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Ich hatte meinen ersten Orgasmus mit 30

Foto: Daantje Bons
Mit 29 hatte ich die Hoffnung aufgegeben, jemals einen Orgasmus zu bekommen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon alles probiert – von Workshops zu weiblicher Ejakulation bis hin zu Tantra-Massagen –, und eine verzweifelte Google-Suche führte mich dann irgendwann zu einer Selbstdiagnose: Anorgasmie. Davon spricht man, wenn eine Person trotz ordentlicher Stimulation nicht kommen kann – und genau das verstand ich bei mir einfach nicht.
Ich war schon immer sehr selbstbewusst. In meinen Standup-Comedy-Shows brach ich ein Tabu nach dem anderen, machte mich über eine Essstörung lustig, die mich in den späten Teenagerjahren und frühen Zwanzigern gequält hatte. Ich war mutig. Frech. Unverschämt. Aber wieso ließ sich dieser Schalter bei mir einfach nicht umlegen? Als dann die große 30 kam, beschloss ich, auch meine orgasmische Blockade in meiner Comedy-Show zu verwursten. Verkleidet als Spermium, klar.
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Die Logik dahinter ist schnell erklärt: Die Angst davor, dass mein Partner nicht kommen konnte, weil ich es nicht konnte, hatte sich zu so einer Orgasmus-Barriere aufgebaut, dass ich beschloss, quasi selbst zum Orgasmus zu werden. (Wie bei den meisten Witzen funktioniert auch der hier besser mündlich, erzählt von einer Frau im Sperma-Kostüm.) Dieser Anzug wurde für mich zu einer Art Rüstung: Er erlaubte es mir, meinem Publikum intime Fragen zum Thema Sex zu stellen. Warum hatten sie Sex? Was gefiel ihnen so daran? Und wie genau fühlten sich ihre Orgasmen denn eigentlich an?
Die Orgasmus-Beschreibungen, die ich als Antwort bekam, werde ich nie vergessen. „Das fühlt sich an, als würde dir ein Einhorn über den Körper galoppieren, während du in einem Feuerwerk der Freude explodierst!“ „Als würdest du acht Mangos auf einmal essen!“ „Als würde dein eingeschlafener Arm langsam wieder ‚wach‘ werden, mit diesem brennenden, schmerzhaften, aber gleichzeitig irgendwie befriedigenden Gefühl, gegen das du dich nicht wehren kannst!“
Wahnsinnig abstrakt, mehrdeutig und individuell – und beruhigend, denn diese Antworten verhalfen mir zu der Einsicht, dass ich so verzweifelt versucht hatte, beim Sex alles „richtig“ zu machen, dass ich überhaupt keine Ahnung mehr hatte, was sich gut anfühlte. Ich hatte verlernt, wirklich zu empfinden, was mein Körper währenddessen an mein völlig verkrampftes Gehirn zu senden versuchte. Ich musste also zu den Basics zurückkehren – und aufhören, mich dabei so anzustrengen
Und dabei lernte ich etwas: All meine Versuche, mich auf radikale Art neu mit meinem Körper zu verbinden, hatten mich auf sehr laute Weise von der Wurzel meines Problems abgelenkt. Beim Ejakulations-Workshop in einem Lagerhaus zockte nebenan jemand so laut Nintendo Switch, dass ich mir sicher war, Mario würde noch vor mir abspritzen; das Tantra-Seminar hatte was von einem Casting für Soft-Pornos. Nein, jetzt war es an der Zeit, mich mal richtig nackig zu machen und ganz still einfach nur hinzuhören.
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Diese Desensibilisierung – also die gefühlsmäßige Lähmung, die mich vom Orgasmus abhielt – ist eine ziemlich ironische Sache. Du fühlst nämlich irgendwann zu wenig, wenn du vorher zu viel gefühlt hast. Und wow, hatte ich viel gefühlt: Angst vorm Scheitern. Magersucht. Kindheitstrauma. Als ich mir das endlich eingestand, ohne mich selbst für irgendetwas davon zu verurteilen (und das war entscheidend!), kam es mir plötzlich total logisch vor, dass ich nicht kommen konnte. Und war das wirklich ein Wunder, bei all den Gefühlen, die ich selbst verleugnete? Dabei hätte ich mich ja für nichts davon zu schämen brauchen.
Mit der Hilfe eines wahnsinnig liebevollen Partners und vielen extrem ehrlichen Gesprächen kam ich dem Orgasmus immer näher. Und dann, beim Sex, während wir gerade ein Hähnchen grillten, war es endlich soweit. Das meine ich total ernst: Wir grillten ein Hähnchen, und weil mein Kopf beim Sex so auf das womöglich anbrennende Essen fokussiert war, war mein Körper völlig frei, das zu fühlen, was er wollte. Als es dann passierte, war ich selbst total überrascht. Dieses Gefühl, mich selbst komplett meinem Körper zu überlassen und mich von meinen Empfindungen steuern zu lassen, war so überwältigend, dass ich in Tränen ausbrach.
Nachdem ich begriffen hatte, wie sehr sich mein Umgang mit meinem Körper und meine eigene Einstellung zu ihm auf meine Lust auswirken kann, startete ich den Podcast Come As You Are. Dadurch wollte ich anderen Frauen und nicht-binären Menschen eine Plattform bieten, die ihnen erlaubt, dasselbe Körperverständnis zu entwickeln und ihre Beziehung zum Orgasmus zu diskutieren. Und jedes Mal, wenn wir dabei auf die „Wie fühlt sich dein Orgasmus an?“-Frage zu sprechen kommen, fallen die Antworten so wundervoll unterschiedlich aus. In einem Punkt sind wir uns aber alle einig: Orgasmen sind was Schönes.
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