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Akne war meine ganze Persönlichkeit – wer bin ich ohne Pickel?

Foto: Mia Autumn Roe.
„Hey, Zwerg! Rotschopf! Pickelgesicht!“
An meinem ersten Tag auf der Oberschule stellten sich die älteren Teenies neben dem Eingang auf und verkündeten für jeden Neuzugang einen abwertenden Titel. Rate mal, welcher davon für mich gemeint war. Vor diesem Moment hatte ich über meine Pickel kaum nachgedacht. Die ersten davon waren auf meinem Kinn aufgetaucht; es dauerte aber nicht lange, bis mir Mutter Natur nicht nur die erste Körperbehaarung und meine Periode schenkte, sondern auch einen schweren Fall von Akne.
Schon nach kurzer Zeit bekam ich die mentalen Konsequenzen dieser Pickel zu spüren. Die meisten meiner Freund:innen gönnten sich jeden Tag Schokolade und Pommes, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie ihre Haut am nächsten Morgen aussehen könnte. Weil ich aber genau wusste, wie sich diese Ernährung auf mein Gesicht auswirken würde, machten mich Fast Food und Süßigkeiten nervös. Mitternachtssnacks bei Pyjamapartys waren für mich purer Stress: Für den Zucker und das Fett zahlte ich danach in Form von tagelangen roten Pusteln.
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Andere konnten mit vollem Augen-Make-up schlafen gehen oder ihr Taschengeld für billige Schminke ausgeben, ohne dass sich ihre Haut danach veränderte. Meine eigene Beauty-Routine sah aber völlig anders aus. Ich kaufte nur die klinischsten Produkte, die es in der Drogerie gab, und verließ mich auf aggressive Wirkstoffe wie hochkonzentrierte Säuren und Hamameliswasser. Nichts davon half, aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Als mich meine Skincare derart im Stich ließ, stürzte ich mich in meine Grunge-Phase. Ich schnitt mir einen Pony, um meine Pickel dahinter zu verstecken, und schmierte mir eine dicke Schicht Make-up ins Gesicht – inklusive dunkler Lippenstifte, um die Aufmerksamkeit anderer Leute auf meine Lippen, weg von meinen Pickeln, zu lenken. Make-up sorgte dafür, dass ich mich nicht zu sehr schämte, um mich mit meinen Freund:innen zu treffen, machte mir aber nie Spaß. Stattdessen war es mehr eine Pflicht, genauso wie die hautverschönernden Filter, die ich über alle Selfies legte.

Nachdem meine Haut jahrelang nur negativ kommentiert wurde, empfinde ich Komplimente zu meiner Haut heute als komplett bizarr und absurd. Selbst jetzt habe ich das Gefühl, sie nicht zu „verdienen“.

Irgendwann bekam ich ein Medikament von meiner Ärztin verschrieben: Lymecyclin, ein Antibiotikum, das oft bei der Aknebehandlung zum Einsatz kommt. Als das nichts brachte, empfiehl sie mir die Verhütungspille, die unter Dermatolog:innen als gute Behandlungsform für Akne gilt. Im Laufe der Zeit verschwanden meine Pickel nach und nach. Alles, was blieb, waren ein paar Pigmentflecken – die Geister meiner pickeligen Vergangenheit.
Das Selbstbewusstsein, das ich seitdem entwickelt habe, ist unglaublich. Weil ich plötzlich auf das schwere Make-up verzichten konnte, auf das ich mich jahrelang verlassen hatte, hatte ich das Gefühl, meinem Gesicht endlich seine langersehnte Freiheit schenken zu können. Es dauerte aber nicht lange, bis sich in mir die erste Paranoia breit machte: Obwohl ich zum ersten Mal seit Jahren pickelfrei war, zog ich weiterhin die Hautgewohnheiten durch, die zu Zeiten entstanden waren, als meine Akne besonders schlimm war. Ich analysierte jeden Quadratzentimeter meiner Haut im Spiegel – immer auf der Suche nach dem nächsten Pickel, in der Hoffnung, ihn erwischen zu können, bevor er überhaupt eine Chance hatte, zu wachsen. Weil ich jetzt in den Genuss eines Lebens mit „reiner“ Haut gekommen war, befürchtete ich, jeder noch so kleine Pickel könnte meine ganze Woche ruinieren.
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Anfangs glaubte ich, dabei Angst vor den Pickeln selbst zu haben – vor den wunden, roten, empfindlichen Stellen. Heute, mit 22, wird mir aber klar, dass ich mich in Wahrheit vor dem geringen Selbstwertgefühl fürchtete, das die Pickel zu begleiten schien. Damit bin ich nicht allein: Studien haben bestätigt, dass Akne das Selbstbewusstsein beeinträchtigen kann, und es gibt diverse Untersuchungen, die Akne mit einem geringen Selbstwertgefühl, Depressionen und körperdysmorphen Störungen unter jungen Menschen in Verbindung bringen.
Foto: Mia Autumn Roe.
Mia 2023.
Wir haben es schon geschafft, viele veraltete Schönheitsideale rund um unsere Haut abzuschaffen. Die Skin-Positivity-Bewegung, zum Beispiel, zelebriert Hauttexturen aller Art und kritisiert die gefilterten und gephotoshoppten Darstellungen von Gesichtern in den Medien. Auf TikTok bringt es der Hashtag #skinpositivity auf mittlerweile über 619,2 Millionen Views. Dort findest du jede Menge Influencer:innen und Beauty-Fans, die ihre Pickel, Narben und Pigmentflecken präsentieren, ohne sich dafür zu schämen. Dank solcher Posts wissen wir, wie echte Haut, in all ihrer unebenen Schönheit, wirklich aus der Nähe aussieht. Und trotzdem vergleiche ich mein Gesicht weiterhin mit anderen – mit denen, die ihre Vergangenheit nicht in Form von dunklen Flecken oder Narben mit sich herumtragen. Ich fühle mich inzwischen auch wie ein ganz anderer Mensch, denn meine Akne erlaubte es mir, mir eine ganz spezifische Identität aufzubauen. Ich war das Mädchen mit der „Ist mir alles egal“-Ausstrahlung und -Einstellung. Akne war meine ganze Persönlichkeit… bis sie irgendwann verschwand.
Versteh mich nicht falsch: Keine Hautentwicklung verläuft jemals total linear, und ich habe immer noch dann und wann Pickel. Aber selbst dann, wenn meine Haut gerade rein ist, merke ich, dass mein Selbstbewusstsein immer noch nicht so stark ist, wie es sein sollte. Ganz ehrlich: Oft fällt es mir schwer, mich selbst in dem Körper wiederzuerkennen, in dem ich gerade lebe – vielleicht, weil ich heute so anders behandelt werde. Andere Leute nehmen mich völlig anders wahr, und zwar meist auf positive Art. Mir wurde klar, dass ich vom „Privileg der reinen Haut“ profitiere. Wer dieses Privileg besitzt, genießt dank der eigenen Haut gewisse Vorteile – und wer nicht, leidet unter den Konsequenzen. Menschen mit Aknenarben werden zum Beispiel von der Öffentlichkeit oft negativ empfunden. Eine Umfrage von 2022 der Skincare-Marke Skin B5 ergab außerdem, dass 41 Prozent der Generation Z glauben, Akne ließe dich weniger professionell aussehen; 46 Prozent derer mit Akne gaben an, sich bei der Arbeit verurteilt zu fühlen.
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Wegen der zahlreichen Aknebehandlungen, die ich selbst im Laufe der Jahre ausprobiert habe, fällt es mir schwer, mich mit denen gleichzustellen, die selbst nie die körperlichen und mentalen Nebenwirkungen von Akne spüren mussten und auch keine (wortwörtlichen und metaphorischen) Narben mit sich herumtragen. Nachdem meine Haut jahrelang nur negativ kommentiert wurde, empfinde ich Komplimente zu meiner Haut heute als komplett bizarr und absurd. Selbst jetzt habe ich das Gefühl, sie nicht zu „verdienen“.
So einsam sich das auch anfühlen mag, geht es ganz vielen tatsächlich genauso. Auf TikTok gibt es dafür sogar inzwischen einen Begriff: das „post-‚glow up‘ imposter syndrome“. In letzter Zeit erzählen immer mehr junge Frauen auf TikTok davon, sich in der Schule unattraktiv gefühlt zu haben, und jetzt zu hören, sie seien konventionell hübsch – oder zumindest für ihr Aussehen akzeptiert zu werden. Genau wie mich stürzte auch sie diese Erkenntnis in eine Art Identitätskrise. „Manche behaupten, ich will einfach nur Komplimente haben“, schreibt jemand unter einem Video zu dem Konzept, „aber ich sehe mich einfach nicht so, wie andere mich sehen.“ Jemand anderes kommentiert: „Ich habe mich noch nie in irgendeinem Video so wiedererkannt. Mein Freund ist immer sauer auf mich, weil ich ihm nie glaube, dass er mich für hübsch hält. Ich sehe im Spiegel immer noch mein Ich aus der siebten Klasse.“
Obwohl sich das Problem „Ich habe keine Akne mehr und komme mit den Komplimenten zu meiner Haut nicht klar“ zwar anhört, als wolle man damit in Wahrheit nur angeben, leiden viele Betroffene wirklich darunter. Das gilt auch für mich selbst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie belastend Akne sein kann – und die damit verbundene Angst und Unruhe. Jahrelang waren meine Pickel ein so großer Teil meines Lebens. Sie prägten meinen Charakter und meine Beziehungen, und ich bin nicht die Erste, die sich jetzt fragt, wer ich heute eigentlich ohne meine Akne bin. Unsere leitende Beauty-Redakteurin Jacqueline Kilikita entwickelte schon mit elf Jahren hormonelle Akne. Ihre Pickel verschlimmerten sich rund um die Zeit, als ihr ein polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) diagnostiziert wurde. Als sie ihren Job als Beauty-Redakteurin begann, hatte Jacqueline plötzlich freien Zugang zu zahlreichen Dermatolog:innen, die ihr verschreibungspflichtige Hautpflege wie Tretinoin und Medikamente wie Spironolacton empfohlen.
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In der Schule war ich das laute, selbstbewusste Mädchen, um meine Unsicherheiten zu verstecken. Wenn du aber deine ganze Persönlichkeit rund um deine Akne aufbaust und die dann plötzlich verschwindet, verlierst du dabei auch einen Teil von dir selbst.

Heute ist sie in ihren Dreißigern, und ihre Hormone und ihre Haut haben sich weitestgehend beruhigt. Diese Veränderung war für Jacqueline aber eine emotionale Achterbahnfahrt, mit der sie nicht gerechnet hatte. „Jeden Morgen wache ich auf und fahre mir mit den Händen übers Gesicht, auf der Suche nach neuen Pickeln – und jedes Mal bin ich verwirrt, dass keine neuen entstanden sind“, erzählt sie. „Ich habe jahrelang mit viel Mühe meine Pickel und Mitesser behandelt und weinte mich wegen meiner Haut tatsächlich oft in den Schlaf. Die Gesellschaft vermittelt mir, ich sollte heute glücklicher sein, weil ich meine Akne unter Kontrolle habe – vor allem, weil ‚perfekte‘ Haut immer noch so idealisiert wird. In der Schule war ich das laute, selbstbewusste Mädchen, um meine Unsicherheiten zu verstecken. Wenn du aber deine ganze Persönlichkeit rund um deine Akne aufbaust und die dann plötzlich verschwindet, verlierst du dabei auch einen Teil von dir selbst. Manchmal gucke ich in den Spiegel und erkenne mein eigenes Gesicht nicht wieder. Das ist unheimlich verwirrend.“
Die Dermatologin Dr. Anjali Mahto ist selbst von Akne betroffen und versteht daher sehr gut, wie sich eine solche Hauterkrankung auf die mentale Gesundheit auswirken kann – selbst dann, wenn sie nicht mehr da ist. „Was viele Leute vergessen, ist, dass Akne gar kein kosmetisches, sondern ein medizinisches Problem ist“, erklärt mir Dr. Mahto. Genau aus diesem Grund arbeitet in Dr. Mahtos Klinik, Self London, auch die Psychologin Dr. Eleanor Chatburn, um mit Patient:innen über die emotionalen Auswirkungen von Akne zu sprechen.
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Dr. Chatburn erkennt meine Gefühle in vielen ihrer Patient:innen wieder. Manche Expert:innen bezeichnen diese Langzeitauswirkungen einer (verheilten) Akne als „Akne-Dysmorphophobie“, einer Form der körperdysmorphen Störung, deren Betroffene auf ein imaginäres körperliches Problem fixiert sind. Obwohl Dr. Chatburn diesen Begriff nicht selbst verwendet (weil sie glaubt, es könne Betroffenen das Gefühl geben, an einer Körperdysmorphophobie zu leiden, einer ernstzunehmenden mentalen Erkrankung), bestätigt sie mir doch, dass die negativen Gefühle zur eigenen Haut noch bleiben können, nachdem die Akne längst verheilt ist.
Viele von Dr. Chatburns Patient:innen haben inzwischen keine Akne mehr. Dennoch fällt es ihnen laut der Ärztin oft schwer, das aus den Pickeln entstandene reduzierte Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. „Der Übergang von ‚Ich mag meine Haut nicht‘ zu ‚Ich liebe meine Haut‘ ist nicht leicht“, betont Dr. Chatburn. Wir sind uns beide darin einig, dass dafür auch Social Media mitverantwortlich sind, die uns reine, oft gefilterte Haut präsentieren. Kein Wunder also, dass so viele von uns das Gesicht selbst nach einer erfolgreichen Aknebehandlung weiterhin auf Hautprobleme scannen. Dr. Chatburn erklärt, wir hätten uns antrainiert, uns auf die kleinsten Makel zu fixieren – und unbedingt irgendetwas finden zu wollen, was wir „korrigieren“ könnten. Vielleicht wird genau deshalb die „Skin Neutrality“-Bewegung – die uns dazu ermutigt, uns weniger auf unsere vermeintlichen Makel zu konzentrieren und mit unserer Haut Frieden zu schließen — immer beliebter und ersetzt die „Skin Positivity“, die schnell als Druck empfunden werden kann, die eigene Haut lieben und zelebrieren zu müssen.
Immer wieder höre ich von Freund:innen und Verwandten, dass meine Haut noch nie so gut ausgesehen habe. Es wird aber noch sehr lange dauern, bis ich mir das auch selbst eingestehen kann. Meine Akne gab mir immer das Gefühl, die „Hässlichste“ in jedem Raum zu sein. Trotz all dessen, was sie mir geraubt hat, hat sie meinem Leben aber auch viel geschenkt. Tatsächlich hat sie mir sogar dabei geholfen, ein besserer Mensch zu werden: Ich verdanke ihr einen großen Teil meiner Empathie und Einfühlsamkeit – insbesondere hinsichtlich der Hautprobleme von anderen. Noch dazu kenne ich mich wahnsinnig gut mit Inhaltsstoffen von Hautpflegeprodukten aus, was schon viele meiner Freund:innen davon abgehalten hat, viel Geld in nutzlose Produkte zu investieren. Dennoch lerne ich noch immer, wer ich eigentlich ohne meine Akne bin. Anstatt meine Haut also mit ihrem Zustand vor einem Jahr zu vergleichen – oder mit der von einer Influencerin, die einen subtilen Filter über ihr Video gelegt hat –, versuche ich jetzt, die echte Haut lieben zu lernen, in der ich heute lebe.
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