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#FragR29: Wieso glauben wir nicht mehr an die Liebe?

Foto: Eylul Aslan
Für jeden Topf gibt's ja einen Deckel, oder viele, je nachdem, welches Beziehungsmodell man gerade so lebt. Angeblich. Oder eben eben auch nicht und das ist irgendwie auch okay. Mir ist nämlich aufgefallen, dass verdammt viele Leute in meinem näheren Umfeld nicht mehr an die Liebe glauben, mich eingeschlossen. Irgendwann zwischen der gefühlt 1.000. Enttäuschung, dem 80. schlimmen Date und dem 40. Korb haben wir einfach aufgehört an das große Happy End zu glauben oder zumindest darauf zu hoffen, dass wir es irgendwann finden werden. Oder die Liebe uns.
Dabei habe ich sie mir auf keinen Fall ausgeredet, aktiv etwas gegen die Hoffnung, mich irgendwann noch einmal glücklich zu verlieben, getan oder jeden Tag das Mantra „Du darfst dich nicht verlieben“ zu meinem Spiegelbild gemurmelt. Es ist einfach so passiert, weil ich die Liebe nicht mehr brauche. Sie ist eher zu einem netten Extra verkommen, das zum Leben dazugehören kann, aber eben nicht muss. Ich mochte es immer sehr, verliebt zu sein. Ich habe mich auch immer schnell und heftig verliebt und mich dann Hals über Kopf in die nächste Geschichte gestürzt. Das hat mein Leben einerseits sehr turbulent gemacht, andererseits war ich auch immer irgendwie stolz darauf, nicht so abgebrüht wie der Rest der Welt zu sein. Die letzte große Romantikerin, könnte man meinen. Natürlich war meine permanente Verliebtheit auch ein Ventil für meine anderen Probleme. Wer sich mit jemand anderem beschäftigt, muss nicht an die eigenen Probleme denken, wie praktisch, wie bequem. Vor einiger Zeit änderte sich etwas, denn plötzlich brauchte ich dieses Ventil nicht mehr. Aber ich war auch zu frustriert, nachdem ich über anderthalb Jahre einem Kerl hinterhergerannt bin, der mich einfach nicht geliebt hat und niemals lieben wird. Das macht etwas mit einem, das raubt dir die Hoffnung und den Willen, dich noch einmal in diese Datingwelt zu wagen. Seitdem werden sämtliche Versuche potentieller Interessent*innen mir näher zu kommen von mir sabotiert oder direkt abgeschmettert. Ich bin frei und will es auch bleiben. Klingt super, oder? Klingt irgendwie nach Selbstbestimmung? Bullshit!
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So wie mir geht es vielen meiner Freund*innen. Die eine verwechselt Liebe mit Unfreiheit und will sich nicht (emotional) binden und lieber ihr eigenes Ding machen, der andere ist davon überzeugt, dass es so etwas wie Liebe gar nicht gibt, eine nächste ist zu sehr enttäuscht worden und hat daher allen Gefühlen abgeschworen. Liebe wird bei all diesen tollen, liebenswerten Leuten mit Unfreiheit und Eingesperrtsein verwechselt. Oder mit Verletzlichkeit. Oder als Fantasie. Werden wir also alle einsam sterben, weil wir den eigentlichen Sinn der Liebe nicht mehr kennen? Oder sind wir schlauer als alle anderen und gehen einem völlig veralteten Modell einfach nicht mehr auf den Leim?
Fakt ist, dass die Liebe eine Erfindung der Moderne ist. Vor 1800 gab es so etwas wie romantische Liebe, die einen bis ins Mark erschüttert und alles auf den Kopf stellt, quasi nicht oder nur kaum. Ehen wurden weitestgehend arrangiert und romantischen Gefühlen wurde einfach keine so große Bedeutung beigemessen. Mit der zunehmenden Industrialisierung wurde das Leben der Menschen völlig neu geordnet, auch die Paarbeziehungen. Die Romantik stellt sozusagen einen geistigen Gegenpol zur harten, kapitalistisch-industriell geprägten Welt aus Stahl, Rauch und Stein dar, zur Nüchternheit der Aufklärung, die alles mit dem Verstand und durch Logik zu erklären versuchte. Mit der Epoche der Romantik kam auch die große, alles umfassende und vernichtende, selbstzerstörerische und bedingungslose Liebe. Plötzlich wollten sich alle im Rausch der Gefühle verlieren. Und wir Menschen sahen die Liebe als etwas an, das wir ganz natürlich in uns tragen, als etwas, das zu unserem Wesen gehört. Die Ehe und die Monogamie – beides Konzepte, die sich mit dem Aufkommen von Grundbesitz etablierten, um eben diesen über Generationen hinweg zu sichern – wurden plötzlich mit der Liebe verknüpft. Liebe und Beziehung waren eins, unmittelbar miteinander verwoben und konnten dementsprechend auch nur zusammen gedacht werden. Somit ist die Liebe – wie auch die romantische Zweierbeziehung – gesellschaftlich konstruiert und keinesfalls natürlich.
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Spricht das jetzt für oder gegen die Liebe? Emanzipiere ich mich also einfach nur von einem Modell, das eh mehr in die Geschichtsbücher als in unseren Alltag gehört? Nicht ganz.
Ja, es ist sinnvoll, sich klarzumachen, dass Liebe und Beziehungen keine natürlich gewachsenen Mächte sind, denen wir nicht entfliehen können, aber gleichzeitig ist es auch schade, sich per se einer so schönen Erfahrung wie der Liebe zu verschließen. Der Mensch braucht Liebe, sonst wird er krank. Blöd nur, was aus der Liebe geworden ist, dieses Konzept mit Erwartungen und festen Regeln ist nicht nur einfach nicht mehr zeitgemäß, es schafft sich durch genau diesen übertriebenen Erwartungskatalog quasi selbst ab. Kein Wunder also, dass meine Freund*innen und ich so frustriert sind und der Liebe abgeschworen haben.
Wenn man aber Liebe ganz neu denkt, das Gefühl mit weniger Erwartungen und weniger starren Verhaltensregeln verknüpft, besteht vielleicht doch die Chance, dass wir irgendwann wieder an die Liebe glauben können. Leider ist das gar nicht mal so leicht, denn erlernte Verhaltensweisen lassen sich nicht so leicht abschütteln. Beziehungsweise reicht es ja nicht, wenn man selbst kapiert hat, wie der Hase liebt, die anderen müssen es ja auch schnallen. Was uns wieder an den Ausgangspunkt dieses Textes bringt, denn genau das ist der Knackpunkt. Ich persönlich sehe das gerade nicht passieren und bin mir unsicher, ob das jemals so sein wird. Das ist aber kein Drama. Nach einer gewissen Umgewöhnungsphase, in der ich mich von alten Erwartungen an die Liebe verabschieden musste, bin ich jetzt fein damit. Mal sehen, wie lange das so bleibt.
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