Zum zehnjährigen Bestehen meiner Hautkrankheit schenke ich mir einen Rollkragenpullover von Acne Studios. Das wäre sehr ironisch und keck, weil der Rolli eines Labels, das für cleane Chiqueness gehyped wird, dann über der sehr unschicken Akne mit „k“ in meinem Kinnbereich liegen würde. Was auch immer sich die drei Schweden bei der Namensgebung gedacht haben, jedes Mal, wenn ich das Wort des Labels höre, wollen sich meine Eingeweide zu einem kleinen Schamkloß zusammenzwirbeln. Seit zehn Jahren nämlich habe ich Akne. Das sind zehn Jahre voll unauffällig deponierter Camouflageabdeckstifte bei Übernachtungsbesuchen, kurzfristig abgesagter Saunaverabredungen und ganz viel schlechter Laune nach dem morgendlichen Blick in mein Gesicht. Und wie das so ist mit Jubiläen und Jahrestagen, sind sie ein guter Zeitpunkt, um über die gemeinsame Vergangenheit und Zukunft nachzudenken.
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Es gibt verschiedene Formen von Akne. Die eine tritt nach Sonneneinstrahlung auf und klingt nach Urlaub (Mallorca-Akne), eine andere entsteht durch die Anwendung bestimmter Kosmetikprodukte. Am bekanntesten jedoch ist die Akne vulgaris, die „gewöhnliche“ Akne. Der Begriff beschreibt im Gesicht und Rumpfbereich auftretende entzündliche Pickel, Pustel und Knoten. Laut Wikipedia leiden mehr als 70 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland während ihrer Pubertät an Akne. Lediglich zehn Prozent dieser Fälle begleitet die Krankheit bis in ihr 25. Lebensjahr. Zu diesen zehn Prozent gehöre ich.
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Mit den Jahren hat die Akne nicht nur meine Haut, sondern auch mein Selbstbewusstsein zerfressen.
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Ich war 14, als meine Haut begann, zu explodieren. Als Mensch, der das Leben lieber plant und kontrolliert, als es entspannt auf sich zukommen zu lassen, zeigte mir meine Haut von da an regelmäßig spöttisch den Mittelfinger. Ein Camping-Trip ohne sanitäre Anlagen, eine verheißungsvolle Verabredung oder der Abend vor dem alles entscheidenden Bewerbungsgespräch – bitte schön, zehn schmerzende Pickel, dort wo sie alle sehen können – im Gesicht. Mit den Jahren hat die Akne nicht nur meine Haut, sondern auch mein Selbstbewusstsein zerfressen. Ich bewerte mich und meine Haut am oberflächlichsten und schonungslosesten von allen. Ich denke, dass Menschen, die mich im ungeschminkten Zustand sehen, an den Lebensstil eines 15-jährigen World of Warcraft-Zockers denken, der zu viel Cola und Chips konsumiert und nicht an einen Menschen, der sich mitunter bis zu dreimal täglich das Gesicht reinigt. Auch die Werbung arbeitet gerne mit dem Bild, unreine Haut sei selbstverschuldet und leicht zu beheben. Ein Teenager wird nach nur einwöchiger Produktanwendung endlich vom lange angehimmelten Schwarm wahrgenommen und gemeinsam schweben sie auf Wolke sieben in ein Land ohne Pickel.
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Nun bedient sich bekanntermaßen auch die Diätmittelindustrie ähnlich unkreativer Bilder, jedoch ist im Jahr 2017 die Body-Positivity-Bewegung um einiges lauter, als es jeder Aufruf zu Skin Positivity jemals sein wird. Heute sind wir alle einzigartig, jede Körperform und -fülle ist schön. Meine roten Pusteln, Pickel und Narben sind es leider nicht. Noch jetzt läuft es mir kalt den Rücken herunter, wenn ich an die Videokommentare denke, mit denen die an Akne leidende Beautybloggerin Em Ford vor zwei Jahren die YouTube-Community konfrontierte. Ihr Video haben über 25 Millionen Menschen gesehen – mich kennen bis heute nur meine engsten Vertrauten ohne zumindest eine gekonnt verblendete Schicht Make-Up.
Natürlich habe ich während der vergangenen zehn Jahre umfangreiche Recherche betrieben und die verschiedensten Mittel zur Bekämpfung meiner Akne ausprobiert. Ich habe die Antibabypille genommen, obwohl ich an einer Blutgerinnungsstörung leide. Ich habe mir mit Antibiotika die Darmflora zerstört, mich vegan ernährt, mich zuckerfrei ernährt. Habe mit gesenktem Kopf abgelegene Sonnenstudios besucht und mir alle möglichen Cremes und Pasten mischen und verschreiben lassen. Sogar die obersten Hautschichten wurden mit hoch konzentrierter Fruchtsäure weggepeelt – geholfen hat das alles leider nicht viel. Mit jedem Mal verlor ich mich mehr in einem Teufelskreis aus Hoffnung, Enttäuschung und totalem Tunnelblick auf die Beschaffenheit meines Gesichts und habe deshalb vor einem Jahr beschlossen, den Gang zum Dermatologen erstmal sein zu lassen.
Wenn ich also weder den Zustand meiner Haut noch das meiner Meinung nach herrschende Bild in der Gesellschaft dazu verändern kann, bleibt lediglich, mich selbst einigermaßen damit zu arrangieren. Die Beziehung zwischen mir und meiner Akne würde ich aktuell als resignierte Koexistenz beschreiben. Noch immer beiße ich verkrampft die Zähne zusammen, wenn jemand mein Gesicht berührt und auch heute noch fließt gefühlt die Hälfte meines Gehalts in Make-Up und Kosmetikprodukte. Vor etwa einem halben Jahr jedoch, ließ mich eine Begegnung meine Einstellung zu meiner Haut überdenken. Da nämlich lernte ich einen Mann mit einer großen kahlen Platte auf dem Hinterkopf kennen. Er trug weder Mütze noch Kappe oder Kapuze und anstelle sich darauf zu fokussieren, womit er genetisch Pech gehabt hatte, richtete er seine Aufmerksamkeit darauf, Gitarre zu spielen wie José Gonzales und nett zu sein wie Oprah. Das beeindruckte mich sehr und ließ mich darüber sinnieren, welche Wunder ich hätte mit der Hirnkapazität bewirken können, mit der ich stunden- gar tagelang über meine Haut nachgedacht habe. Wahrscheinlich könnte ich heute fließend Arabisch und Finnisch sprechen, hätte jeder meiner engsten Freundinnen mindestens ein Fotoalbum zum Geburtstag gebastelt und längst die Polkappen vom Schmelzen abgehalten.
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Abseits von zugegebenermaßen recht größenwahnsinnigen Überlegungen im Konjunktiv, habe ich mir zum zehnjährigen Bestehen meiner Akne eine Sache überlegt, die ich ganz aktuell gerne ändern möchte: meinen Blick in den Spiegel und die Außenwelt. Statt hautfokussiertem Tunnel möchte ich versuchen wieder Gesamtpakete wahrzunehmen – auch mein eigenes. An einem guten Tag wie heute kann ich mir sogar vorstellen, wie ich in ein paar Wochen mit meinem Acne-Rolli durch Berlin laufe und mir das, was darunterliegt, mit jedem Schritt ein bisschen weniger wichtig ist. Die Herkunft des Labelnamens kenne ich jetzt übrigens auch: Es ist ein Akronym für Ambitions to Create Novel Expressions – also Ambitionen, um neue Ausdrucksformen zu schaffen. Das habe ich auch.
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