Mit einem Orgasmus ist es ein bisschen so wie mit der Liebe auf den ersten Blick: Wenn es passiert, weißt du es einfach. Das behaupten zumindest viele Leute. Und obwohl sich das natürlich nett anhört und sicher auch in einigen Fällen zutreffen mag, ist es eben manchmal doch nicht so. Denn den einen Orgasmus gibt es gar nicht. Er kann dich überrollen wie eine Lawine oder sich heimlich an dich heranschleichen. Er kann dich zum Schreien oder Weinen bringen, oder eben irgendwo dazwischen liegen. Wenn du dir also nicht sicher bist, was du bei einem Orgasmus fühlen „solltest“, ist das völlig okay, denn es gibt darauf eben keine eindeutige Antwort.
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„Hattest du schon mal einen Orgasmus?“ ist eine Frage, die leider für viele Menschen noch immer mit Scham verbunden ist, sagt Vanessa Marin. Sie ist Sextherapeutin und bietet Orgasmus-Unterricht für Menschen mit Vaginas an. „Man hört immer wieder: Wenn du den Orgasmus infrage stellst, war es keiner“, erzählt sie. Dabei empfindet jede*r den Orgasmus unterschiedlich, und selbst eine einzelne Person kann völlig unterschiedliche Orgasmen erleben, meint Marin. Einige Leute kommen schon beim ersten Mal, während andere wiederum nie einen Orgasmus erleben werden – und das sind mehr Menschen, als du vielleicht denkst.
Warum manche nicht kommen, kann viele Gründe haben und es sagt auch nichts über das Sexleben an sich aus – schließlich kann Sex auch ohne einen Orgasmus absolut leidenschaftlich sein. Der „Höhepunkt“ sollte nicht automatisch als unbedingt zu erreichendes Ziel gelten. Wenn du dir selbst nicht sicher bist, ob du schon einmal einen Orgasmus hattest, oder auch einfach bloß dein eigenes Orgasmus-Potential erforschen möchtest, bekommst du im Folgenden einige Antworten.
Was genau ist eigentlich ein Orgasmus?
Der weibliche Orgasmus hat etwas Mystisches an sich – ist aber eigentlich einfach der „Höhepunkt der sexuellen Erfahrung“, meint Marin. Um es noch simpler auszudrücken: Der Orgasmus ist letztlich ein körperlicher Reflex, der mit starker Erregung einhergeht, erklärt die Sexualtherapeutin Dr. Shannon Chavez. Du solltest dich also nicht auf den Gedanken konzentrieren, ob du wohl diesmal (nicht) kommen kannst, sondern stattdessen den Sex als Ganzes genießen, empfiehlt sie. „Wenn du dich auf deine Erregung konzentrierst, kannst du verschiedene Dinge ausprobieren. Stimuliere deinen Körper, um Spannung aufzubauen und lerne, diese dann wieder abzubauen“, rät sie. Wenn du erregt genug bist, könnte das zum Orgasmus führen.
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Dr. Chavez beschreibt das wie folgt: Vor einem Orgasmus baut sich im Körper ein intensiver Druck auf. Diese Anspannung löst sich mit einem Mal, wenn du kommst, und kann überall zu spüren sein – vor allem aber am Ort der Stimulation. Viele erwarten vom Orgasmus ein Gefühl der Befreiung oder Erleichterung, aber das ist nicht immer gegeben, sagt Marin.
Während des Orgasmus werden im Gehirn Stoffe freigesetzt, die Gefühle der Euphorie und Verbundenheit auslösen, erklärt Dr. Chavez. Das kann sich anfühlen wie ein glückliches High; Marin bezeichnet den Orgasmus als die „pure Lust“. „Fühlst du dich danach besser als vorher?“, fragt sie. Wenn ja, bist du womöglich gerade gekommen.
„Ein deutliches körperliches Anzeichen für einen Orgasmus sind unbeabsichtigte Muskelkontraktionen“, erklärt Marin. Wenn du also spürst, wie sich deine Scheidenwände, Bein-, Bauch- oder Pomuskeln zusammenziehen, ist das ein ziemlich eindeutiges Indiz für einen Orgasmus. Womöglich bist du danach auch sehr empfindlich und bemerkst ein „Pochen, Zucken, Flattern oder Kitzeln“, zählt Dr. Chavez auf. Auch deine Atmung oder dein Herzschlag beschleunigen sich eventuell, oder du errötest am Hals oder auf der Brust. Aber auch hier gilt: Jede*r ist anders. Vielleicht erlebst du jedes einzelne dieser Symptome, vielleicht auch nicht – das sind nur mögliche Anzeichen.
Was, wenn ich nicht kommen kann?
Keine Sorge: Damit bist du bei Weitem nicht allein. Geschätzte 10 bis 15 Prozent aller Cis-Frauen können keinen Orgasmus bekommen; sie werden manchmal als „anorgasmisch“ oder „präorgasmisch“ bezeichnet. Noch viel größer ist aber die Zahl derjenigen, die zwar kommen können, es aber nur selten tun.
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Für die Anorgasmie gibt es mehrere mögliche Ursachen, unter ihnen der sogenannte Vaginismus (Scheidenkrampf), hormonelle Verhütungsmethoden, andere Medikamente, fortschreitendes Alter und psychologische Faktoren. Manchmal kommen auch mehrere Dinge zusammen.
Bist du selbst von Anorgasmie betroffen, solltest du dich beim Sex statt auf den Orgasmus auf etwas Anderes konzentrieren: auf den Spaß. „Anorgasmischen Menschen, die trotzdem schönen Sex haben möchten, rate ich dasselbe wie allen anderen: Überlege dir, wie du gern berührt wirst. Was fühlt sich gut an, was wünschst du dir vom Sex?“, erklärt Lux Alptraum, Autorin von Faking It: The Lies Women Tell About Sex – And The Truths They Reveal. Sie selbst konnte durch die Einnahme der Pille und Antidepressiva zeitweise keinen Orgasmus bekommen. „Finde raus, was dir gefällt – und dann mach das. Konzentriere dich auf nichts außer deine Lust.“
Wie kann ich einen Orgasmus bekommen?
Zuallererst: Entspann dich! Viele machen sich selbst zu viel Druck, unbedingt kommen zu wollen. Das ist natürlich ein echter Erregungskiller. Denke lieber darüber nach, worauf du gerade Lust hast, meint Dr. Chavez und betont: Der Orgasmus ist letztlich eine antrainierte Reaktion des Körpers. Daher hängt deine eigene Orgasmuserfahrung davon ab, wie du deinen Körper auf Lust und Erregung trainiert hast. „Du musst dafür die einzigartige Anatomie deiner Genitalien kennen und wissen, wie du deinen Körper auf Erregung einstellst“, sagt sie.
Marins Tipp ist simpel: Masturbiere, um deinen Körper besser kennenzulernen. „Es ist völlig normal, dass du erstmal ein bisschen Anweisung brauchst, um deine Bedürfnisse zu entdecken“, sagt sie. (Wenn du nicht weißt, wo du anfangen sollst, haben wir hier 14 Tipps für dich.) Letztlich gilt aber auch hier: Übung macht den Meister.
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