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Ich hielt meine Schwangerschaft während der ganzen 9 Monate geheim

Foto: Kerstins Kopf.
Triggerwarnung: Der folgende Artikel beinhaltet Schilderungen einer Angststörung und des Verlusts eines Kindes. 
Die Geburt deines heimlichen Kindes zu verkünden, ist ein bisschen schwierig. Sollst du einfach Kekse mit dem Gesicht des heimlichen Babys verschicken? Oder ein aufwändiges Feuerwerk planen, das am Ende den Namen des heimlichen Babys an den Himmel schreibt? Oder machst du’s auf die altmodische Art und veröffentlichst eine Meldung in der Zeitung? Oder postest du auf Instagram ein Foto, auf dem du selig und wie ein Profi dein Neugeborenes stillst? Ganz egal, wie du dich entscheidest – die Verkündung des Babys ist ja eigentlich der spaßige Teil. Dein Baby aber während der Schwangerschaft 40 Wochen lang geheim zu halten, ist deutlich weniger spaßiger, und deutlich komplizierter.
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Frag nur mal Kylie Jenner, die monatelang nicht in der Öffentlichkeit auftauchte, bis sie überraschend Baby Stormi auf die Welt brachte und die frohe Kunde in Form eines 11-minütigen YouTube-Videos namens „To Our Daughter“ verbreitete, das mittlerweile über 100 Millionen Klicks hat. Ich will damit nicht behaupten, meine globale Followerzahl käme der von Kylie Jenner auch nur annähernd nahe. Trotzdem kam mir dir Vorstellung total beängstigend vor, Details meiner Schwangerschaft via Social Media zu teilen (oder überhaupt jemandem außerhalb meines engsten Familien- und Freundeskreises davon zu erzählen). Wie Kylie hielt ich mein heranwachsendes Baby also geheim.

Die Angst, die in der westlichen Welt tief in der Schwangerschaftskultur verwurzelt ist, erlaubte es mir, meine eigenen Ängste frei auszuleben und aus jeder harmlosen Mücke einen Elefanten zu machen.

Ich leide schon seit Jahren unter einer generalisierten Angststörung. Die zeichnet sich durch Gefühle der extremen Unruhe aus, die manchmal nur wenig mit der Realität zu tun haben – so nach dem Motto: Dein Freund verpasst einen Bus, sein Handyakku ist leer und als er mit 15 Minuten Verspätung bei dir ankommt, hast du schon eine Vermisstenanzeige als Instgram-Story aufgegeben und seine ganze Familie abtelefoniert. Ich komme mit meiner Angststörung dank einer Kombi aus Antidepressiva und Therapie meist ganz gut klar.
Wenn du schwanger bist, wirst du aber oft dazu ermutigt, auf deine intensiven Angstgefühle zu hören. Du sollst zum Beispiel ruhig ins Krankenhaus fahren, wenn du dir Sorgen machst, dass sich dein Baby womöglich nicht oft genug bewegt. Mir ging es deswegen während der ganzen Schwangerschaft sehr schlecht, weil ich immer wieder das Vertrauen in meinen Körper verlor, daran, dass er mein Kind sicher bis zur Geburt tragen würde. Ich war mir sicher, das Baby – das Mädchen – jeden Moment verlieren zu können. Die Angst, die in der westlichen Welt tief in der Schwangerschaftskultur verwurzelt ist, erlaubte es mir, meine eigenen Ängste frei auszuleben und aus jeder harmlosen Mücke einen Elefanten zu machen. Zu meinen konstanten Sorgen um die Gesundheit meines Babys kam zusätzlich noch eine andere Angst, befeuert von den sozialen Netzwerken.
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Die Vorstellung, dass Menschen, die ich nicht wirklich kannte, womöglich meinen wachsenden Bauch sehen und Gefühle für dieses Baby entwickeln könnten – und dass ich, falls ich das Kind verlor, das diesen Leuten immer und immer wieder würde erklären müssen –, war für mich einfach zu viel. Ich erzählte meinen engsten Freund:innen und Verwandten, dass ich schwanger war, blendete alle anderen aber komplett aus. Mein Partner und ich waren ein Jahr zuvor in eine Stadt gezogen, in der niemand von uns jemanden kannte; deswegen war es zumindest dort nicht so schwer, meinen Babybauch für mich zu behalten. Ich hörte außerdem damit auf, online Fotos von mir zu posten. Meine Eltern und Schwester wussten, dass ich schwanger war, und ebenso meine allerbesten Freund:innen (ihnen wurde es klar, als ich zum ersten Mal einen Tequila ablehnte). Wenn ich jemanden aber nicht persönlich traf, erzählte ich der Person nichts davon. Ich hatte einfach zu viel Angst. 
Auch der 36-jährigen Laura, Mutter eines Kindes, ging es so. Nachdem sie in einer vorherigen Schwangerschaft eine Fehlgeburt erlitten hatte, hatte sie Angst davor, irgendetwas darüber zu posten, als sie zum zweiten Mal schwanger wurde. „Einige meiner engen Uni-Freund:innen erfuhren erst nach der Geburt davon. Ich schickte ihnen ein Foto und schrieb: ‚Hier ist mein Baby!‘“, sagt sie lachend. „Wegen meiner vorherigen Erfahrungen – weil ich schon ein Kind verloren hatte – wollte ich aber während der Schwangerschaft auf keinen Fall etwas online dazu posten. Ich wollte mir ersparen, das quasi ‚zurücknehmen‘ zu müssen, hätte ich das Kind wieder verloren. Sowas willst du einfach nicht öffentlich machen.“ Laura hat immer noch nichts über ihren Sohn gepostet. „Man weiß eben auch nie, wer diese Bilder zu sehen bekommt“, meint sie.
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Es fühlte sich richtig an, sie geheim zu halten und zu verhindern, dass jemand von ihr wusste, bevor sie selbst überhaupt so richtig wusste, dass es sie gibt oder wer sie ist.

Die Psychologin Dr. Terri Apter sieht das ähnlich. „Anfangs wurden Social Media als angenehmer sozialer Raum betrachtet, wo die Leute unkompliziert und sicher Informationen teilen konnten. Dieses Image hat sich in den letzten Jahren dramatisch verändert“, erklärt sie. „Es fing mit einem wachsenden Bewusstsein dafür an, wie wir für die Dinge, die wir dort posten, verspottet oder gemobbt werden können, und dafür, wie sich das auf unsere Privatsphäre auswirken kann. In letzter Zeit fürchten wir uns immer mehr davor, wie sehr wir uns damit selbst bloßstellen. Wenn Eltern online etwas über ihre Schwangerschaften oder Kinder posten, müssen sie die Freude und den Stolz, den sie dadurch ausdrücken wollen, gegen die unbekannten Gefahren abwägen, die damit einhergehen – zum Beispiel durch Sexualstraftäter:innen oder manipulative politische Gruppen, die diesen Content sehen könnten.“
In meinem Fall kam zu dieser konstanten Angst aber auch noch ein kleiner Funken an Freude darüber, das Ganze geheim zu halten. Mein Mann telefonierte gerade, als ich den Test machte, der mir mitteilte, dass ich schwanger war – und in diesem Moment, als ich die zwei pinken Striche anstarrte, wussten nur zwei Lebewesen von der Existenz meines Babys: ich und – vielleicht – sie selbst. Es fühlte sich richtig an, sie geheim zu halten und zu verhindern, dass jemand von ihr wusste, bevor sie selbst überhaupt so richtig wusste, dass es sie gibt oder wer sie ist.
Heute weiß sie es definitiv! Sie weiß, dass Blaubeeren die besten Beeren sind. Sie weiß, dass sie sich weigern darf, ihre Mama zu küssen. Sie weiß, dass sie ihre ungeliebten Kartoffeln auf den Boden werfen kann und sich ihr treuer Diener, unser Hund, innerhalb weniger Sekunden darum kümmert. Und ich weiß auch, wer sie ist: Ich weiß, dass sie mutig und stark ist – und definitiv mein größter Erfolg im Leben. Ich weiß, dass ich ihre Existenz nicht dadurch verfluche, indem ich dann und wann mal ein Foto von ihr auf Instagram poste. Und ich freue mich immer, wenn Leute, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, darunter kommentieren, wie hübsch sie doch ist.
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Trotzdem bin ich froh darüber, dass sie während dieser ersten neun Monate nur mir gehörte. Laura versteht das. „Als ich bei meinem ersten Ultraschalltermin war, meinte die Ärztin: ‚Viele Leute sitzen hier und posten das Bild direkt online.‘ Das fand ich irgendwie bizarr. Es kam mir überhaupt nicht in den Sinn, das zu veröffentlichen. Das ist etwas ganz Persönliches für mich und meinen Partner.“
Sobald dein Baby das Licht der Welt erblickt hat, wird die Welt vieles über es erfahren wollen. Für ein paar schöne, ruhige Monate kannst du seine Existenz aber privat halten und es lieben und kennen lernen – genau so, wie du es für richtig hältst.
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Wenn du selbst an einer Angststörung leidest oder eine Person kennst, die eventuell Hilfe brauchen könnte, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.
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