt, dass man anderen keine persönliche Fragen über deren Familien stellen sollte, die einen aufwiegeln könnten.
Was also als „kein Interesse zeigen” verstanden wurde, war eigentlich genau das Gegenteil aus der Sicht der anderen Person. Je mehr wir uns außerhalb unserer engsten Kreise umschauen, desto mehr werden wir mit Menschen mit anderen Gesprächskonventionen konfrontiert. Sich dessen bewusst zu sein, ist sehr wichtig.
You're The Only One I Can Tell: Inside The Language Of Women's Friendships von Deborah Tannen ist jetzt erhältlich.
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