Sex ist längst im Mainstream angekommen. Man lebt sich sexuell aus, kann sich virtuell informieren, spricht offen darüber. Wenn es aber um Sex mit Behinderten und alten sowie demenzkranken Menschen geht, werden die Stimmen leiser.
Für Pia Hoffmann sind sexuelle Erfahrungen auch mit dieser Gruppe Menschen kein Tabu: Sie ist der festen Meinung, dass jeder ein Recht auf seine eigene Sexualität hat. Seit zwölf Jahren arbeitet die Duisburgerin als Sexualbegleiterin, was keinesfalls mit einer Prostituierten gleichzusetzen ist. Pia verkauft nicht ihren Körper, vielmehr bietet sie eine intime und unterstützende Dienstleistung für Menschen an, die eine körperliche oder geistige Behinderung haben oder aufgrund ihres Alters eingeschränkt sind.
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Spätestens seit die Grünen Anfang des Jahres den Sex auf Rezept für Pflegebedürftige vorschlugen, ist das Thema Sexualassistenz in aller Munde. Viele Menschen reagieren immer noch verwundert über den Beruf, sind neugierig, diesem gegenüber oft kritisch eingestellt. Pia versteht den Hype um ihren Job allerdings nicht. „Ich würde mir wünschen, dass diese Thematik etwas Normaleres wird“, sagt sie im Interview mit Refinery29. „Sexualität ist eine ganz wunderbare Kraft, sie kann helfen, unser Leben schöner zu machen – deswegen wollte ich gerne in dem Bereich arbeiten. Aber eben auch auf hohem Niveau. Als Sexualbegleiter arbeiten wir erlebnispädagogisch. Das heißt, es ist immer ein Zusammenspiel zwischen Sexualberatung und -begleitung.“
Oft sind es die Eltern eines Pflegebedürftigen oder die Wohnbereichsleitungen, die Pia kontaktieren, manchmal auch die Kunden selbst. Bei letzteren sind die sexuellen Bedürfnisse und Triebe genau so vorhanden, wie bei anderen Menschen, die eben nicht aufgrund des Alters oder einer Behinderung eingeschränkt sind. Und so unterschiedlich wie ihre Kunden sind, sind auch die Treffen mit ihnen. Bei einer Verabredung muss es nicht unbedingt zu Sex kommen, verrät Pia – auch Massagen, Streicheleinheiten oder die bloße Kommunikation spielen eine Rolle.
Aber immer ist es ein individuelles Ereignis: „Es können Berührungen stattfinden, wir können reden und herausfinden, was derjenige für Vorstellungen zum Thema Sexualität hat. Viele können sich selber gar nicht berühren oder sich etwas Gutes tun – also können wir zum Beispiel da ansetzen“, erzählt Pia. „Insofern kann die Sexualbegleitung mit mir auf vielfältiger Weise erlebt werden. Wir gestalten das tatsächlich gemeinsam, es ist schon ein interaktives Erlebnis. Beide sollen sagen können, was sie wollen, was sie nicht wollen. Wir machen nur etwas, was für beide in Ordnung ist.“
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Dass sie ein Kunde monatlich oder gar öfter bucht, ist nicht die Intention der Duisburgerin. In ihrem Beruf ist sie klar gegen die Konsumierung von Sex. „Es geht nicht um reine Befriedigung. Mein Credo ist, dass ich niemanden anbiete, Sexualität zu erleben, wie er oder sie das eben gerade möchte. Wenn ich mit jemanden zusammen bin, wollen wir gemeinsam eine für beide Seiten bereichernde und lustvolle Zeit haben“, so die Sexualbegleiterin. Und diese gemeinsame Zeit soll dem Gegenüber langfristig ermöglichen, in die Sexualität oder eine Partnerschaft hineinzuwachsen. „Es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe.“
Bei dieser unterstützenden Arbeit ist viel Feingefühl gefragt: „Kommunikation und Reden spielt eine Rolle. Körper und Hirn sind eine Einheit. Natürlich ist es oft so, dass wir das Denken brauchen, um uns im Alltag zu bewegen und uns zu organisieren. Aber vom Denken zum Fühlen sind einige Schritte nötig. Da kümmere ich mich drum“, sagt sie. Außerdem ginge es um Sicherheit und um Vertrauen, das vermittelt werden muss. „Das sind Schritte, die oft einige Male in Anspruch nehmen. Wenn man dann dort angekommen ist, kann man von da aus weiterschauen.“
Nach zwölf Jahren in diesem Beruf hat Pia eine passende Bezeichnung für sich gefunden: „Ich bin eine Übungsfrau, eine Assistentin von jemanden. Ich bin eine Zeit lang da, aber wenn derjenige sich gestärkt und geborgen fühlt, schicke ich ihn ins Leben.“
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