„Knutschen“ ist meiner Meinung nach kein schönes Wort. Ich finde, dass es schnulzig klingt und ein unangenehmes Gefühl bereitet. Man kann es nicht wirklich ernst nehmen. Wann immer ich es zu hören bekomme, erschaudere ich und schrecke zurück.
Ein Typ, mit dem ich zusammen war – lass ihn uns doch einfach Nathan nennen –, verwendete oft den Begriff „knutschen“. „Lass uns noch einmal knutschen“, sagte er, als er mich morgens zurück ins Bett zog. „Wir könnten heute zu Hause bleiben, knutschen und auf dem Sofa kuscheln?“, schlug er vor. Während ich diese Zeilen schreibe, dreht sich mir der Magen um. Damals aber hatte ich noch keine Abneigung gegen's „Knutschen“. Aus Nathans Mund klang diese Bezeichnung süß und sogar etwas liebenswert. Das Wichtigste aber ist, dass ich es wirklich genoss, wann immer wir uns küssten.
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Andere Dinge, die mich normalerweise ebenfalls an einem zukünftigen Partner stören würden – von schlechter Bettwäsche über schlecht sitzende Hemden bis hin zu leeren Versprechungen (er riecht nach Gras und Alkohol, obwohl er mir fest versprochen hat, vor unseren Dates darauf zu verzichten) –, schienen mich an ihm auf magische Weise nicht zu nerven. Das ist der Mann für mich, dachte ich. Juhu! Ich hatte ihn gefunden.
Aber dann, etwa drei Wochen nach Beginn unserer Situationship, bemerkte ich, dass Nathan etwas mit seinem Bart angestellt hatte. Er hatte ihn nicht am Kinn getrimmt, sondern ein paar Millimeter darüber. Das hatte eine verwirrende Linie freiliegender Haut hinterlassen, die von einem Ohr zum anderen reichte. Der Bart sah angeklebt aus – wie ein Teil eines Kinderkostüms auf einem erwachsenen Gesicht.
Du findest mich jetzt wahrscheinlich richtig gemein. Haare wachsen ja schließlich nach! Außerdem ist es ja nur ein Bart! Das ist doch keine große Sache! Rational betrachtet würde ich dir ja sogar zustimmen: Es ging über meinen Verstand, aber ich fand seinen nun entblößten Hals einfach abstoßend. Ich verbrachte Stunden damit, mich bei Freund:innen darüber zu beklagen, dass es mich zur Verzweiflung brachte, dass ich diesen netten Kerl, in den ich doch Stunden zuvor noch Hals über Kopf verliebt gewesen war, nicht mehr ansehen wollte. Trotz ihrer Versuche, mich zu beruhigen und mir Ratschläge zu geben, war es zu spät: Meine Schmetterlinge waren verschwunden. Stattdessen ekelte ich mich vor seinem Anblick: Ich hatte alle Anzeichen von SRS (Sudden Repulsion Syndrome, zu Deutsch: Unvermitteltes-Ekel-Syndrom).
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Trotz ihrer Versuche, mich zu beruhigen und mir Ratschläge zu geben, war es zu spät: Meine Schmetterlinge waren verschwunden. Stattdessen ekelte ich mich vor seinem Anblick.
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Kommt dir dieses Phänomen vertraut vor? Du denkst, dass du die andere Person magst. Dann ziehst du dir aber plötzlich SRS zu. Von da an siehst du deine:n Partner:in auf einmal völlig anders. Nach und nach törnt dich dein Gegenüber immer mehr ab. Seltsamerweise und vielleicht ohne besonderen Grund ekelst du dich plötzlich vor deiner besseren Hälfte. Auf einmal siehst du alles mit anderen Augen und nichts wird je wieder so sein, wie es einmal war. Deshalb kann es sein, dass du irgendwann das Interesse verlierst und das Ganze letztendlich sogar beendest.
In der Popkultur kommt dieses Phänomen reichlich zur Sprache und wird als romantisches Todesurteil dargestellt. In der 22. Folge der ersten Staffel von Friends packt Monica plötzlich ein unwiderrufliches Gefühl von Abscheu Ethan gegenüber, als sie herausfindet, dass dieser Typ, in den sie doch noch gerade verliebt war, in Wirklichkeit 17 und nicht 22 Jahre alt ist. In der Episode „The Ick Factor“ – was die informelle, englische Bezeichnung für SRS ist – der sechsten Staffel der TV-Show Sex and The City fühlt sich Carrie von Aleksandrs altmodischen romantischen Gesten abgeschreckt. Daraufhin verschlechtert sich die Beziehung zwischen den beiden, bis sie sich schließlich dazu entscheiden, einen Schlussstrich zu ziehen.
Wenn dich SRS in der echten Welt packt, sieht die Situation manchmal aber anders aus. Der restliche Verlauf meiner Beziehung zu Nathan ähnelte aber den Katastrophen ziemlich, die ich auf dem Bildschirm im Allgemeinen so gesehen hatte. Sein komischer Bart veränderte einiges: Jedes Mal, wenn ich jetzt das Wort „Knutschen“ hörte, konnte ich nicht anders, als eine Grimasse zu schneiden. Meine anfängliche Toleranz seinen beschissenen Hemden und dem Mangel an Handseife in seinem Badezimmer gegenüber, die Ausdruck meiner Verliebtheit gewesen sein musste, verblasste allmählich. Schließlich verwandelte sich meine schwindende Lässigkeit in Wut. Natürlich sprach ich nichts davon in seiner Gegenwart an. Ich wusste nicht, wie ich meinen plötzlichen Ekel auf harmlose Art zur Sprache bringen könnte. Außerdem hatte ich Angst davor, dass ich die ganze glorreiche Fassade unserer aufkeimenden Beziehung in den Abgrund stürzen würde, falls ich mit ihm über mein SRS sprechen würde. Immerhin war ich mit unserer Situation ziemlich zufrieden (vor allem, wenn sein Bart zwischendurch wieder nachwuchs).
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Ich war immer noch verliebt und kämpfte deshalb hartnäckig um unsere Beziehung. Trotz meiner Bemühungen schienen meine Ekelgefühle aber zu überwiegen. „Interessanterweise handelt es sich bei der Ursache für deine Aversion oft um etwas, das du anfangs noch als liebenswert empfandest“, erklärt Verhaltenspsychologin und Dating-Coach Jo Hemmings. „Eine kleine Marotte, die du zu Beginn vielleicht noch niedlich fandest, wird im Laufe der Beziehung auf einmal zu einem Ärgernis, sobald die erste Verliebtheit abklingt.“
Jo zufolge kann eine nervige Kleinigkeit auf einmal zu einer wirklich großen Sache werden – unabhängig davon, ob du sie ursprünglich als liebenswert oder nicht empfandest. Oft kann dieser plötzliche Ekel den Anfang vom Ende signalisieren. Wenn dich schlagartig etwas an deinem Partner oder deiner Partnerin zu stören beginnt, lohnt es sich, gleich zu Beginn herauszufinden, was genau dahintersteckt. Ich wünschte, ich hätte das damals getan. „Manchmal kann SRS damit zu tun haben, dass du dich ein bisschen niedergeschlagen oder müde fühlst und deshalb auf verschiedene Dinge im Leben gereizt reagierst. Du bist nicht in Hochform und alles hat das Potenzial, dich zu ärgern. Dann bist eher du selbst für deine Ekelgefühle verantwortlich. Wenn der Grund für deine Abscheu aber etwas ist, das du ursprünglich attraktiv fandest oder das nicht wichtig genug war, um es zu bemerken, solltest du dich fragen: ‚Worum geht es hier eigentlich? Hat mein SRS vielleicht mit anderen beziehungstechnischen Problemen oder Sorgen zu tun?‘“
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Eine Beziehung mit der Absicht zu beginnen, die andere Person zu ‚ändern‘ oder ‚geradezubiegen‘, ist weder angenehm, noch fair oder optimal.
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„Ich würde zu einem Gespräch mit deinem Partner oder deiner Partnerin raten. Zeig dich dabei aber einfühlsam und achte auf deine Wortwahl; vermeide Wörter wie ‚angewidert‘ oder ‚Ekel‘. Was du aber auf jeden Fall tun solltest, ist, anzusprechen, wie du dich fühlst und warum die Dinge zwischen euch beiden etwas abgekühlt sind. Bei manchen Menschen normalisiert sich die Beziehung tatsächlich irgendwann wieder. Bei anderen kann SRS aber der Beginn vom Ende der Beziehung sein. Oft sind es nämlich kleine Dinge und winzige Anzeichen und nicht unbedingt große Streitereien oder das Gefühl, dass man nicht kompatibel ist, die zu einer Trennung führen.“
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Das klingt nur allzu wahr. Eines der frustrierendsten Dinge an meinen Ekelgefühlen meinem Partner gegenüber war, dass sich der Trigger für diese Emotionen so belanglos anfühlte. Ich kam mir albern vor, wenn ich mich über seine Gesichtsbehaarung beschwerte. Sein Bart und eine Reihe anderer Dinge, die später hinzugekommen waren, passten mir einfach nicht in den Kram. Selbst als meine Freund:innen und ich darüber nachdachten, wie man Nathans schlechte Rasiergewohnheiten verbessern, seine Garderobe aufpeppen und seinem Vokabular einen etwas sexieren Ton verpassen könnte, ist es weder angenehm, noch fair oder optimal, eine Beziehung mit der Absicht zu beginnen, die andere Person zu ‚ändern‘ oder ‚geradezubiegen‘.
„Man kann Menschen nicht grundlegend ändern, aber es gibt Dinge, bei denen man sich darauf einigen kann, anderer Meinung zu sein oder Kompromisse einzugehen“, betont Jo. Dabei „erkennst du vielleicht, dass diese Punkte nicht wirklich wichtig sind. Dennoch kannst du aber das praktische Verhalten von jemandem auf gewisse Weise beinflussen und ändern. Das macht einen Unterschied. Wenn Leute sagen, dass sie versuchen, jemanden zu ändern, hängt es wirklich davon ab, was sie mit ‚ändern‘ meinen.“
Ich machte keinerlei Anstalten, etwas zu ändern. Ich hatte mich so sehr in mein SRS vertieft, dass ich mich mittlerweile von vielen von Nathans Angewohnheiten extrem angewidert fühlte. Ich empfand so ein Ausmaß an Ekel, dass ich meine Abscheu bei unserem ersten ernsten Streit einfach nicht länger unterdrücken konnte – so sehr ich es auch wollte. Alles, was mich davor bereits genervt hatte, machte den Rest nur noch unerträglicher.
Jo erzählt mir von einem Paar, mit dem sie gearbeitet hat und das ähnliche Probleme hatte. „Sie sagte, alles fing mit Dingen an, die ihr Mann tat, die sie zu nerven begannen. Daraufhin zog sie sich mehr und mehr zurück. Ihre Gereiztheit törnte ihn körperlich ab, was heftig an ihr nagte.“ Ich glaube nicht, dass Nathan und ich uns nur wegen seines lächerlichen Bartes getrennt haben. Seine Angewohnheiten und mein SRS waren aber so frustrierend, dass sie zusammen mit unseren darauffolgenden Auseinandersetzungen ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit auslösten, das ich einfach nicht überbrücken konnte – das war nicht Nathans Schuld.
Obwohl ich nicht gerne an diese Erfahrung zurückdenke und nicht stolz darauf bin, wie ich in dieser Situation handelte, würde Jo ein solches Verhalten nicht als wankelmütig bezeichnen. Wir alle werden irgendwann im Laufe einer neuen Beziehung unangenehme Dinge bemerken – ekelhafte Angewohnheiten werden früher oder später ans Tageslicht kommen –, die wir nicht an unseren Partner:innen mögen. Sie schlägt vor, auf die Symptome deines SRS zu hören – falls du es dir zugezogen hast – und nicht zu vergessen, dass du etwas dagegen tun kannst. Je früher du das tust, desto besser und größer die Chancen, deine Beziehung zu retten. Mach dir Gedanken darüber, was der Grund für deine Ekelgefühle sein könnte. Finde heraus, ob diese Empfindung mit dir zu tun haben oder ob sie tatsächlich an dem oder der anderen liegen. Zuletzt ist es Zeit, um „dein Syndrom im Keim zu ersticken – abhängig von dessen eigentlicher Bedeutung“.
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