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Demütigung von der evangelischen Kirche: Janine und Anja durften nicht heiraten

Erst letzte Woche hat sich der Papst offiziell im Namen der katholischen Kirche für den Umgang mit Homosexuellen entschuldigt. Die evangelische Kirche im Rheinland hatte gerade bei ihrem Gremium die Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren mit großer Mehrheit als 20. Landeskirche beschlossen. Weniger Diskriminierung, mehr Gleichheit – man müsste meinen, dass endlich etwas passiert. Es wird Zeit, dass sich was dreht, wie Herbert Grönemeyer so schön singt. Den Worten der kirchlichen Oberhäupter müssen nun Taten folgen, die Reformen müssen gelebt werden – denn was einem lesbischen Liebespaar in Solingen gerade widerfahren ist, ist an Ungerechtigkeit und Verbohrtheit kaum zu überbieten: Janine Schneider und Anja Timm wollten kommenden Dezember heiraten, doch die Kirche hat ihnen den großen Tag verwehrt. Die beiden hatten bereits die Einladungskarten für ihre Lieben erstellt, nachdem das zuständige Verwaltungsamt des Kirchenkreises den Termin der Trauung im April eigentlich bestätigte. Wie kann das sein? Pfarrer und Gemeinden dürfen die Trauungen von Lesben und Schwulen aus Gewissensgründen ablehnen: Der zuständige Pfarrer schlug Janine und Anja eine Nachbarkirche für die Zeremonie vor, doch leider gab die dortige Geistliche den beiden nicht ihren Segen, schob als Grund die angeblich "skeptische Stimmung in der Gemeinde" vor. Was für eine Demütigung für ein Paar. Die Liebe macht keine Unterschiede, warum macht die Kirche welche? „Seit 4,5 Jahren lebe ich mit meiner Freundin – seit fast einem Jahr Verlobten – in einer treuen, liebevollen und füreinander sorgenden Beziehung. Heute wurde uns verwehrt in der evangelischen Kirche (Solingen Unterburg) zu heiraten, in der wir einen der bedeutendsten Tage unseres Lebens feiern wollten“, so schrieb Janine Schneider ihre Enttäuschung bei Facebook nieder. Schließlich ist das Solinger Tageblatt aufmerksam auf die traurige Geschichte geworden, Kirche und Politik stehen nun unter Druck. Gut so, auch wenn bei der Diskussion vergessen wird, worum es den beiden eigentlich geht: um ihre Liebe zueinander. Im Interview mit Ref29 erzählen Anja und Janine, wie sie sich gerade fühlen, was sie sich für alle Homosexuellen in Deutschland wünschen und ob sie der Kirche nun den Rücken kehren werden: Die Ortspfarrerin spricht von einem Missverständnis. Glaubt ihr das?
Sie spricht von einem Missverständnis, klärt das Missverständnis aber nicht auf. Sie spricht davon, dass sie eine „gottesdienstliche Begleitung gleichgeschlechtlicher Paare befürwortet“, was genau genommen nur der Segnung entspricht, die 2000 von der Landeskirche beschlossen wurde, aber wesentliche Unterschiede zu der in diesem Jahr auch für gleichgeschlechtliche Paare geltende Trauung aufweist. Eine gottesdienstliche Begleitung muss bzw. musste sich von einer Trauung unterscheiden. Demnach macht sie in diesem Satz eine Unterscheidung zwischen homo- und heterosexuellen Paaren und hält an alten Beschlüssen fest und missachtet, dass deren Geltungszeitraum nur bis zum 15.03.2016 war. Demnach ist für uns die Aussage nichts anderes als eine erneute Ablehnung der Trauung oder ein bewusstes Schüren erneuter „Missverständnisse“.

Habt ihr eine abwehrende Haltung der Gemeinde zuvor schon zu spüren bekommen?

Wir haben bislang wenig Bezug zu der Gemeinde gehabt. Sowohl die Inhaber unserer Feierlocation, als auch unserer Cateringfirma leben in Unterburg und haben uns von Beginn an herzlich empfangen und aufgenommen und uns ihre volle Unterstützung zugesagt. Bis dato wussten wir die Toleranz der Solinger nicht einzuschätzen und waren durch die angebliche Ablehnung der Unterburger Gemeinde etwas besorgt. Die Resonanz in den sozialen Netzwerken ist jedoch in einer beeindruckenden Mehrheit positiv. Jeder einzelne Beitrag hat uns wirklich gut getan und uns Stück für Stück das Gefühl unerwünscht zu sein, genommen. Von wem und wie erfahrt ihr gerade Solidarität?
Solidarität erreicht uns aktuell von allen Seiten und über sämtliche Kanäle. Neben unserer Familie und unseren Freunden, haben sich viele Bekannte gemeldet, mit denen man nicht (mehr) ständig in Kontakt steht; Menschen aus Kindheitstagen, der Schulzeit, ehemalige Arbeitskollegen, ehemalige Vorgesetzte. Es haben sich auch ein paar unbekannte Personen gemeldet und ihre Solidarität ausgesprochen oder von eigenen Erfahrungen berichtet, wie der verpartnerte Presbyter, dem immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden und auf dessen Segnung eine Art „Aufpasser“ seitens der Kirchverwaltung geschickt wurde.
Der Superintendent des Kirchenkreises, der Bürgermeister und Politiker äußerten sich nun – wie fühlt sich das an?
Wir schätzen, dass auch Menschen in öffentlichen Positionen Stellung beziehen. Dies zeigt wieviel Brisanz die ganze Entwicklung innehält. Für uns mindestens genauso bedeutend ist jedoch, wie viele Solinger sich positiv geäußert haben und negativen Stimmen kaum Platz gelassen haben. Habt ihr euch gewünscht, dass die Geschichte nun so eine Aufmerksamkeit bekommt?
Wir haben uns eine andere Form der Aufmerksamkeit gewünscht, die auf menschlicher Ebene erfolgt, nicht auf politischer oder kirchenpolitischer. Wir leben, lachen und streiten wie jedes andere Paar, haben Wünsche, Sehnsüchte und Träume wie jedes andere Paar. Für uns ist unser gemeinsames Leben so normal, dass wir nicht stetig im Kopf haben „anders“ als die Mehrheit zu sein. Dieses Gefühl wegen unserer Liebe nicht nur nicht toleriert, sondern gar – wie es zu Anfang hieß – von einer ganzen Gemeinde abgelehnt zu werden, kannten wir beide bis dato in dieser Form nicht und hat uns sehr getroffen. In unserem ganzen Hochzeitsfreudentaumel waren wir auf diese Ablehnung nicht gefasst und schlichtweg verletzt und traurig. Diese Diskriminierung reduziert sich auf einen einzigen Aspekt unseres Zusammenlebens als Paar und das Gefühl wollten wir in unserem Facebook Post deutlich machen. Dass darauf das Solinger Tageblatt reagiert, war von uns nicht initiiert und die Aufmerksamkeit und (kirchen-)politische Reichweite, die unsere Geschichte nach sich ziehen würde, nicht absehbar. Wir können und wollen nicht final bewerten, wer sich wann und wie kirchlich fehlverhalten hat. Dies soll an anderer Stelle ausdiskutiert werden. Wir denken, dass unser Erlebnis letztlich nur das Fass zum Überlaufen gebracht hat, aber viele vorherige Vorfälle, durch die zuständige Pfarrerin der Gemeinde, zu diesen innerkirchlichen Diskussionen führen. Wir persönlich finden eine Aufmerksamkeit wichtig, die die Öffnung und Grenzen der Kirche im Umgang mit Homosexualität deutlich macht und aufzeigt, dass Diskriminierung im Kopf beginnt – unabhängig von Rechtsprechungen.

Werdet ihr euch nun woanders kirchlich trauen lassen?

Unserer Pfarrer hat uns zugesichert, dass wir in der Ohligser Gemeinde und Kirche herzlich willkommen sind. Noch vor unserem Gespräch hat er sich vorsorglich darüber informiert, ob die Stadtkirche in Ohligs frei ist und sie für uns geblockt. Auch wenn dies für uns eine halbstündige Fahrt statt kurzem Fußmarsch von Kirche zur Location bedeutet, haben wir uns nun für die Ohligser Kirche entschieden. Dieser Entschluss hat unsererseits nichts (mehr) damit zu tun, dass wir uns in Unterburg unwillkommen fühlen. Unser Bauch assoziiert aktuell schlichtweg ein komisches Gefühl mit der Unterburger Kirche und dort zu heiraten fühlt sich nun einfach nicht richtig an. Ist das ein Grund aus der Kirche auszutreten?
Genau genommen müssten wir eher unsere deutsche Staatsbürgerschaft ablegen, statt aus der evangelischen Kirche auszutreten, da die Kirche in Bezug auf die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare etwas weiter ist. Es gibt individuelle Gründe aus der Kirche auszutreten und auch die Verteilung der Kirchengelder ist unserer Meinung nach überholt. Man darf jedoch nicht darin übergehen, die Kirche zu pauschalisieren. Es gibt tolle, positive Beispiele, wie die Ohligser Gemeinde und ihren Pfarrer Gunnar Krüger, aber auch viele Dinge, in denen sich die Kirche aus ihren starren Mustern lösen sollte.

Was wünscht ihr euch für homosexuelle Paare in Deutschland?
Zwischenmenschlich wünschen wir uns eine offene und tolerante Gesellschaft. Zwei sich liebende Menschen sollen ihre Liebe offen und ohne Angst ausleben können und Homosexualität nichts Besonderes mehr sein. Kinder werden nicht mit Vorurteilen und Ablehnung geboren, diese werden ihnen einzig und allein von der Gesellschaft vorgelebt. Wir sind froh über die positiven Entwicklungen der letzten Jahre. Unserer Meinung nach ist nun die Zeit gekommen, nicht mehr nur nach Toleranz (also einer Duldung), sondern nach Akzeptanz zu streben.
Politisch wünschen wir uns eine gerechte und nachvollziehbare Gesetzeslage: Die Politik spricht bei allen heterosexuellen Paaren – egal ob mit oder ohne Kind - von Familie, da diese die “biologische Reproduktionsfunktion“ erfüllen können und begünstigt sie. Ob Kinder gewünscht sind, bleibt dabei unberücksichtigt. Homosexuelle Partner mit Kind sind jedoch keine Familie. Gerecht wäre eine steuerliche Bevorteilung von den Kindern abhängig zu machen. Aktiv wird behördlich um homosexuelle Paare als Pflegeeltern geworben, eine Adoption ist nicht erlaubt. Wenn das Kindeswohl im Vordergrund steht und die Politik sich aufgrund dessen mit dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare „schwer tut“, dann scheinen Pflegekinder nur Kinder zweiter Wahl zu sein. Es gibt viele solcher Beispiele, die es für einen gleichgeschlechtlich liebenden Menschen unmöglich macht die noch bestehenden Missstände begreifen und akzeptieren zu können.
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