„Wie kriege ich es hin, dass meine Haut so strahlt?“, schrieb mir letztens eine Freundin und schickte direkt ein Foto von einer Influencerin hinterher. Obwohl die auf dem Bild eindeutig Make-up trug, glänzte ihre Haut genau an den richtigen Stellen – keine Poren und Pickel weit und breit. „Fantastische Gene, ultrateure Kosmetiktermine und persönliche Make-up-Artists? Plus vermutlich ein Filter, aber da kann ich auch falsch liegen“, antwortete ich.
Während der Wunsch nach strahlender Haut natürlich kein neuer Trend ist, entwickelt er sich doch gerade irgendwie stark weiter. Der perfekte Glow in Form von „glass skin“ oder „mirror skin“ dominiert nach wie vor die Skincare-Trends auf TikTok, Instagram und Pinterest und verspricht spiegelnd-strahlende Haut – durch die richtigen Produkte, versteht sich. Natürlich ist nichts falsch daran, dich gut um deine Haut kümmern zu wollen oder dir einen bestimmten Look zu wünschen, aber der Traum vom makellosen Glow war nie unrealistischer als zu Zeiten von Corona.
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Letzte Woche machte ich einer Kollegin ein Kompliment für ihren strahlenden Teint bei einem Zoom-Call. Meine eigene Kamera war währenddessen aus – weil ich nach einer stressigen Woche mit ein paar schmerzhaften Pickeln am Kinn aufgewacht war. Und damit bin ich nicht allein: Durch den Lockdown, das Impfchaos, die Heizungsluft und die ständige Maske haben viele Leute gerade mit einer ungewöhnlich schlechten Haut zu kämpfen. Kein Wunder also, dass „#skingoals“ gerade unerreichbar scheinen – vor allem, wenn du ohnehin schon unter Hautproblemen wie Akne, Ekzemen oder dergleichen leidest.
Selbst ich als Beauty-Redakteurin, die ebenfalls hormonelle Akne hat, erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich makellose, glänzende Haut als absolutes Idealbild verehre. Schließlich haben all die Skincare-Produkte, die ich Tag für Tag testen darf – von Vitamin C bis Glykolsäure – alle nur ein Ziel: meiner Haut zum Strahlen zu verhelfen. Ich habe aber das Gefühl, dass die Pandemie diese Einstellung zu unserer Hauttextur verändern könnte. In letzter Zeit steht alles im Zeichen der Entschleunigung, Selfcare, geistigen Gesundheit und generellen Entspannung. Sollten wir das nicht auch auf unsere Haut übertragen? Die Dermatologin Dr. Justine Kluk findet: Ja. Sie ist der Meinung, dass viele Trends zur reinen, glowy Haut weder gut umsetzbar noch realistisch sind.
Vielen aktuellen Skincare-Trends kannst du gar nicht folgen
„Wenn die Leute von ‚strahlender Haut‘ sprechen, meinen sie meistens einen ebenen Teint ohne Pickel – eine glatte Oberfläche, die das Licht schmeichelhaft reflektiert“, sagt Dr. Kluk. „Damit die Haut aber so aussieht, kommen meistens clevere Beleuchtung und Filter zum Einsatz. Deswegen wäre es unmöglich, diesen Look im ‚echten Leben‘ nachzuahmen.“ Dr. Kluk erklärt mir, dass die Flut an Fotos von Leuten mit scheinbar perfekter Haut viele davon überzeugt, sie seien selbst nicht gut genug – vor allem junge und beeinflussbare Menschen. „Außerdem entsteht dadurch die Erwartungshaltung, dass das die Norm sei“, meint Dr. Kluk. „Dabei hat natürlich jede Haut Poren. Wenn der Schönheitsstandard aber keine Poren vorsieht, werden die meisten Leute, die darauf hinarbeiten, zwangsläufig enttäuscht.“ Die Dermatologin bestätigt mir meinen Verdacht: Meine Haut ist weder aus Glas noch ein Spiegel. Sie ist Haut – und die muss nicht wirklich strahlen.
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Das sieht auch Lex Gillies so. Sie hat Rosazea, setzt sich auf ihrem Instagram für #SkinPositivity ein und betont, dass sich die Bedeutung von „schöner Haut“ ja immer weiterentwickelt. Deswegen hast du schnell mal das Gefühl, dass du bei all den Trends kaum mithalten kannst oder vielleicht sogar was falsch machst. „Als ich Teenager war, hieß ‚gute Haut‘ einfach ‚keine Pickel‘ – das hat sich aber geändert. Heute muss das Gesicht nicht nur pickel-, sondern auch falten-, haar-, poren-, narben-, am besten ganz texturlos sein, ohne Verfärbungen, ohne Pigmentflecken, ohne Adern.“ Besonders die unzähligen Hauttrends, die TikTok und Co. ausspucken, sieht sie als Problem. „Ich denke, diese Trends ignorieren absichtlich eine grundsätzliche Tatsache: ‚Gute‘ Haut ist meistens Gen- und Glückssache“, sagt sie. „Klar kannst du alle Produkte benutzen, die dir ein Skincare-Artikel anpreist, deine Ernährung umkrempeln und deinen Stress wegmeditieren. Aber für die meisten Leute wird der ‚makellose‘ Look trotzdem immer unerreichbar bleiben. Dann denkst du irgendwann, deine Haut sei schuld – dabei ist eigentlich das unerreichbare Ziel das Problem.“
Das weiß auch Refinery29-Redakteurin Sadhbh O’Sullivan nur zu gut. In einem offenen Brief an alle Frauen mit Erwachsenenakne schreibt sie: „Wenn eine Kosmetikmarke ihre Produkte als aknebekämpfend beschreibt oder Celebritys sagen, ihr Geheimnis für reine Haut wäre, viel Wasser zu trinken, impliziert das, wir würden nicht genug tun. Als ob wir schuld am Zustand unserer Haut wären. Als ob wir uns im Kampf gegen unreine Haut einfach nicht genügend anstrengen würden.“
Strahlende Haut bedeutet nicht gesunde Haut
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Der Irrglaube, strahlende Haut müsse gesund sein, ist weit verbreitet. Er impliziert, dass jede Hauttextur außerhalb dieses Ideals bedeuten müsse, du machst irgendetwas falsch – und das kann in vielerlei Hinsicht schädlich sein. „Obwohl du dich gesund ernährst, genug schläfst, deine Haut mit Feuchtigkeit versorgst, Sonnenschutz trägst, nicht rauchst und all das natürlich besser für deinen Körper und deine Haut sein kann, ist der ‚Glow‘ kein verlässlicher Indikator für deine Gesundheit“, bestätigt mir auch Dr. Kluk.
„Personen mit Akne oder anderen Hautproblemen wie Ekzemen können nämlich völlig gesund sein“, erzählt sie weiter. „Wenn wir uns einen gesunden Menschen vorstellen, ist der auch meist sonnengebräunt, weil uns die Medien das immer so suggeriert haben. Dabei wissen wir ja heute, dass Bräune ein Anzeichen für Sonnenschäden und ein Risikofaktor für Hautkrebs sein kann.“ In anderen Worten: Deine Haut ist kein definitiver Spiegel deiner Gesundheit, und wenn deine Haut nicht dem Schönheitsideal entspricht, heißt das nicht automatisch, dass du etwas falsch machst.
Glow-verstärkende Produkte können deiner Haut sogar schaden
Marktanalysen von Mintel zufolge geben wir aktuell 48 Prozent mehr Geld als noch im letzten März für unsere Hautpflege aus – und viele dieser Produkte versprechen zwar „makellose“ Haut, können die Haut aber auch tatsächlich verschlimmern. Das betrifft insbesondere Inhaltsstoffe wie Vitamin C, Retinol und peelende Säuren, die bei übermäßigem Gebrauch die Haut reizen können. „Das Angebot ist riesig“, sagt Dr. Kluk, „und es ist leicht, dich von dieser Auswahl überwältigt zu fühlen. Vielleicht versuchst du dann, all diese vielversprechenden Produkte und Inhaltsstoffe irgendwie in deine Hautpflege-Routine einzubauen.“ Das kann aber ganz schön schiefgehen.
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„In den letzten Jahren sehen wir einen deutlichen Trend zu komplizierten Routinen mit bis zu zehn verschiedenen Produkten, oder zur Kombination von besonders aggressiven Zutaten wie Säuren und Retinoiden“, erzählt sie weiter. Beides kann zu roter, trockener, schuppiger, gereizter Haut führen, deren Schutzbarriere beeinträchtigt ist. Auch das koreanische „slugging“ – ein Skincare-Trend vor allem auf TikTok, bei dem die Haut durch das nächtliche Einwirken einer dicken Schicht Vaseline angeblich superweich und strahlend werden soll – klingt in der Theorie besser, als es tatsächlich ist. Expert:innen zufolge führt die Vaseline nämlich eher zu verstopften Poren und gereizter Haut.
Dr. Kluk hat daher vor allem einen Rat: Halte deine Routine so schlicht wie möglich. „Überlege dir, was du an deiner Haut am dringendsten verbessern möchtest, und verwende ein Produkt, das genau dieses Ziel verfolgt.“ Du hast Akne? Greif zu Salicylsäure. Deine Haut ist hyperpigmentiert? Dann nimm Glykolsäure. „Sobald du eine deutliche Verbesserung erkennst, sieh dir deine andere Prioritäten an. Wenn du stattdessen aber versuchst, alle Wünsche auf einmal abzuarbeiten, wirst du es vermutlich übertreiben“, meint Dr. Kluk.
Fühlst du dich trotzdem ein bisschen ratlos, wie du am besten vorgehst? Hier sind 4 einfache, günstige Hautpflege-Routinen für jeden Hauttyp.
Makellose Haut gibt es nicht
Hautprobleme wie Akne, Rosazea und Schuppenflechte sind viel weiter verbreitet, als uns Instagram und Co. glaubhaft machen wollen; sie sind sogar die vierthäufigste menschliche Erkrankung. Und genau deswegen ist ihre fehlende Repräsentation in den Medien ein Problem – vor allem für die geistige Gesundheit der Betroffenen. „[Das Ideal makelloser Haut] bestärkt den Glauben, wir, die ‚normalen‘ Konsument:innen, seien das Problem“, betont Lex. „Dadurch glauben wir, vielleicht einfach nicht genug Geld für Kosmetiktermine und Skincare-Produkte auszugeben. Uns wird vermittelt, dass haar-, pickel- und porenfreie Haut die Norm sei, und alles andere irgendwie ‚falsch‘. Klar wirkt sich das auf unsere geistige Gesundheit aus.“
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Deswegen wünscht sich Dr. Kluk eine gesündere Darstellung von Haut, vor allem in sozialen Netzwerken. Das könnte vielen Menschen den Druck der „perfekten“ Haut und die damit verbundene Selbstkritik nehmen. Zumindest werden Bewegungen wie skin positivity und skin neutrality, die die Liebe zur oder zumindest Zufriedenheit mit der eigenen Haut zelebrieren, immer beliebter, je mehr Zeit wir alle online verbringen.
Lex hat außerdem vor Kurzem den Real Skin Club (@therealskinclub) gelauncht. „Wir sind für all diejenigen offen, die Probleme mit ihrer Haut haben, einen friedlichen Umgang mit ihr lernen oder generell ihre Individualität feiern wollen“, erklärt sie. „Der ganze Content sowie unsere Produkte werden von Menschen kreiert, die selbst Hautprobleme haben. Wir wollen authentische Geschichten erzählen – und du bist so viel mehr als dein Aussehen.“
Du brauchst noch mehr skin positivity auf Instagram? Neben Lex gehen auch Kali Kushner, Kadeeja Sel Khan, Krista und P auf der Plattform erfrischend ehrlich mit ihrer eigenen Haut um.
Es ist wichtig, realistisch zu bleiben
Dr. Kluk, die selbst früher mit Akne zu kämpfen hatte, betont, dass ein vernünftiger Umgang und kühler Kopf entscheidend sind, um deine Haut zu akzeptieren und lieben zu lernen. Natürlich ist das schwer, aber versuch, dich nicht mit anderen zu vergleichen – vor allem online. „Insbesondere, wenn die Bilder digital nachbearbeitet wurden“, sagt Dr. Kluk. „Das kann einen wahnsinnig schlechten Einfluss auf dein eigenes Körperbild haben. Und je mehr Bilder wir von uns selbst posten, desto mehr Zeit verbringen wir damit, uns selbst durch die Augen anderer zu sehen – und zu verurteilen.“
Wenn du allerdings psychisch oder auch körperlich unter deinen Hautproblemen leidest, solltest du dir unbedingt professionelle Hilfe suchen, rät Dr. Kluk. „Vor allem, wenn deine Haut juckt, schmerzt, vernarbt oder an deinem Selbstbewusstsein kratzt“, meint sie. „Der richtige Rat und die richtige Behandlung können dir langfristig viel unnötiges Leid ersparen. Dein Hausarzt oder deine Hausärztin ist eine gute erste Anlaufstelle“, sagt sie. „Wenn dir dort nicht geholfen werden kann, können sie dich an eine:n Dermatolog:in weiterleiten.“ Wenn dich deine Hautprobleme allerdings kaum belasten und du sie daher lieber selbst (oder gar nicht) behandelst, ist das natürlich auch völlig in Ordnung, meint Dr. Kluk. „Wichtig ist nur, dass du weißt: Dir Hilfe zu holen, ist kein Zeichen von Schwäche.“
Der Trend zu strahlender Haut wird uns wohl so schnell nicht verlassen – aber ich habe den Eindruck, dass wir ihn inzwischen stärker hinterfragen. Und ich muss gestehen, dass ich mich wie eine Elster vermutlich immer von einem neuen Skincare- oder Make-up-Produkt beeindrucken lassen werde, das mich in einen wandelnden Spiegel zu verwandeln verspricht. Aber zumindest versuche ich, meine Haut an den Tagen nicht zu hassen, an dem sie mir nicht das zeigt, was die Gesellschaft von ihr erwartet: absolute, unmögliche, absurde Makellosigkeit.
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