Als junger Mensch kann die Vorstellung eines Vollzeitjobs erstmal ein bisschen gruselig wirken. Wer würde sich schon freiwillig von langen Nächten in der Studi-Kneipe oder dem monotonen Komfort eines Schul- oder Uni-Stundenplans verabschieden wollen? Wenn es dann aber Zeit wird, sich einen „richtigen Job“ zu suchen, freuen sich die meisten von uns trotzdem auf zwei Dinge: das ganze Geld – und die Chance, neue Leute kennenzulernen.
Deine theoretisch erlernten Skills endlich in der echten Welt anwenden zu können, ist super, keine Frage. Weil wir aber mit unzähligen Serien aufgewachsen sind, die uns diese Arbeitswelt vermittelt haben – von The Bold Type über Brooklyn Nine-Nine bis hin zu Grey’s Anatomy und Stromberg –, freuten wir uns auch darauf, an diesem Arbeitsplatz, an dem wir so viel unserer Zeit verbringen, neue, tiefe Freundschaften zu finden. Leute, mit denen du nicht nur gern bei einer Tasse Kaffee in der Büroküche ein paar Worte wechselst, sondern denen du vielleicht auch am Wochenende mal eine Nachricht schreiben würdest.
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Das hybride Arbeitsmodell, das für viele von uns seit Corona zum Alltag gehört, hat diesen Traum allerdings zerplatzen lassen. Für die neue Generation der Büroangestellten, die ihre Kolleg:innen nur ein, zwei Tage die Woche wirklich sehen, ist das Konzept des oder der Job-BFF mittlerweile eine Art Relikt der alten Welt. Und obwohl dir der Verlust des Freundschafts-Aspekts deines Jobs vielleicht noch halbwegs harmlos vorkommt (verglichen mit vielen anderen durch Corona bedingten beruflichen Veränderungen), sprechen Statistiken eine andere Sprache, denen zufolge Job-Freundschaften für die langfristige Zufriedenheit entscheidend sind. In einer Studie der Personalberatungsfirma Future Workplace von 2018 gaben 70 Prozent der befragten Angestellten an, Freundschaften am Arbeitsplatz seien für sie das wichtigste Element eines glücklichen Berufslebens.
Trotzdem sind Angestellte seit der Pandemie einsamer denn je, ergab eine Umfrage der Arbeitsplatz-Veranstaltungsfirma Wildgoose: 40 Prozent der Befragten berichteten, ihnen fehlten echte Freundschaften im Job. Das bestätigt auch die „2022 State of Remote Work“-Studie des Social-Media-Toolkits Buffer: 52 Prozent aller Angestellten weltweit fühlen sich ihren Kolleg:innen weniger verbunden, seit sie (häufiger oder ausschließlich) im Homeoffice arbeiten. Und das betrifft sehr viele Menschen: 2021 arbeitete rund ein Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland von zu Hause aus.
Ihnen allen dürfte es schwer fallen, aus dem Homeoffice heraus alte Job-Freundschaften aufrechtzuerhalten, geschweige denn neue zu knüpfen; das gilt aber vor allem für diejenigen, die erst in den letzten Jahren ins Berufsleben eingestiegen sind. Die 23-jährige Nicole* arbeitet in der Politik und arbeitet erst seit Kurzem in einem Vollzeitjob. Ihr fiel es sehr viel schwerer, Anschluss zu ihren Kolleg:innen zu finden, als sie vorher erwartet hatte. Das erklärt sie sich damit, dass ihr die alltäglichen Momente fehlen, in denen sie erste Bindungen hätte knüpfen können – wie gemeinsame Mittagspausen oder persönliche Meetings. „Es ist ohnehin schon überwältigend, in einer Firma mit über 100 Mitarbeiter:innen neu dazuzustoßen. Das war für mich aber umso schwieriger, weil ich [im Gegensatz zu meinen Kolleg:innen] nie die Chance hatte, dort auf natürliche Art Freundschaften zu knüpfen. Dadurch hatte ich das Gefühl, die Leute, mit denen ich zusammenarbeitete, gar nicht wirklich zu kennen – so, als seien die quasi gar nicht real“, erzählt sie.
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Nicole hat inzwischen Anschluss gefunden – wenn auch noch keine richtigen „Freundschaften“, sagt sie –, doch fühlt sich der Prozess für sie ganz anders an als an der Uni oder in ihren ehemaligen Teilzeitjobs. Von dieser Erfahrung hört auch die Karriereberaterin JJ DiGeronimo immer häufiger in Gesprächen mit ihren Klient:innen. „Berufliche Beziehungen sind schwer zu finden, wenn du mehr Zeit im Homeoffice als im Büro verbringst“, sagt sie. Obwohl einige ihrer Kund:innen zwar dank Afterwork-Online-Networking-Veranstaltungen doch noch Freundschaften im Job gefunden haben, weiß sie, wie schwer es vielen fällt, keine oder wenige berufliche Alltagskontakte zu haben. „Es wird sich immer weiterentwickeln, wie wir online mit unseren Kolleg:innen in Kontakt stehen. Trotzdem werden wir uns weiterhin nach echten Bindungen sehnen.“
Abgesehen davon, dass Büro-Freundschaften zusammenschweißen und sich nachweislich auf unsere Jobzufriedenheit auswirken können, ergeben sich daraus häufig auch mehr berufliche Möglichkeiten. Wohingegen frühere Generationen vielleicht davon profitieren konnten, nach der Arbeit bei einem Drink mit ihren Vorgesetzten zu quatschen, kann sich der Mangel von solchen Gelegenheiten negativ auf den Karrierefortschritt auswirken. „Ich habe schon das Gefühl, dass mir etwas entgeht“, meint Nicole. „Beziehungen sind entscheidend für den Aufbau einer Karriere. Dadurch fühlt es sich manchmal so an, als hätte ich schon direkt zu Beginn einen enormen Nachteil.“
DiGeronimo bestätigt, dass viele neue Angestellten diesen Eindruck teilen. „In einem hybriden Arbeitsmodell ist es nicht immer leicht, Anerkennung für die eigene Arbeit und eigene Erfolge zu bekommen“, erklärt sie. Viele ihrer Klient:innen teilen ihren Frust mit ihr. Wenn ein:e Angestellte:r nur via Zoom mit den eigenen Vorgesetzten in Kontakt steht, alle Meetings virtuell stattfinden und auch sonst das soziale Umfeld eines Büros schlichtweg fehlt, ist das ein Problem: „Vielen Führungskräften fehlt der Überblick darüber, woran ihre Angestellten arbeiten und warum das wichtig ist.“
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Und dennoch: Obwohl zahlreiche Gen-Z-Angestellten den Eindruck haben, keine Bindung zu ihren Kolleg:innen zu haben, bemerken viele andere junge Büroarbeiter:innen hingegen das Gegenteil. In den sozialeren Branchen wird häufig viel Wert darauf gelegt, auch außerhalb der Arbeit gemeinsam Zeit zu verbringen. So geht es zum Beispiel der 24-jährigen Bauinspektorin Chloe*, bei der es zwar nicht mehr so viele berufliche „Spaß“-Veranstaltungen gibt, die aber mittlerweile dennoch eine stärkere Bindung zu ihren Kolleg:innen hat. „Wir verbringen immer noch lange Nächte zusammen“, sagt sie. „In der Baubranche leben wir nach dem Motto: ‚Arbeite hart, feiere härter.‘ Ich glaube, viele Kolleg:innen geben sich heute mehr Mühe, kein Event zu verpassen, weil sie eben nicht mehr so oft stattfinden wie früher.“
Das geht aber nicht allen so. Die Regierungsangestellte Lauren*, 24, findet die sozialen Events nicht mehr so schön wie vor dem Übergang ins hybride Arbeiten. „Wir sind nur einmal pro Woche im Büro, und obwohl es immer ein Freitag ist, sind die meisten Leute so fertig davon, überhaupt hingefahren zu sein, dass sie nach der Arbeit direkt wieder nach Hause wollen. Da hat kaum jemand Lust, im Feierabend noch auf ein Bier in die Bar zu gehen“, sagt sie.
„Viele meiner Kolleg:innen haben schon vor dem hybriden Arbeiten zusammengearbeitet und man merkt sofort, dass die eine ganz andere Freundschaft zueinander haben als die derjenigen, die erst später dazukamen“, erzählt Lauren. Ihre Kolleg:innen deuten zum Beispiel an, sie würden sich auch außerhalb der Arbeit mal miteinander treffen oder sich auf Instagram folgen.
„Ich schätze, es gibt inzwischen einfach eine stärkere Trennung zwischen Beruflichem und Privatleben. Für mich fühlt sich die Arbeit dadurch aber weniger erfüllend an“, sagt sie. „Ich habe nicht wirklich die emotionale Bindung zu meinen Kolleg:innen, durch die ich frühere, schlimmere Jobs (wie in der Gastronomie) viel besser ertragen habe als meinen jetzigen, obwohl der viel weniger stressig ist.“
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Wie bei allen anderen Büro-Problemen gibt es aber auch hier Möglichkeiten, dagegen anzugehen. „Viele Angestellten, mit denen ich spreche, haben zum Beispiel Zoom-Treffen organisiert – für Buchclubs, Diskussionsgruppen, und für die ‚Online Hour‘, eine Art Happy Hour“, erzählt DiGeronimo. „Viele haben sich auch Sport-, Wander- und Reisegruppen angeschlossen, um sich anderswo die Kameradschaft und das Teamwork zu holen, das sie beruflich vermissen.“
Der Erfolg von Communitys wie No More Lonely Friends ist ein Beispiel für solche Bemühungen. Marissa Meizz, die 23-jährige Gründerin der Community, ging auf TikTok mit einer Reihe an Videos viral, in denen sie Treffen für einsame Leute organisierte, die nach dem Lockdown neue Freundschaften suchten. Auf ein Picknick in New York folgten viele weitere Treffen – und schließlich auch eine Website und App für die USA. Meizz hofft, das Angebot bald international erweitern zu können.
Aber was lässt sich dagegen unternehmen, dass der Karrierefortschritt durch fehlende Kontakte mit Kolleg:innen gehemmt wird? Laut DiGeronimo ist es jetzt wichtiger denn je, deine Erfolge zu betonen und die Zeit, die du mit deinen Kolleg:innen verbringst – ob nun virtuell oder in Person –, voll auszunutzen. „Nutze deine Stimme und teile deine Arbeit in wöchentlichen Meetings, Gruppen-Calls, Selbstbeurteilungen oder auf jede andere Art, die dir einfällt, um deine Arbeit zu präsentieren“, empfiehlt sie. Wenn du das Gefühl hast, dein Karrierefortschritt wird ernsthaft von den fehlenden Kontakten behindert, solltest du darüber auch unbedingt mit deinen Vorgesetzten sprechen – oder, wenn die eher das Problem sind, dich damit direkt an die Personalabteilung wenden. Denk dran: Wir müssen alle erst lernen, uns an unsere neue hybride Realität zu gewöhnen, und es kann sein, dass deine Vorgesetzten einfach noch nicht verstanden haben, wie sich die hybride Arbeit auf die Karriere ihrer Angestellten auswirken kann.
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Und so wichtig es für einige von uns auch ist, die fehlenden Freundschaften in der Homeoffice-Ära irgendwie auszugleichen – wir sollten dabei nicht vergessen, dass das Homeoffice auch große Vorteile mit sich bringt. Viele junge Leute sind sogar der Meinung, diese distanziertere Form der Arbeit sei die bessere.
„Obwohl es traurig ist, keine tiefen Arbeits-Freundschaften zu haben, spare ich viel Geld dadurch, dass ich größtenteils von zu Hause aus arbeite. Dadurch kann ich schneller auf andere finanzielle Ziele hinarbeiten“, meint Lauren. Das hybride Arbeitsmodell hat sich auch positiv auf ihr Sozialleben ausgewirkt. „Dadurch kann ich abends flexibler an irgendwelchen Kursen teilnehmen und mehr Zeit mit meinen Liebsten verbringen.“
Auch für Nicole hat der Mangel an Büro-Freundschaften eine positive Seite: „Freund:innen am Arbeitsplatz und ein Support-Netzwerk sind wichtig. Ich finde es aber noch wichtiger, mein Privat- von meinem Berufsleben zu trennen“, sagt sie. „Während ich versuche, in meiner Karriere Fuß zu fassen, weiß ich es sehr zu schätzen, auch von meinem Job unabhängig zu sein und ihn nicht alles bestimmen zu lassen.“ Und das ist wohl die wichtigste Lektion, die wir aus unserer neuen, post-pandemischen Perspektive auf unsere Arbeit gelernt haben.
*Name wurde von der Redaktion geändert.
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