Weißes Shirt, weißer Rock, weiße Schuhe – alles möglichst alt und unbrauchbar. Das sind die Kriterien, nach denen die meisten Läufer beim Hamburger Color Run ihr Outfit für das farbensprühende Event zusammenstellen. Wie wäre es denn mit dem eigenen Brautkleid? Das ist weiß, mehr oder weniger alt und unbrauchbar. Zumindest, wenn man nicht vorhat, in der gleichen Klamotte nochmal vor den Altar zu treten. Pragmatisch, unsentimental und irgendwie ein bisschen logisch. Fand auch Lillemor, als sie in diesem Jahr in voller Brautmontur den Run absolvierte. Ein Befreiungslauf war es. Ein endgültiger und sehr öffentlicher Schlussstrich unter ihrer Ehe, die knapp sechs Monate zuvor nach nur zehn Monaten in Lug und Betrug geendet hatte, und zugleich der Startschuss für ein neues, ein glücklicheres Leben.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Nein, „es war perfekt“, erinnert sich Lillemor, als wir uns zum Lunch in Hamburg treffen. „Alex und ich haben uns im Internet kennengelernt, ein paar Tage lang hin und her geschrieben und uns dann direkt getroffen. Etwas früh, aber irgendwie war von Anfang an klar, dass es passt. Und so war es dann auch. Wir waren einfach auf einer Wellenlänge.“ Schon beim zweiten Treffen lernte Alex Lillemors damals zweijährigen Sohn aus einer früheren Beziehung kennen. Vom Gefühl her wieder etwas zu früh. „Wir hatten ein Date, aber dann wurde mein Sohn krank. Also kam Alex vorbei, kümmerte sich die ganze Nacht um den Kleinen – es war rührend.“ Zwei weitere Verabredungen folgten, dann zog er bei Lillemor ein. Vier Wochen später kam der erste von zahlreichen Heiratsanträgen. „Mal fragte er mich persönlich, mal per SMS oder Brief, mal in einer Videobotschaft. Und ich habe jedes Mal Ja gesagt.“ Vier Monate nach dem ersten Treffen und elf Heiratsanträge später wurden vor dem Altar dann Nägel mit Köpfen gemacht. Gemeinsame Kinder waren in Planung, Alex wollte Lillemors Sohn adoptieren. „Wir hatten eine tolle Beziehung, stritten uns fast nie und versöhnten uns dann sofort wieder. Alles war sehr harmonisch.“ Sie nahm einen Management-Job in einem Fitnessstudio an: 40-Stunden-Woche plus Wochenend- und Abendschichten. „Alex hat alles abgedeckt, ist von Null auf Hundert in die Vaterrolle geschlüpft.“ Ein Schnellschuss ins ganz große Liebesglück …
Doch nur zehn Monate nach der Hochzeit kam an einem grauen Januar-Morgen das böse Erwachen. „Ich hatte schon seit einigen Tagen ein komisches Gefühl“, sagt Lille. „Als er dann morgens unter der Dusche war, wagte ich einen Blick in sein Handy. Ich weiß, das macht man nicht. Aber ich musste.“ Da standen sie: Liebesbekundungen an eine andere Frau. Begleitet von schnulzigen Herzchen. So schnell wie Alex bei ihr eingezogen war, so schnell war er auch wieder ausgezogen. Und das, nachdem Lille gerade erst ihren Job aufgegeben hatte, weil er sie unglücklich gemacht hatte. „Schatz, wir schaffen das schon, Hauptsache wir haben uns“, hatte Alex ihr zugeredet. „Und plötzlich stand ich wieder allein mit meinem Kind da und war obendrein arbeitslos“, sagt sie. „Es war der schlimmste Moment in meinem Leben. Innerlich bin ich einfach gestorben.“
Innerlich tot war Lillemor jedoch nur drei Tage lang. Drei Tage, in denen sie glaubte, Alex würde zur Vernunft kommen. Was er nicht tat. Dann gingen die Aufräumarbeiten los – und damit ein ganz neues Leben. „Erst beschloss ich meine Wohnung zu renovieren“, sagt Lille. „Ich erzählte meinen Freunden, was passiert war, lud sie zu mir ein, machte aber klar, dass ich nicht über die Trennung reden oder gar über Alex lästern möchte.“ Noch war es kräftezehrend. Lille aß nicht, trank nicht, nahm immer mehr an Gewicht ab.
Dann kam Ismael. Ein kleiner, dicker Glatzkopf mit Lederjacke. „Ein starker Typ, der obendrein in einer Gang war“, schmunzelt Lille. Nein, nicht eine neue Liebe. Ismael existierte nur in Lilles Fantasie. Ein Türsteher, der Alex aus ihrem Kopf vertreiben sollte. Ein Konzept, dass Lille aus ihrer früheren Tätigkeit als Yoga-Lehrerin adaptiert hatte: Gedanken kommen vor Emotionen. Heißt: Jeder ist für seine eigenen Gedanken verantwortlich. Niemand wird gedacht, sondern jeder denkt selbständig das, was er denken möchte. Und das kann man beeinflussen. „Ich stellte mir meinen Kopf also wie einen exklusiven Club vor, in den nicht jeder rein darf, sondern nur die Personen, die mir wirklich gut tun“, erklärt sie. „Ismael war mein Türsteher. Und immer, wenn Alex meinen Club betrat, was ich daran merkte, dass ich traurig wurde, griff Ismael ein und warf ihn raus. In ganz schwierigen Momenten holte er seine Kollegen zur Unterstützung dazu.“ Ab und zu gab Lille ihrem Türsteher frei. Tage, an denen sie sich in der Trauer und der Wut aalte. „Aber das tat mir nicht gut. Länger als zwei Tage hielt ich das nie aus.“
An einem dieser traurigen Tage, etwa zwei Wochen nach der Trennung, war es, als Lillemor auf Facebook auf die „Liebeskümmerer“ stieß, ein Zusammenschluss aus Psychologen, die man kontaktieren kann. „Ich tat das. Und die Frau, mit der ich da sprach, erzählte mir, dass der WDR für eine Doku gerade auf der Suche nach Personen wie mir ist.“ Der Kontakt wurde hergestellt, und prompt kam das Fernsehen vorbei. Lille erzählte, wie sie ihren Job aufgegeben hatte – zum einen, um eine Familie zu gründen, zum anderen, weil sie so unglücklich damit war. „Ich hatte mich zwischenzeitlich wieder in meinem früheren Beruf als Yoga-Lehrerin und Fitnesstrainerin selbständig gemacht bzw. machen müssen – eine Festanstellung findet man da kaum. Erst recht nicht, wenn man ein Kind hat und zeitlich unflexibel ist. Der Kameramann erzählte mir vom Job seiner Frau: Vertriebspartnerin für vegane Frischekosmetik und Superfoods von Ringana.“
Eine Tür hatte sich geöffnet, durch die Lillemor eine ganz neue berufliche Perspektive fand. Ein Unternehmen, das zu ihr, ihrer Lebensphilosophie und zur ganzheitlichen Yoga-Praxis passt. Die will Lille nun erweitern: Anti-Liebeskummer-Yoga ist eines der Projekte, an denen sie arbeitet. „Ich will anderen Frauen helfen, durch Yoga und gezielte Gedankenlenkung ihren Liebeskummer zu besiegen“, sagt sie. „Ich selbst war schon nach drei Monaten durch mit dem Thema. Davon war ich an fünf oder sechs Tagen traurig, ansonsten ging es mir okay, teilweise sogar richtig super.“ Acht Monate ist die Trennung inzwischen her. „Aber gefühlsmäßig ist das alles so weit weg“, sagt sie. „Es kommt mir vor, als wären fünf Jahre vergangen. Alles in meinem Leben hat sich zum Besseren gewendet. Ich habe mich selbst gefunden, bin spirituell gewachsen – und das habe ich ausschließlich Alex zu verdanken.“
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