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Schluss machen? Geh' doch lieber erst mal fremd!

Eigentlich stand der Termin für die Hochzeit schon. Irgendwann Anfang August, die Einladungen waren auch schon designt, so kitschige Dinger mit eingestanzten Herzen und dieser kursiven Schnörkelschrift – ein Layout, bei dem der Grafik-Designer sich vermutlich beim Arbeiten die Augen heimlich zuhält, damit er das Elend nicht mit ansehen muss.
Laut Inhalt dieser Kitsch-Overdose-Karte wären es nur noch knapp sieben Wochen bis zur Hochzeit meiner Freundin Fenja gewesen. Wenn ihr nicht ein neuer Job und der neue Kollege dazwischengekommen wären – sowie die abschließbare Bürotür, ein Blowjob und ein ziemlich schlechtes Gewissen. „Ziemlich dumm“, könnte man jetzt denken. Da hat die Frau mal eben 2.000 Euro für die Anzahlung ihrer Hochzeitsfeier, das Kleid und die dazugehörige Reise in den Sand gesetzt. Oder auch „ziemlich schlau“. Denn jetzt ergab sich für Fenja eine Chance: Sie hatte endlich einen guten Grund, mit ihrem Verlobten Schluss zu machen.
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Genau das ist natürlich die unumgängliche Konsequenz des ewig gleichen Spiels, das man „Erst Fremdgehen, dann Schluss machen“ nennt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es gar nicht so wenige sind, bei denen eine Trennung in dieser Reihenfolge abläuft: nörgeln, streiten, fremdgehen, Freiheit. Zumindest in meinem Freundeskreis ist das so üblich, und ja, zu meiner Schande (ernst gemeint) sind auch bei mir die meisten Trennungen in dieser zwischenmenschlich nicht ganz einwandfreien Reihenfolge abgelaufen. Spricht nicht gerade für meinen Charakter, ich weiß, aber eigentlich glaube ich, dass Fremdgehen irgendwo auch nur menschlich, leider allzu menschlich ist. Besonders, wenn es einen in seiner Entscheidung, endlich Schluss zu machen, bestärkt.

Fremdgehen als Flucht vor der Trennung

„Trennungen fallen uns nie leicht“, bestätigt mir Liebeskummer-Coach Daniela van Santen. Die Hamburger Psychologin berät in ihrer Praxis Singles und Paare zu Beziehungsfragen und hat dabei schon von so mancher „Erst Fremdgehen, dann Schluss machen“-Anekdote gehört. „Viele flüchten sich vor der Trennung in eine Affäre aus Angst vor den Konsequenzen, die das Schlussmachen mit sich bringt.“ So füllen wir noch bevor wir einen Schlussstrich ziehen das gefürchtete Loch, in das wir ohne unsere*n Partner*in fallen und lenken uns erst mal von den eigentlichen Beziehungsproblemen ab.
Manchmal reicht der alltägliche Horror eben nicht mehr aus, um uns die Entscheidung abzunehmen. Wir sind ja bequem und gut darin, uns Dinge schönzureden. Drei Monate Streit? Ach, das gibt sich schon wieder! Vier Wochen kein Sex? Ist bei Langzeitbeziehungen ja eh normal. Allenfalls bei Handgreiflichkeiten werden wir noch stutzig. Oder wir betrügen halt mal eben kurz versehentlich den oder die Freund*in.
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Wobei „versehentlich“ es nicht so ganz trifft. Klar, wir gehen nicht unbedingt los mit dem Vorsatz, es jetzt, nach zwei bis fünf Jahren Sex mit derselben Person, endlich mit wem anders zu tun. Meistens ist ja wirklich eher der eine oder andere Gin (oder Wodka oder, oder, oder) mit daran Schuld. Aber halt auch nur ein bisschen. Denn wenn das alles nur ein Versehen wäre und wir eigentlich die ganze Schuld auf den Alkohol abwälzen könnten, dann wäre es eigentlich nur fair, das Ganze dem Freund oder der Freundin gegenüber zu verschweigen, so zu tun, als wäre nichts gewesen, um einfach einen auf „und wenn sie nicht gestorben sind“-glücklich zu machen.
Tja, aber anstatt es so zu machen – wie es übrigens der Großteil meiner männlichen Freunde schon gemacht hat und wieder machen würde–, hyperventilieren die Frauen in meinem Umfeld lieber eine Runde, jammern die beste Freundin, den Wellensittich und die psychiatrische Notdienstnummer voll. Wir spielen uns dann, damit wir mal wieder so richtig in den Genuss von Entscheidungsschwierigkeiten kommen, vor, wir würden der Beziehung eventuell noch eine Chance geben – und folgen dann am Ende doch der Regieanweisung, die ähnlich voraussehbar wie das Ende eins Til-Schweiger-Films ist: Wir machen Schluss, was sonst?

Fremdgehen als Missgeschick – doch nur ein versteckter Vorwand?

Paradoxerweise wird bei der „Erst Fremdgehen, dann Schlussmachen“-Fraktion über den vermeintlichen Grund, weshalb Schluss gemacht wird, also den Seitensprung, meist gar nicht gesprochen. Vielleicht, weil es eigentlich gar nicht der wirkliche Grund ist. Deshalb wird dem oder der zukünftigen Ex-Freund*in lieber eine lange Liste von Fehlern aufgeführt und so allgemeine Dinge aufgetischt wie etwa „Wir haben uns die letzten Monate doch nur noch gestritten“ und „Ich will andere Dinge im Leben als du“ oder „Ich habe einfach echt Angst, dass du später mal so aussiehst wie dein Vater“. So unverständlich das dann klingen mag, sind das die eigentlich ausschlaggebenden Gründe.
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So gesehen hätte man sich das Fremdgehen im Prinzip also sparen können. Damit besudelt man nur völlig unnötig sein Karma. Trotzdem machen wir immer wieder denselben „Fehler“. Weil Fremdgehen vor dem Schlussmachen in dem Sinne kein „Fehler“ oder Missgeschick ist; eher eine ausgeklügelte Strategie unseres Unterbewusstseins und eine ganz miese Nummer. Dem hat man nämlich mal erzählt, dass man, wenn man verliebt ist, nicht fremdgeht. Macht man halt nicht. Und da glauben wir ganz fest dran. Wenn wir dann jemanden betrügen, wissen wir anschließend ganz eindeutig, dass da etwas ganz gewaltig nicht mehr stimmt. Danach haben wir dann wenigstens wirklich einen ganz eindeutigen Grund, einen Schlussstrich zu ziehen und müssen uns nicht mehr mit Zweifeln plagen. Wir haben so eine Regel, an die wir uns klammern können, und die uns die Entscheidung abnimmt.
Menschen mögen Regeln nun mal gern. Besonders, wenn wir nicht wissen, was uns erwartet. So beschissen eine Beziehung auch sein kann, wenn wir in einer stecken, haben wir meistens schon längst vergessen, wie es noch mal war, Single zu sein. Ist ja schon eine Weile her und natürlich war es anders, wenn wir das letzte Mal erst 17 waren, noch bei den Eltern wohnten und uns weder um die monatliche Miete Gedanken machen mussten noch um trostlose Feierabende, die man in Zukunft dann vielleicht allein mit dem Kühlschrank verbringt. Kein Wunder also, dass wir da Angst kriegen: Eine Trennung könnte dich plötzlich so aus der Bahn werfen, dass du wochenlang nur noch ungeschminkt herumlaufen und ungepflegt und depressiv wirst. So würde es dann nur noch schwerer sein, eine*n neue*n Partner*in zu finden oder das Single-Leben auch nur irgendwie zu genießen. Also suchen wir uns schon vorher Ersatz.
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Dass aus dem „Ersatz“ nie etwas Ernsthaftes wird, muss ich gar nicht großartig erwähnen, oder? Liegt wahrscheinlich daran, dass wir bei der Suche nach einem geeigneten Seitensprung nicht sonderlich wählerisch sind. Zumindest bei mir war das immer so. Wenn einem in einer Beziehung komplett langweilig ist, sehen halt selbst Vertreter und Versicherungsmakler von weitem krass aufregend aus.
„Menschen, mit denen man vor der Trennung eine Affäre begeht, sind oftmals Personen, die in dem Moment leicht zu haben sind. Sie helfen dabei, aus der Beziehung rauszukommen, nicht mehr und nicht weniger“, bestätigt auch Daniela van Santen. Das können Ex-Freund*innen sein oder schockverliebte Verehrer*innen, die, wenn wir mal ehrlich sind, in der ganzen Affäre schlichtweg benutzt werden. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden und gebrochene Herzen.
Insofern ist das ganze Fremdgeh-Drama absolut überflüssig. Wenn man ehrlich ist, wäre es wahrscheinlich mit einem einzigen kurzen Anruf getan, so nach dem Motto: „Hey Schatz, bin mega breit und will gleich mit so 'nem Kerl aus dem Club hier nach Hause kommen. Ist das okay für dich?“ Falls ja, sollte man sich fragen, ob man mit einer Person, die mir nichts, dir nichts zustimmt, zusammen sein will. Aber in der Regel gibt es ohnehin ordentlich Kontra vom Gegenüber, weil man das nicht mit sich machen lässt. Dann hätten wir es geschafft: Jemand hätte uns die Entscheidung abgenommen und wir müssten dafür nicht mal mit irgendeinem anderen Deppen was anfangen. Das wäre doch mal was.
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