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Meinem Sexleben zuliebe höre ich auf, es allen recht machen zu wollen

Foto: Karen Sofia Colon.
Wir schreiben das Jahr 2011. Ich bin 16 Jahre und habe gerade zum ersten Mal Sex. Mein Partner fragt mich: „Bist du gekommen?“ Ich lüge sofort: „Ja.“ Das ist der Anfang vom Ende meines Sexlebens. Lass es mich erklären.
Hast du jemals einen Orgasmus vorgetäuscht oder fake rumgestöhnt? Deine eigenen Vorlieben verheimlicht? Dir den Kopf darüber zerbrochen, was dein:e Partner:in wohl von deiner sexuellen Performance hält? Eine Stellung länger ertragen, als du wolltest oder dir angenehm gewesen wäre, weil du wolltest, dass dein:e Partner:in Spaß hat?
Ja? Ich auch. Diese Tendenzen haben alle damit zu tun, dass ich es gerne allen recht mache – oder es zumindest allen recht machen wollte. Ich war immer eine Ja-Sagerin. Das heißt, ich stellte die Bedürfnisse und Wünsche anderer Leute immer über meine eigenen.
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Ich war zutiefst unsicher, was meine sexuelle Performance anging, weil ich Sex nur anhand dessen als „gut“ oder „schlecht“ beurteilte, was mein Partner währenddessen von mir hielt.

„Ja-Sager:innen berücksichtigen vorrangig das, was andere denken, und wünschen sich, dass andere sie mögen oder ihre Handlungen gutheißen“, erklärt mir die Sextherapeutin Dr. Donna Oriowo.
Im Alltag äußert sich diese Eigenschaft bei mir zum Beispiel dadurch, dass ich zu einer Party zusage, auf die ich überhaupt keine Lust habe, oder sämtliche Energie investiere, um anderen zu helfen, und dann nichts mehr für mich selbst übrig habe. Beim Sex sorgt dieser Hang, es anderen recht machen zu wollen, dafür, dass ich meine Bedürfnisse unterdrücke, um meine Partner zu befriedigen.
Konkret heißt das: Ich habe immer möglichst laut gestöhnt, um dem Ego meines Partners zu schmeicheln (und vielleicht auch, um mich davon zu überzeugen, mir gefiele der Sex mehr, als tatsächlich der Fall war). Ich kann gar nicht mehr genau sagen, wie oft ich schon im „Doggy-Style“ geblieben bin (eine für mich schmerzhafte Stellung), weil ich wusste, dass es meinem Partner gefiel. Und wow, ich habe so viele Orgasmen vorgetäuscht, damit sich mein Partner nicht unzulänglich vorkam.
Vielleicht ist das inzwischen schon klar, aber: Diese Ja-Sagerei nahm für mich kein gutes Ende. Ich hatte keinen Spaß am Sex und glaubte, das müsse bedeuten, mit mir könne etwas nicht stimmen. Ich war zutiefst unsicher, was meine sexuelle Performance anging, weil ich Sex nur anhand dessen als „gut“ oder „schlecht“ beurteilte, was mein Partner währenddessen von mir hielt.

Wenn du zum Beispiel so tust, als hättest du einen Orgasmus, dich angestrengt um die Befriedigung deines Partners oder deiner Partnerin bemühst oder deine Sexualität für andere Leute „vorführst“, verhältst du dich damit so, wie du gelernt hast, „reinzupassen“ oder gemocht zu werden.

Hailey Magee, Coach für die Bewältigung von Co-Abhängigkeiten, erklärt mir, dass es Ja-Sager:innen oft schwer fällt, Grenzen zu ziehen, die eigenen Vorlieben im Bett zu benennen oder sich verwöhnen zu lassen. Häufig sind sie auch übermäßig selbstkritisch (und damit hat Hailey gerade mein komplettes Sexleben zusammengefasst).
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„Als Ja-Sagerin fiel es mir definitiv schwer, Nein zu sagen, vor allem beim Sex“, erzählt mir die 29-jährige Oli. „Ich outete mich schon sehr früh als bisexuell, und das sorgte dafür, dass ich den Eindruck bekam, mich vielen Fantasien anderer Leute unterwerfen zu müssen. Ich fühlte mich oft leer, wenn ich mit Frauen rummachte, um Männern zu gefallen, oder mit Freundinnen schlief, damit sie es mal probieren konnten. Aber wenigstens mochten mich die Leute.“
Dr. Oriowo zufolge ist eine der Ursachen dieser Ja-Sager:innen-Tendenzen – sowohl im Alltag als auch im Sexleben – das Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit. Wenn du zum Beispiel so tust, als hättest du einen Orgasmus, dich angestrengt um die Befriedigung deines Partners oder deiner Partnerin bemühst oder deine Sexualität für andere Leute „vorführst“, verhältst du dich damit so, wie du gelernt hast, „reinzupassen“ oder gemocht zu werden.
Die 26-jährige Miranda, ebenfalls selbsternannte Ja-Sagerin, erzählt mir von Situationen (die total einvernehmlich waren!), in denen sie ihre eigenen Grenzen ignorierte, um anderen zu gefallen. „Ich habe früher oft nicht gesagt, was ich eigentlich will, und bin in Situationen geblieben, aus denen ich mich eigentlich lieber entfernt hätte“, sagt sie. „Ich sage mir dabei immer, dass es schon okay ist, wenn ich beim oder nach dem Sex ein bisschen unzufrieden bin. Die andere Person soll einfach viel Spaß haben und das Ganze durchgehend genießen!“
Dieses Bedürfnis, es allen recht machen zu wollen, kann sich demnach enorm auf das Sexleben auswirken. Aber zum Glück sind diese Verhaltensmuster nicht in Stein gemeißelt: Du kannst dich von diesem Hang lösen und deinem Sexleben wieder deine Lust einhauchen (und vielleicht ja sogar den einen oder anderen Orgasmus).
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Sarah Casper, Gründerin der Organisation Comprehensive Consent, die sich für mehr Einvernehmlichkeit beim Sex einsetzt, erzählt mir, dass du deine ja-sagerischen Tendenzen beispielsweise dadurch brechen kannst, indem du „übst, in deinen Körper hineinzuhören und in alltäglichen Situationen das einzufordern, was du willst“. Zum Beispiel so: „Wenn dich dein:e Partner:in fragt, was du zum Abendessen willst, oder dich jemand nach einer Uhrzeit für ein Treffen fragt, nimm dir einen Moment Zeit, atme tief durch und frage: Was klingt für mich gerade gut?“
Das heißt, ich sage in Zukunft vielleicht „Pizza!“ anstatt „Ich esse alles!“, wenn mich Freund:innen fragen, wo wir Essen gehen wollen; und ich werde eine Party verlassen, wann ich es will, und nicht dann, wenn es mir als „höflich“ erscheint.
Das hört sich jetzt vielleicht erstmal nur nach sehr kleinen Erfolgen an, aber langfristig verhelfen dir diese kurzen Klarstellungen deiner Wünsche zu einem besseren Sexleben. Wenn du deinem:deiner Partner:in nämlich sagst, was du machen möchtest, bekommst du mit der Zeit die nötige Übung und das Selbstbewusstsein, um ihm:ihr klarzumachen, was du im Bett gern machen würdest.
Um meine eigenen Verhaltensmuster zu brechen, setze ich in Zukunft zusätzlich auf meine Lieblingsstrategie überhaupt: Ein-Wort-Forderungen. Die habe ich von Allison Moon gelernt, Autorin von Girl Sex 101. Ein-Wort-Forderungen sind perfekt für alle Ja-Sager:innen da draußen geeignet, die im Schlafzimmer Angst haben, irgendwas zu sagen. Diese Strategie erlaubt es dir, mit nur einem Wort um sehr viel zu bitten: langsamer, tiefer, höher, schneller, und so weiter.
Dr. Oriowo ergänzt, dass Ja-Sager:innen ihr Sexleben auch ganz einfach dadurch verbessern können, indem sie eine Ja/Nein/Vielleicht-Liste ausfüllen, auf der diverse sexuelle Aktivitäten stehen. Du und dein:e Partner:in füllt eure Listen dann getrennt aus, indem ihr eure Interessen an den einzelnen Aktivitäten mit einem Ja, einem Nein oder einem Vielleicht bewertet. Am Ende habt ihr eine Liste der Aktivitäten, die ihr jeweils (nicht) mögt.
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Ganz ehrlich: Es ist schwer, darauf zu verzichten, es immer allen recht machen zu wollen. Aber genauso ehrlich: Ich habe überhaupt keinen Bock mehr, das auch dieses Jahr weiterhin im Schlafzimmer zu machen.
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