Meine erste Erfahrung mit einem Gleitmittel war alles andere als rosig. Ich war 15 und mein damaliger Freund wollte unbedingt Analsex ausprobieren. Also ging er ins Schlafzimmer seiner Mutter und schnappte sich das Billiggleitgel, das auf ihrem Nachttisch stand. Wie eine Katze, die ihrem Frauchen stolz die Beute vor die Füße legt, präsentierte er mir die Tube. Das Etikett war schon ganz vergilbt und als ich den Deckel abdrehte, bröckelten eingetrocknete Reste ab. Obwohl das Gel seinen Zweck erfüllte, ekelte es mich an. Es roch komisch und klebte. Nach dem Sex juckte meine Haut. Unter keinen Umständen wollte ich es jemals wieder verwenden. Also waren die nächsten fünf Jahre meines Sexlebens gleitgelfrei.
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Vaginalverkehr fühlte sich für mich in dieser Zeit immer ein bisschen... holprig an. Es flutschte einfach nicht richtig. Aber ich dachte, das muss so sein. Wir benutzten extrafeuchte Kondome und reichlich Spucke. Und meine Vagina wurde ja auch zu einem gewissen Maße feucht. Das müsste doch eigentlich reichen. Auf diese Art hatten schließlich alle Sex, oder?
Zumindest glaubte ich das damals. Das Problem war nur, dass Kondome, Speichel und Vaginalsekret nach einer Weile nicht mehr reichen. Irgendwann wird man nun einmal trocken und es beginnt, weh zu tun.
Mit 18 fing ich an, Medikamente gegen meine Angststörung zu nehmen. Sie sorgten dafür, dass ich praktisch gar nicht mehr feucht wurde. Es hatte nichts damit zu tun, wie erregt ich war. Es ging einfach nicht mehr. Trotzdem dauerte es fast noch mal zwei Jahre, bis ich endlich kapierte, wie einfach ich mein Problem lösen kann – und zwar mit Gleitgel.
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Als ich es das erste Mal mit meinen Sextoys benutzte, wurde mir klar, was ich die ganze Zeit verpasst hatte.
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Das erste Gleitmittel, das ich gekauft habe, war wasserbasiert. Es war frei von Glycerin (was, wie ich gelernt habe, die meisten Gleitgele so klebrig macht) und angeblich besonders langlebig. Als ich es das erste Mal mit meinen Sextoys benutzte, wurde mir klar, was ich die ganze Zeit verpasst hatte. Dildos glitten einfach so rein und raus! Wenn ich meine Klitoris rieb, sorgte das nicht direkt für Hautreizungen! Auf einmal fragte ich mich, wieso ich jemals ohne dieses Zeug Sex gehabt hatte. Und trotzdem war es mir unangenehm, das Fläschchen zu zücken, wenn ich mit jemandem intim werden wollte.
Zu der Zeit hatte ich ziemlich viel ungezwungenen Sex. Immer, wenn ich einen Typen mit zu mir nach Hause nahm und das Gleitgel aus der Schublade holte, wurde ich rot und stotterte was von: „Ähm, also ich muss da diese Medikamente nehmen… es fühlt sich einfach alles besser damit an… Ich muss es benutzen. Ist das okay?“ Für die meisten Männer war das gar kein Problem – im Gegenteil! Sie waren begeistert davon, wir gut es sich auch für sie anfühlte. Manche hatten es noch nie zuvor verwendet, weshalb sie erst etwas skeptisch waren. Doch weil das Ergebnis quasi ausnahmslos richtig guter Sex war, schienen sie es am Ende sehr zu schätzen.
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Irgendwann packte ich eine zweite, kleinere Gleitgeltube in meine Handtasche und nahm sie überall hin mit. Sollte sich zufällig was ergeben, wollte ich schließlich bestens ausgerüstet sein (Kondome hatte ich natürlich auch immer dabei). Bei der Einlasskontrolle vor Clubs schauten mich die Türsteher manchmal komisch an und fragten mich, was das ist. „Das ist nur Gleitgel“, antwortete ich und blickte selbstbewusst in ihre erschrockenen Gesichter. Manchmal trug ich etwas Gleitmittel an meinen Armen und Beinen auf, damit ich sie mir nicht wund rieb. Und ab und zu holte ich das Fläschchen beim Brunch aus meiner Tasche, zeigte sie meinen Mädels und hielt eine Predigt darüber, wie es mein Leben verändert hatte.
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„Gleitmittel? Nein, danke. Brauch ich nicht. Ich habe da doch keine Probleme!“
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Kurz darauf fing ich an, in einem Sexshop zu arbeiten. Dort wurden wir dazu angehalten, Kund*innen, die ein Toy kaufen, immer auch ein passendes Gleitgel zu empfehlen. Egal, wie feucht eine Person von Natur aus wird: Irgendwann nutzt sich das Material der Spielzeuge durch die Reibung an Haut und Haaren ab. Gleitmittel können dem entgegenwirken. Schon in meinen ersten Arbeitstagen fiel mir die extrem negative Einstellung einiger Menschen gegenüber Gleitgelen auf. „Gleitmittel? Nein, danke. Brauch ich nicht. Ich habe da doch keine Probleme!“, entgegnete mir eine junge Frau ganz entrüstet.
Ein stechender Schmerz durchdrang meinen Körper. Problem? Heißt das etwa, irgendetwas stimmt nicht mit mir, wenn ich Gleitmittel benutzen muss, um Sex wirklich genießen zu können? Nach außen behielt ich natürlich die Fassung und erklärte, das Produkt würde die Benutzung des Toys angenehmer machen. Ich kassierte schnell ab und war etwas erleichtert, als sie den Laden verlies. Später sprach ich mit meinen Kolleg*innen, die Sexpädagog*innen waren, darüber. Sie beruhigten mich und versicherten mir, es kann nie nass genug sein. Wieso reagierten also so viele Menschen so überrascht oder beleidigt?
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Frauen, die Gleitcreme benutzen müssen, glauben oft, etwas stimmt nicht mit ihnen – mit ihrer Fähigkeit, feucht zu werden, ihrer Libido, ihrer Weiblichkeit, ihrer Fruchtbarkeit.
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Manchmal erzählten mir ältere Kundinnen, sie könnten kein Sex mehr haben, weil sie nicht mehr richtig feucht werden. Ich versuchte dann, sie mit den Vorzügen von Gleitmitteln vertraut zu machen und sie davon zu überzeugen, dass sie ihr Problem so ganz einfach in den Griff kriegen könnten. Dennoch reagierten sie meist zögernd oder widerwillig. Ich gab mir alle Mühe, das Ganze nicht persönlich zu nehmen. Schließlich ist nichts verkehrt daran, Gleitmittel zu benutzen und es hat mein Sexleben komplett revolutioniert. Deswegen machte es mich dann doch jedes Mal traurig, wenn jemand etwas dagegen sagte. Frauen, die Gleitcreme benutzen müssen, glauben oft, etwas stimmt nicht mit ihnen – mit ihrer Fähigkeit, feucht zu werden, ihrer Libido, ihrer Weiblichkeit, ihrer Fruchtbarkeit. Das kann ich absolut nachvollziehen. Aber was wäre, wenn unsere Gesellschaft es gar nicht erst als Problem sehen würde, wenn es einer Frau an einem dieser Dinge mangelt? Würde unser Sexleben anderes aussehen, wenn Gleitgel nicht so ein mit Vorurteilen behaftetes Produkt wäre?
Die negativen Reaktionen im Sexshop nahmen leider nicht ab. Aber wenigstens fiel es mir mit der Zeit leichter, selbstbewusst die Vorteile zu erklären. Eine Frau kam sogar noch mal zurück in den Store und bedankte sich bei mir, weil ich sie dazu ermutigt hatte, Gleitgel einfach mal auszuprobieren. Sie hatte ähnliche Probleme beim Sex wie ich und ich hatte ihr von meinen persönlichen Erfahrungen erzählt. Als ich feststellte, dass ich nicht allein war, war das überraschend emotional für mich. Vielleicht war das alles gar nicht so selten oder unnormal!
Seitdem habe ich sehr viel über Gleitmittel gelernt. Ich verbrauche jeden Monat etwa eine große Tube und jede leere Verpackung ist wie eine Trophäe der Selbstliebe für mich. Auch wenn deine Vagina in der Regel selbst sehr feucht wird, hast du vielleicht manchmal Tage, an denen ein wenig Hilfe nicht schaden kann. Und dafür musst du dich nicht schämen. Falls du – ähnlich wie ich – schlechte Erfahrungen gemacht hast, dann probiere einfach eine andere Marke aus, denn es gibt sehr viele verschiedene Produkte mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen. Vielleicht dauert es eine Weile, bis du dein persönliches Lieblingsprodukt gefunden hast, aber glaub mir: Es lohnt sich. Ein Tipp: Viele Gleitgelsorten kannst du nicht benutzen, wenn du versuchst schwanger zu werden! Also informiere dich genau vorab. Als ich eins gefunden hatte, das nicht nur wirkt, sondern auch noch schick aussieht, veränderte das alles für mich. Jetzt kann ich es sogar auf meinem Nachttisch stehen lassen und muss es nicht mehr in einer Schublade verstecken – was im Eifer des Gefechts natürlich viel praktischer ist.
Fazit: Auch, wenn es stressig sein kann, etwas Neues auszuprobieren und in die Sexroutine aufzunehmen, denk daran, dass du für dein Liebesleben und deine Orgasmen selbst verantwortlich bist. Also gib Gleitgel eine Chance, denn du verdienst Liebe und Lust. Und vergiss nicht: Du hast kein Problem! Wenn jemand einen blöden Kommentar macht, ist die Person mit großer Wahrscheinlichkeit einfach schlecht informiert oder hat eigene Probleme, die ganz andere Wurzeln haben.