Seit einem Monat war ich nun verheiratet. Die Hochzeit war herrlich gewesen, perfektes Kleid, ein wunderschöner Ring und tolle Flitterwochen in Europa. Ich war verheiratet mit George, dem Mann, den ich liebte. Dem Mann, der süchtig war und heimlich Drogen nahm.
Im ersten Jahr unserer Ehe, ich war 28 Jahre alt, bemerkte ich, wie unser Erspartes mit jeder Woche schwand. Eine plausible Erklärung, wohin all das Geld ging, gab es nicht. Bald stritten wir uns ständig wegen der Finanzen. Ich dachte mir: „Das ist doch nicht der Mann, den ich kenne!” Ich schob unsere Probleme auf Anfangsschwierigkeiten, das verflixte erste Jahr eben. Ist nicht das erste Jahr einer Ehe immer das Schwierigste? Aber es war alles wirklich extrem und da war auch nicht nur das fehlende Geld. Da war auch Georges häufiges Verschwinden, seine Geheimnistuerei, das neue Passwort für sein Telefon, sein gemeines Verhalten.
Nach einem Jahr Ehe ging mir endlich ein Licht auf. Wir waren beim Geburtstag meiner Nichte, als George plötzlich am Tisch einschlief. Ich werde nie die Blicke vergessen, die meine Schwester und mein Bruder austauschten. Ich wusste, was sie dachten, ich hatte denselben Gedanken: Was ist los, verdammt noch mal? George gab vor, einfach nur müde zu sein.
Der nächste Tag war der 4. Juli. Amerikanischer Unabhängigkeitstag. Wir hatten uns gemeinsam etwas vorgenommen, aber George behauptete unter Angabe fadenscheiniger Begründungen, dass er nochmal wegmüsse. Irgendwann sagte ich: „Dann geh doch einfach.” Weg war er. Ich war so enttäuscht und frustriert, dass ich eine Putzattacke bekam. Beim Staubsaugen zwischen zwei Sofakissen hörte ich ein klickendes Geräusch. Und siehe da, zwischen den Kissen steckte ein Fläschchen mit Xanax, einem verschreibungspflichtigen Medikament. „Wo, zum Teufel, kommt die denn her?‘”, fragte ich mich. Ich wurde kreidebleich.
Dieser Augenblick hat mein ganzes Leben verändert. Jeder verschwundene Dollar, all die Ausreden, die undeutlichen Worte, die Abende, als George verdächtige SMS schrieb, statt sich mir zu widmen – plötzlich tauchte alles wieder vor mir auf. Mein Mann war drogenabhängig.
Nach dieser Erkenntnis begann ich sofort zu handeln und rief einen Therapeuten an, der uns am nächsten Tag aufsuchen könnte. Er fragte mich, ob ich mit der Tatsache umgehen könne, mit einem Drogenabhängigen verheiratet zu sein. Als ich dieses Wort hörte, drehte sich mir der Magen um. Ich sagte: „Ja, aber nur, wenn George alles in seiner Macht Stehende tut, damit es ihm bald besser geht.” Das hieß: Beratung, Treffen bei „Narcotics Anonymous“ – und Ehrlichkeit.
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Ich glaubte, mein Enthusiasmus könnte seine völlige Antriebslosigkeit ausgleichen.
Andrea Lynn
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Ich musste aber lernen, dass „Ehrlichkeit“ im Wortschatz von aktiven Medikamentenabhängigen nicht vorkommt. George ging zu den Selbsthilfetreffen, verließ sie aber schnell wieder. Er versuchte es mit Beratungsgesprächen, ging aber irgendwann einfach nicht mehr hin. Trotzdem war ich immer noch überzeugt, dass wir es schon schaffen würden. Ich schickte ihm per SMS Geschichten über Süchtige, ich betete mit ihm, las ihm aus seinem Narcotics-Anonymous-Buch vor, spielte mit ihm Basketball und lobte ihn, wenn er gute, gesunde Dinge tat. Ich glaubte wahrscheinlich, ich könnte mit meinem Enthusiasmus seine völlige Antriebslosigkeit ausgleichen.
Ein weiteres Jahr verging, eine Verbesserung war nicht in Sicht. Ich wollte keine Scheidung, konnte aber so nicht länger leben. Ich fand Pillen, eingewickelt in Papiertücher, in der Couch, in Schuhen, aufgeschnittene Röhrchen hinter der Kommode. Es gab Zoff mit meinen Schwiegereltern. Und Lügen über Lügen.
Ich wollte nicht mal mehr die Wohnung putzen, aus Angst vor dem, was ich noch alles finden könnte. Jedes Mal, wenn sein Telefon klingelte, wurde mir übel. Unsere gemeinsamen Ersparnisse waren so gut wie weg. Ich wurde mit jedem Tag verzweifelter, während ich weiter versuchte, Licht am Ende dieses verdammten Tunnels zu sehen. Als ich erfuhr, dass ich schwanger war, kam es mir vor wie ein göttliches Zeichen; doch drei Tage danach bekam ich Blutungen.
Wenige Tage später, während George schlief, ging ich an seinen Rucksack. Darin fand ich Xanax und verschiedene andere Medikamente. Alle meine Anstrengungen waren umsonst gewesen. Ich hatte getan, was ich konnte, um ihm zu helfen, er aber schien sich nicht einmal zu bemühen. Heute weiß ich, dass Sucht eine Krankheit ist und dass George von diesen Medikamenten körperlich abhängig war – und im Nachhinein glaube ich wirklich, dass mein Mann aufgehört hätte, wenn er es gekonnt hätte. Aber damals war ich einfach nur wütend. Ich war fix und fertig und rief meine Mutter an.
Die nächsten fünf Wochen verbrachte ich bei meinen Eltern, in der Hoffnung, George würde alles tun, um mich zurückzugewinnen. Reha? Beratungsgespräche? Nichts. Er war offenbar nicht dazu bereit, clean zu werden. Als ich ihn wiedersah, trug er ein Sweatshirt, obwohl es ein warmer Vormittag im August war. Weil er auf Drogen war und seine Einstichstellen verbergen wollte? Dass ich mir diese Frage überhaupt stellte, sagte bereits alles. Ich brauchte nichts mehr zu wissen. Ich konnte nicht mehr versuchen, George zu „retten“ und mich dabei selbst opfern. Ich würde ihn ja sowieso nicht retten können.
Ich sagte George, dass ich die Scheidung wolle. Endlich verspürte ich ein Gefühl der Erleichterung. Meine Eltern unterstützten mich voll und ganz. „Wir stehen das durch“, sagte mein Vater immer wieder. Dennoch: Ich fühlte mich schuldig, denn ich war es, die fortgegangen war. Mich verfolgten Bilder, auf denen ich George sterben sah. Ich bereute die Dinge, die ich im Zorn ausgesprochen hatte. Ich dachte, ich sei ein scheußlicher Mensch, weil ich ihn verlassen hatte. Zwar wusste ich, dass ich mein Bestes gegeben hatte, aber die Schuldgefühle wurde ich nicht los.
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Die Sucht nimmt weg, was normal ist.
Andrea Lynn
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Allmählich begann ich ein neues Leben. Unsere Scheidung war rechtskräftig, auch wenn es sechs Monate dauerte, bis ich die Kraft hatte, den Papierkram abzuheften. Langsam glaubte ich, mein Leben wiederzuhaben. Dann, an einem schönen Tag im Frühsommer, bekam ich einen Anruf von einer unbekannten Nummer.
„Sind Sie Andrea Lynn?“, fragte eine Stimme, die ich nicht kannte.
„Ja.“
„Hier spricht Detective Roberts. Kennen Sie einen Herrn George Jones?“
„Ja, das ist mein Exmann.“
Oh Gott, dachte ich, sie haben ihn verhaftet.
„Nun, Ma’am, er ist heute Morgen tot aufgefunden worden.“
Ich war gefasst und fassungslos zugleich.
George hatte eine Überdosis genommen. Jemand aus seiner Familie hatte seinen Leichnam gefunden. Licht aus.
Ich war wütend. Wütend auf ihn, seine Familie, wütend auf mich selbst. Alle meine Ängste waren Wirklichkeit geworden. Wieder packten mich Schuldgefühle. Ich ging zur Totenwache und als ich an Georges Sarg stand und inmitten von Menschen, die ihn geliebt hatten, darauf wartete, niederknien zu können, war ich kalt wie Stein. Ich konnte nichts dagegen tun. Als es vorbei war, stieg ich ins Auto und brach in Tränen aus.
In Selbsthilfegruppen ist die Rede von Partnern, die das Suchtverhalten des geliebten Menschen überhaupt erst auslösen. Wenn ich auch mein Möglichstes versucht habe, um Georges Sucht nicht zu unterstützen, so weiß ich, dass ich es auf eine gewisse Weise doch getan habe. Ich weiß auch, dass ich alles andere als eine perfekte Ehefrau war: Ich habe herumgebrüllt, habe geflucht, mit Gegenständen geworfen. Ich habe in Georges Sachen gewühlt, ihn unter Druck gesetzt. Aber ich habe versucht, ehrlich zu sein. Die Nachricht von seinem Tod hat mich zwar bis ins Mark erschüttert, doch ich weiß auch, dass er in dem Augenblick zu sterben begann, als er das erste Mal Drogen nahm.
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...ich weiß auch, dass er in dem Augenblick zu sterben begann, als er das erste Mal Drogen nahm.
Andrea Lynn
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Eine meiner liebsten Erinnerungen an George ist eigentlich eine Situation, in der wir uns gestritten haben. Dann sehe ich uns eines schönen Nachmittags wegen des Geschirrspülers streiten. Und dann, ganz plötzlich, brechen wir beide in lautes Gelächter aus. Es ist ein ganz normaler Streit, es geht nicht um Lügen, weder um Pillen noch um geklautes Geld. Nur um einen Geschirrspüler. Wenn die Sucht einen fest im Griff hat, begrüßt man manchmal ganz normale Dinge und findet sie urkomisch. Und irgendwie ist es auch ein Trost, zu wissen, dass wir wirklich viel gelacht haben, auch wenn wir Kummer hatten. Aber die Sucht nimmt weg, was normal ist. Und sie hat mir meinen Mann genommen, lange bevor sie ihn getötet hat.
Andrea Lynn ist das Pseudonym einer in den USA lebenden Schriftstellerin.
* Name geändert