Ich bin ein großer Fan von Wortneuschöpfungen und gerade beim ohnehin schon sehr unterhaltsamen Thema Dating sind mir in den letzten Jahren die dollsten Varianten über den Weg gelaufen. Da wäre etwa die Wingwoman beziehungsweise der Wingman, das allseits verachtete Cockblocking, das Friendzoning und, na klar, das Ghosting.
Endlich hat das Dating-Phänomen einen Namen: Orbiting
Auf der amerikanischen Seite Man Repeller bekam nun ein Phänomen einen Namen, von dem mir schon viele Freundinnen erzählt haben: das Orbiting. Ein Orbit beschreibt die Umlaufbahn eines Satelliten um einen Himmelskörper und anhand dieser Definition wird eigentlich bereits klar, worum es bei Orbiting geht.
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Kürzlich hatte ich eine Freundin aus der Heimat zu Besuch. Während wir abends auf unser Essen warteten, klickte sie sich durch ihre Insta Stories und sagte plötzlich: „Da ist er wieder. Schreibt nicht, meldet sich nicht, aber schaut immer als einer der ersten meine Storys an.“ Als ich sie fragte, wen sie meinte, erzählte sie mir eine fast identische Geschichte, wie sie auch der Redakteurin des Man Repeller-Artikels widerfahren war.
Der Kontakt wird abgebrochen, auf Instagram aber munter kommentiert und gelikt
Man lernt sich (meist) über Tinder kennen, man schreibt ein wenig, datet sich. Eigentlich läuft alles ganz gut, man findet sich nett, doch irgendwann wird nicht mehr auf Nachrichten reagiert. Gut, denkt man sich, halb so wild, und sortiert die Bekanntschaft unter „vergangene Dates” im Aktenordner ein. Bis das Orbiting startet. Das Gegenüber bricht zwar den Kontakt ab, schwirrt aber (bevorzugt auf Instagram) noch immer in der Peripherie herum. Bei meiner Freundin waren es die Stories, die angeschaut wurden, bei anderen sogar Kommentare und Likes unter geposteten Fotos, meist in Form von Emojis.
Es ist ein sehr spannendes Phänomen. Schließlich kennt man sich nicht wirklich gut, hatte offensichtlich auch beiderseits kein tieferes Interesse aneinander, doch irgendwie scheint das eigene Leben für die andere Person noch so relevant zu sein, dass über die unverbindlichen Möglichkeiten, die Social Media liefert, daran teilgenommen wird.
Orbiting darf nicht mit Stalking oder Creeping verwechselt werden
Wichtig ist, dass man Orbiting nicht verwechseln sollte mit Stalking oder Creeping. Stalking ist das krankhafte Verfolgen einer Person, die im Zweifel nie persönlich getroffen wurde. Creeping ist auch ein großes Hobby von mir (sorry) und heißt eigentlich nur, dass man etwa auf Facebook oder Instagram ein wenig im Leben von anderen Menschen herumschnüffelt, so gut es eben anonym geht.
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Beim Orbiting ist das anders. Denn hier hatte man ja die Möglichkeit, sich a) näher kennenzulernen und b) auf freundschaftlicher Ebene den Kontakt aufrechtzuerhalten. Man entscheidet sich aber dagegen, nur um gleichzeitig doch alles wissen zu wollen.
Ist es ein Warmhalten? Ist es FOMO? Ist es Langeweile? Ich habe leider bisher niemanden getroffen, der*die orbitet (oder der*die es zugegeben hätte). Ich für meinen Teil habe immer, sobald sich nach einem oder zwei Dates herauskristallisierte, dass es nicht passt, den Kontakt abgebrochen und nicht mehr nach hinten geblickt. Haben Orbiter vielleicht keine Freunde? Sind sie zu schüchtern, um offen den Kontakt zu suchen? Nur, warum sollten man dann die Nachrichten der anderen ignorieren, die ja ein offensichtliches Interesse signalisieren?
Ist Orbiting das Ergebnis der emotionalen Überforderung unserer Generation?
Eventuell ist Orbiting das Ergebnis der emotionalen Überforderung unserer Generation. Wir haben so viele Möglichkeiten und ebenso viele versteckte Codices, wenn es um das Thema Dating geht. Früher hat man angerufen oder es sein gelassen. Davor hat man meinetwegen eine Brieftaube zurück geschickt – oder eben nicht. Heute lernt man sich kennen, bevor man sich gesehen hat. Muss sich schreiben, sich treffen und bewähren. Man muss entscheiden, ob man das Gegenüber in sein Social-Media-Dasein einlädt und auf Facebook, Instagram und Snapchat added. Man hat die Wahl zwischen schreiben, anrufen, anstupsen, liken, tweeten, Videobotschaften, Pings, Retweets, Herzchen und einem Daumen nach oben. Und das alles, während man gerade dabei ist, sich wirklich richtig kennen zu lernen.
Da muss man doch irgendwann irre werden. Ich bin daher nicht sicher, ob Orbiting wirklich ein Trend ist wie Anna Iovine auf Man Repeller sagt, oder ob es sich hier um eine Verhaltensauffälligkeit handelt, die gerade Schule macht. Dass vermehrt Männer orbiten ist ebenfalls eine interessante Beobachtung, der ich nach meiner kleinen Blitz-Recherche zustimmen kann.
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Man könnte fast sagen, dass Orbiting so etwas wie Stalking ohne Gefahr ist. Oder vielleicht ein extrem seltsames Kompliment. Denn man hat ja ein offensichtliches Interesse an unserer Person, ohne uns dabei auf den Sack zu gehen. Übrigens haben alle, die mir davon berichteten, ihren Orbiter in einer Nachricht gefragt, was er sich von diesem Verhalten verspricht. Keine hat eine Antwort erhalten. Leider hat auch keine ihren Orbiter bisher wieder getroffen, ich stelle mir diese Situation äußerst amüsant vor.
Schlussendlich wird es aber vermutlich jedem Orbiter so gehen, wie den Satelliten, die um die Erde kreisen: Mit der Zeit erlischt das Interesse und die Person endet als verglühender Weltraumschrott im Nirvana unseres Lebensuniversums.
Und ihr? Habt ihr schon mal georbitet? Wart oder seid ihr gerade Orbiting-Objekt?
Orbitet mal um diese Artikel auf Refinery29:
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