Claudias Freunde sagen immer, wie toll es sei, dass sie so tolerant ist. Sie dagegen findet es ganz normal, dass ihr Freund bereits zwei Töchter mit seiner zwei Ex-Frauen hat. Es beruhigt sie sogar. Das ist ihre Geschichte...
Über ein Portal wie Parship oder Tinder hätte ich Thomas wahrscheinlich nie kennengelernt: Er ist zehn Jahre älter und hat zwei Kinder, die auch noch von verschiedenen Frauen sind. Damit wäre er bei der Onlinesuche gar nicht in meine engere Auswahl gekommen.
Tatsächlich ist er mein Nachbar. Ich fand ihn sofort attraktiv, als ich ihn nach seinem Einzug das erste Mal im Flur traf. Nachdem wir mehrfach im Flur gequatscht hatten, gingen wir in der Bar um die Ecke einen trinken.
Damals erzählte er mir gleich von seinem ersten Kind. Der Schock, den er von meiner Seite befürchtet hatte, blieb aus. Der Mann war Ende 30, ich hatte natürlich mit etwas in der Art gerechnet. „Ich fände es eher komisch, wenn du noch keine längere Beziehung gehabt hättest“, sagte ich nur. Thomas atmete hörbar auf. Aber es klang alles wirklich unkompliziert: Seine große Tochter war 14, er seit fünf Jahren geschieden, seine Ex und er hatten ein gutes Verhältnis. Das würden wir schon hinbekommen.
Thomas und ich trafen uns weiter, ich war so verknallt wie ewig nicht mehr. Nach der Trennung von meinem letzten Freund vor drei Jahren hatte ich lange niemanden kennengelernt, den ich richtig toll fand. Bei Thomas war das anders: Wir gingen beide gern ins Kino, kochten zusammen, lachten viel, konnten über alles reden. Er war perfekt für mich.
„Es gibt da noch eine Sache, die ich dir noch nicht erzählt habe“, sagte er nervös vier Wochen später bei einem Picknick im Park. Mein Herz machte einen kurzen Satz. Kurz dachte ich, er würde mit mir Schluss machen wollen. „Was denn?“, hörte ich mich flüstern. „Es tut mir leid, dass ich es dir jetzt erst sage, aber vorher wusste ich einfach nicht, wie ich es machen soll: Ich habe noch eine vier Jahre alte Tochter.“
Plötzlich wurde mir einiges klar. Thomas hatte neulich ganz spontan einen wichtigen Termin, war mir aber ausgewichen, als ich ihn fragte, worum es ging. Das musste mit seiner jüngsten Tochter zu tun gehabt haben. „Warum hast du das denn nicht gleich erzählt?“, fragte ich. „Ich dachte, dass dir das vielleicht alles zu viel werden könnte“, sagte er. „Bist du sehr geschockt?“ Ich antwortete: „Höchstens darüber, dass du Angst hattest, mir davon zu erzählen.“ An diesem Tag war ich irritiert und auch zurückhaltender ihm gegenüber, aber nachdem ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, war da nur noch pure Zuneigung für ihn. Gut, er war nicht keine 25 mehr und hatte zwei Kinder – aber es gibt Schlimmeres, oder?!
Thomas war erleichtert, dass ich so entspannt war. Er erzählte mir, dass die Beziehung zu seiner letzten Freundin eigentlich schon gescheitert war, als beide von der Schwangerschaft erfuhren. Ein Unfall. Drei Monate nach der Geburt hatten sie sich getrennt, er liebte seine Kleine trotzdem über alles. „Du musst sie und ihre Halbschwester einfach bald kennenlernen. Natürlich nur, falls du das möchtest“, sagte er. „Wenn du schon zwei hast – willst du überhaupt noch Kinder?“, fragte ich. „Mit dir schon“, antwortete er. Damit war für mich das Wichtigste geklärt.
Meine Freunde sagen mir oft, dass sie es bemerkenswert finden, wie tolerant ich bin, aber es fällt mir tatsächlich nicht schwer. Ich habe lieber einen tollen Typen mit zwei Töchtern als einen Idioten ohne Kinder. Es ist mir egal, was mein Freund gemacht hat, bevor wir uns kennengelernt haben. Und Thomas weiß, was auf uns zukommt, falls wir zusammen Eltern werden sollten. Dass er ein Leben mit Kindern schon kennt, beruhigt mich sogar. Ich kenne seine Töchter natürlich mittlerweile, und zum Glück mag ich die Mädchen total gern. Und ihre Mütter scheinen ähnlich gelassen zu sein wie ich.
Nur meinen Eltern habe ich zunächst im Unklaren gelassen. Ich wollte, dass sie unvoreingenommen sind, wenn sie ihn kennenlernen. Es ist mir wichtig, was sie denken. Doch selbst mein ansonsten kritischer Vater war begeistert von ihm. Als ich ihnen dann ein paar Wochen später erzählte, dass Thomas schon zwei Kinder hat, waren sie kurz überrascht, aber dann sagte meine Mutter nur: „Wichtig ist, dass du glücklich bist.“ Ich finde, damit hat sie absolut recht.
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