Ich habe für jede Lebenssituation genau die richtigen Freund:innen parat. Manchmal brauche ich Menschen, die mir klipp und klar sagen, was ich falsch mache; an anderen Tagen freue ich mich wiederum am meisten über Leute, die mit mir so lange über Quatsch labern, bis es mir besser geht. Einige kenne ich nur von der Arbeit, und mit denen rede ich über die ernsten Dinge des Lebens. Mit Schulfreund:innen hingegen lache ich am meisten. Und im Notfall weiß ich genau, wen ich anrufe – und wen nicht. Aber… sollte ein:e Lebenspartner:in nicht irgendwie in all diese Kategorien fallen?
In einer idealen Welt definitiv. Schließlich reden wir nicht umsonst von unserer „besseren Hälfte“ und schwören einander die ewige Treue. Und dennoch: Als mein Freund eben nicht all diese Rollen in sich vereinen konnte, wandte ich mich an jemand anderes. Nicht aus Boshaftigkeit oder Rache – sondern einfach bloß, weil ich da plötzlich jemanden hatte, der genau die Person war, die ich in meiner Situation brauchte.
WerbungWERBUNG
Leider ist das Ganze aber eben doch nicht so einfach – denn natürlich spielte hier, wie so oft auch, Gender eine Rolle. Dieser andere Freund war nämlich ein Mann; und bevor ich dem überhaupt so nah hatte kommen können, war mein fester Freund schon immer sehr eifersüchtig auf meine (platonischen) Freundschaften mit anderen Männern gewesen. Das ist ein altes Klischee, ich weiß, aber im Nachhinein betrachtet verstehe ich absolut, wieso diese Freundschaft meine Beziehung so ins Wanken brachte. Die Lücken in der Kommunikation, im Verständnis zwischen mir und meinem Partner ergeben für mich aus heutiger Sicht total Sinn. Und doch kann ich mir eine Frage noch immer nicht wirklich beantworten: Ging ich ihm dadurch fremd, dass ich mich emotional einem anderen Mann öffnete?
Natürlich will alles in mir darauf erst einmal „nein!“ brüllen. Ich hatte schließlich keinen Sex mit diesem Typen, und war auch gar nicht an etwas Romantischem zwischen uns interessiert. Und trotzdem stand ich vielleicht mit einem Fuß in einer emotionalen Affäre, ohne es zu wissen.
„Eine emotionale Affäre zerstört das Vertrauen in einer bestehenden Beziehung“, erklärt Ammanda Major vom britischen Beziehungstherapie-Portal Relate. „Gehen wir jetzt einfach mal davon aus, du bist verheiratet oder in einer Langzeitbeziehung, und dein:e Partner:in baut eine emotionale Bindung zu jemand anderem auf. Er oder sie teilt mit dieser Person die intimsten Gedanken und Gefühle – anstatt mit dir. Das zerstört die Exklusivität eurer Beziehung.“
Ammanda erzählt, dass so etwas viele mögliche Gründe haben kann. Im Fall von mir und meinem Freund entwickelte sich ein Streit um irgendeine Kleinigkeit in etwas viel Größeres, bis wir uns irgendwann überhaupt nicht mehr über „das Thema“ unterhielten. Und das hieß für mich: Wann immer ich eben doch gern darüber sprechen wollte, wandte ich mich damit an den platonischen Freund. Es kam, wie es kommen musste: Wann immer mein Partner nicht für mich da sein konnte (oder wollte), vertraute ich mich zunehmend jemandem an, der nicht mein Partner war.
WerbungWERBUNG
„Das sieht man oft, wenn ein:e Partner:in krank wird oder ein krankes Familienmitglied hat, viel mit der Arbeit zu tun hat, anderweitig beschäftigt ist, oder wenn ein Kind dazukommt“, erklärt Ammanda. „Dann kann der oder die andere Partner:in schon mal den Eindruck bekommen, plötzlich außen vor zu sein – und das wiederum führt dazu, dass er oder sie sich dann eher Kolleg:innen oder Freund:innen zuwendet. Daraus kann schnell eine tiefere Bindung entstehen, und ehe du dich versiehst, ist daraus was Emotionales geworden, das über normale Freundschaft hinausgeht. Da muss nicht unbedingt Sex im Spiel sein.“ Bingo.
Der Sex ist dabei für viele der Knackpunkt, meint Ammanda. Sie erzählt, dass sie in vielen ihrer Paartherapien zwar von emotionalen Affären hört – aber häufig eben auch, dass das ja nicht so schlimm sei, weil es eben keinen Sex gegeben habe. „Der oder die andere Partner:in sagt dann oft etwas wie: ‚Vielleicht wär’s mir aber lieber gewesen, wenn ihr doch einfach bloß Sex gehabt hättet. Weil du so viel mit diesem Menschen geteilt hast, ist das Vertrauen zwischen uns jetzt kaputt. Du hast unsere Beziehung zerstört, weil du dein Innerstes jemand anderem geschenkt hast.’“
Du siehst also: Das Ganze ist eine echte Gratwanderung, von der du vielleicht nicht einmal was mitbekommst – vor allem, wenn du dich einfach nur deswegen anderen anvertraust, weil es bequem ist. Trotzdem weiß ich aus meiner Erfahrung: Selbst die unschuldigsten Absichten ändern nichts daran, dass sich dein:e Partner:in ausgegrenzt fühlen kann, wenn du einen Teil von dir mit anderen anstatt (und nicht „zusätzlich zu“) ihnen teilst.
WerbungWERBUNG
Vielleicht fragst du dich jetzt: Stecke ich vielleicht schon in einer emotionalen Affäre? In dem Fall gibt es Fragen, die du dir stellen kannst, um sicher zu gehen, empfiehlt Ammanda. Die da wären: Warum wende ich mich an diese Person? Liegt das wirklich nur daran, dass er oder sie sich mit dem Thema auskennt – oder will ich in Wahrheit mit jemandem über meine Beziehung sprechen, weil ich es mit meinem Partner oder meiner Partnerin nicht kann? „Wenn du ehrlich zu dir bist und einsiehst, dass du dich mit [dieser anderen Person] besser über deine Beziehung und ihre Probleme unterhalten kannst als mit deinem Partner oder deiner Partnerin, hast du ein Problem. Eigentlich solltest du solche Themen nämlich nicht mit anderen, sondern mit dem Menschen besprechen, den sie betreffen“, meint Ammanda.
„Sehr oft bemerken Leute gar nicht, wie weit sie schon gegangen sind, bis sie entweder ertappt werden – oder wenn die Vertrauensperson die Beziehung vertiefen will. Wenn du mit jemandem deine intimsten Gedanken und Sorgen um deine Beziehung geteilt hast, kann es sein, dass diese Person denkt: Du bist offensichtlich unglücklich, und wir scheinen uns gut über so ernste Themen unterhalten zu können… Und womöglich wird daraus dann wirklich etwas Sexuelles“, sagt Ammanda. „Dazu kommt es umso schneller, wenn dein:e Partner:in gerade viel um die Ohren hat und sich für dich vielleicht nicht so verfügbar anfühlt wie sonst. Ich denke aber, das ist alles eine Frage der Kommunikation: Wie sprecht ihr als Paar darüber, euch gegenseitig zu unterstützen? Wie geht ihr als Paar mit solchen Situationen um, damit sich niemand vernachlässigt fühlt?“
WerbungWERBUNG
Ich frage mich, ob es möglich ist, so tief in eine emotionale Affäre zu rutschen, dass du gar nicht mehr rauskommst. In meinem Fall kam es zwar nie zu körperlicher Intimität mit dem anderen – aber ich merkte doch, dass ich es meinem Partner übel nahm, dass er nicht für mich da war. Er wiederum war sauer, weil ich so distanziert wirkte, wenn er doch da war. All das kann man aber klären, meint Ammanda – meistens jedenfalls. „Ihr könnt natürlich nicht einfach weitermachen, als sei nichts gewesen. Stattdessen solltet ihr genau herausfinden, wie es um eure Beziehung steht“, erklärt sie. „Vielleicht gab es auch gar kein Problem; und das ist auch so eine Sache. Meistens hört man dann ja Sprüche wie: Na, irgendwas muss ja in der Beziehung schief gelaufen sein. Aber das stimmt gar nicht unbedingt. Manchmal ist allein der Alltag schuld daran, dass du dich vielleicht ein bisschen gelangweilt fühlst – und dann kommt da plötzlich jemand, der dir mehr Interesse zeigt.“
Die Leichtigkeit, mit der du unbewusst in eine solche emotionale Affäre rutschen kannst, ist vor allem deswegen so schockierend, weil sie eben nichts Halbes und nichts Ganzes ist. Sie liegt irgendwo zwischen dem eindeutigen Betrug eines sexuellen Seitensprungs und der sicheren Zweisamkeit einer harmonischen Beziehung. Und trotzdem ist danach nicht unbedingt alles verloren. „Im Nachhinein musst du aber einige Arbeit investieren, um zu hinterfragen, was der Auslöser war. Das kann wirklich schwierig sein, und der- oder diejenige mit der ‚Affäre‘ sollte den nötigen Freiraum bekommen, um dem nachzutrauern, was verloren wurde – weil die außenstehende Vertrauensperson plötzlich nicht mehr für sie da ist. Und auch diese andere Person sollte wütend und traurig sein dürfen, weil sie sich vielleicht im Stich gelassen fühlt und etwas verloren hat, was sie fest zu haben glaubte.“
„Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem deiner Beziehung nur eines hilft: Vergebung. Wenn ihr das nicht hinbekommt, wird diese emotionale Affäre immer im Hintergrund rumspuken – und könnte euch irgendwann auseinanderbringen.“
WerbungWERBUNG