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Pärchenzwang – ein Appell über das Paar hinaus und jenseits der Zwei zu denken

FOTO: Nolan Rockie
Meine Freundin liegt neben mir im Bett und heult. Die letzten sechs Jahre hat sie Kontinenten-Hopping betrieben und in den unterschiedlichsten Ländern im Microfinancebereich gearbeitet. Immer neue Leute. Immer neue Arbeitsplätze. Und vor allem: keine Basis für eine Beziehung. Sie ist einsam, sagt sie. Sie will auch endlich eine Familie gründen. Einen Partner an ihrer Seite haben. Alle um sie herum ziehen mit den Partner*innen zusammen, heiraten, kriegen Kinder und bleiben meistens nach ihrem Achtstundentag mit Kind und Kegel zu Hause auf dem Sofa vor dem Fernseher anstatt mit ihr noch bis in die Nächte feiern oder zumindest ein Bier trinken zu gehen. So liegt sie neben mir und klagt. Und ich weiß nicht, was ich sagen soll und runzele nur mit der Stirn. Mir kommt das alles fremd vor.
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„Vielleicht denkst du nur, du müsstest einen Partner haben, weil dir vorgelebt wird, dass das der natürliche Lauf des Lebens ist. Und eigentlich bist nicht du es, die tatsächlich das will, was die anderen dir vorleben, sondern nur der Zugzwang, der dich dazu bringt, das auch zu wollen.” Aber was tut man, wenn man nicht immer nach 18 Uhr alleine in der Wohnung mit Eiscreme hocken möchte, während alle anderen mit ihren Partner*innen gemütlich mit Wollsocken bekleidet bei einem Glas Wein den Abend ausklingen lassen? Und wie schade ist es, dass es anscheinend nur diese beiden Optionen gibt und kein Dazwischen?
Es scheint, als würde alles, was über die Zwei hinausgeht, als negative Ableitung von der Zwei verstanden werden. Weil das Paar die Norm ist und im Umkehrschluss das Single-Sein nur als Minusdefinition von der Paarbeziehung zu verstehen ist. Heißt, „Single” ist ein Status der sagt: nicht mit jemanden zusammen oder verheiratet. Man könnte es auch in Anlehnung an Simone de Beauvoirs Buch „Das zweite Geschlecht“ so formulieren: So wie das Weibliche oder Queere immer erst in Bezug auf das Männliche als das Sekundäre – zu verstehen ist, so sind auch alle Beziehungsformen, die jenseits der Zwei liegen, als Abweichung, als nicht normal, als anders etikettiert. Wer nicht das Glück hat, in einem Umfeld zu leben, wo andere Lebensformen und –beziehungen normal sind, fühlt sich schnell allein gelassen und unter Druck. Kein Wunder also, dass aktuelle Studien meinen, den Verlust an Gemeinschaft und die um sich greifende Einsamkeit an den Indikatoren „Single“, „Nicht verheiratet“ und „kinderlos“ festmachen zu können.
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Es scheint, als würde alles, was über die Zwei hinausgeht, als Ableitung von der Zwei verstanden werden. Weil das Paar die Norm ist und im Umkehrschluss das Single-Sein nur als Negativdefinition von der Paarbeziehung zu verstehen ist.

Julia Lehmann
Und obwohl im Laufe der letzten Jahrzehnte bestimmte Zwänge in Bezug auf die Partnerwahl weggefallen sind und heute – zumindest in der westlichen Welt – das Credo gilt, sich in der Regel frei seine*n Partner*in auswählen zu können, bleibt irgendwo doch ein Zwang bestehen: überhaupt jemanden wählen zu müssen. Bei allen „Freiheiten“ in der Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens ist die Wahl letztlich darauf reduziert, die Zweierbeziehung als das ultimative und einzig vorstell- und lebbare Modell für sich zu sehen – und das unabhängig von der sexuellen Orientierung. Auch rechtlich läuft es in der Regel darauf hinaus, dass lediglich gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen staatlich anerkannt werden. Weltweit versuchen Demonstrationen der LGBT-Community auf ihr Recht auf Ehe oder Adoption von Kindern aufmerksam zu machen. Richtig so!
Sollte endlich gleiches Recht für alle durchgesetzt werden, gilt allerdings erneut: Um staatlich und gesellschaftlich anerkannt zu werden, muss man sich wohl in einer romantischen Beziehung wiederfinden. Das bedeutet wiederum: Sofern ich mich nicht innerhalb einer Liebeskonstellation befinde, werde ich diskriminiert und übersehen. Andere Lebens- und Beziehungsmodelle (wie z.B. Freundschaft) hingegen werden nicht so wichtig und ernst genommen. Sie werden als temporär angesehen und haben keine offizielle Stimme – sind in den Gesetzbüchern nicht einmal namentlich vorhanden. Die Politik unterstützt und fördert die Zahl Zwei – die nur durch das Kind als drei und/oder mit dem/der Alleinerziehend*in ein gesondertes Recht erfährt. Unabhängig also vom Geschlecht ist der ausschlaggebende Faktor im Steuer-, Eltern -, Familien- oder Erbrecht, dass man in einer Partnerschaft lebt. Ob das nun eheähnlich oder eingetragene Lebensgemeinschaft heißt – Hauptsache zwei. Andere Möglichkeiten jenseits des traditionellen heteronormativen Lebensmodells (klassisch: eine Ausbildung machen, sich beruflich festlegen, mit dem Partner zusammen ziehen, heiraten/oder in eheähnlicher Lebensgemeinschaft getrennt/zusammeneben, Kinder kriegen...) gibt es nicht in der Politik und nicht im Recht.
FOTO: Nolan Rockie
Selbst in der Architektur, konkret im Wohnungsbau schlägt sich ein heteronormatives Modell nieder. Einzimmerwohnung sind generell Mangelware in Europas Großstädten. Und Zweizimmerwohnungen sind immer nach dem gleichen Schema angelegt: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Bad. Spielraum für ein getrenntes Schlafsystem für Paare gibt es zum Beispiel auch nicht. Das Diktat der Zwei unterschlägt, dass es andere Möglichkeiten des intimen Zusammenlebens geben kann. Und darüber hinaus: es unterschlägt nicht nur, sondern sorgt gleichzeitig dafür, dass sich andere Formen des Zusammenlebens als schwierig gestalten, als vorübergehend und/oder nicht richtig angesehen werden, letztlich als etwas, dass man lebt, nur weil man niemanden anderen gefunden hat. Bin ich möglicherweise nur mit meinem Freund zusammen, damit ich nicht alleine bin? Das hat mich eine andere Freundin gefragt: „Aber du bist doch nicht alleine! Du hast doch mich und noch so viele andere sehr gute Freund*innen!“, antwortete ich. Dieses uns, dieses wir, wird allerdings nicht anerkannt, das wissen wir beide. Weil wir Freundinnen sind und nicht als staatlich anerkanntes Paar leben können. Selbst, wenn meine Freundin verheiratet wäre, aber schon längst von diesem fiktiven Ehemann getrennt leben, nichts mehr von ihm wissen wollen würde und nun plötzlich aufgrund eines Unfalls ins Krankenhaus käme, hätte dieser Ehemann immer noch das offizielle Recht sie zu besuchen, über sie zu entscheiden – obwohl ich sie viel besser kennen, ihr viel näher stehen und wir immer noch und schon lange befreundet sein mögen. Dieser Ehemann hätte Priorität. Freundschaft hat kein Recht. Das Recht des Paares ist eine Exklusion. Eine Exklusion für alle, die sich nicht auf eine Zweierbeziehungen festlegen wollen. Das schließt nämlich die Menschen aus, die vielleicht mit Freunden zusammenleben, die mit drei oder vier Leuten in einer Beziehungen leben, die in keiner leben oder leben wollen. Leider.

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