Jahrelang betrachtete ich mich selbst als unbeholfene Einzelgängerin. Und es stimmt auch, dass ich selbst meine erste Freundin war – und sogar eine extrem gute. Schon von früh an war ich gerne allein. Über Stunden hinweg genoss ich die Einsamkeit, verlor mich in meiner Fantasie und las jedes Buch, das ich in die Finger bekam. Als Erwachsene liebte ich es dann, auf „Solo-Dates“ zu gehen und meine Zeit in süßen Cafés mit gemütlichen, versteckten Sitzecken, bei Buchvorstellungen, in Kunstgalerien, Museen und Spas zu verbringen.
Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich lieber allein als in Gesellschaft war. Ich sehnte mich trotzdem nach Nähe und Verbindung. Mir ging es aber darum, die Freude und Erfüllung – und Romantik – aus meiner Beziehung mit mir selbst in alle anderen Beziehungen zu übertragen, inklusive der platonischen.
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Wenn wir von Freundschaft sprechen, ist Romantik normalerweise kein Thema. Genau deswegen wird eine Freundschaft oft als „unbedeutender“ als eine Liebesbeziehung angesehen – und daher fühlen wir uns oft gar nicht dazu ermutigt, Freundschaften zu knüpfen, die die eigenen Bedürfnisse nach Nähe und Intimität stillen.
Für mich waren Freundschaften und romantische Beziehungen aber schon immer untrennbar miteinander verbunden. Ich erwarte von meinen Beziehungen, dass sie auf einer tiefen, innigen Freundschaft aufbauen. Ich wünsche mir Intimität und Liebe in meinen Freundschaften. Und ich ziehe keines dem anderen vor.
Als queere Frau existiert meine Identität ohnehin schon außerhalb gesellschaftlicher Normen; daher hatte ich schon immer das Gefühl, machen zu können, was ich möchte. In meinen Freundschaften drücke ich mich selbst daher offener und verwundbarer aus. Das heißt, dass ich darin vieles mache, das üblicherweise mit Romantik verbunden wird. Zum Beispiel kuschle ich mit meinen Freund:innen, schicke ihnen liebe Geschenke und erkläre ihnen ganz ehrlich meine tiefe Zuneigung. Heute kann ich mit Stolz sagen (und das tue ich auch gegenüber allen, die es interessiert): Ich bin total in meine Freund:innen verliebt.
Obwohl meine queeren Freundschaften vielleicht nicht der modernen Vorstellung einer platonischen Beziehung entsprechen, kommen sie dem historischen Konzept einer „romantischen Freundschaft“ doch ziemlich nahe. Der Begriff tauchte im Laufe des 19. Jahrhunderts auf und beschreibt Freundschaften, deren körperliche Nähe und emotionale Intimität einer damaligen romantischen Beziehung ähnelte – obwohl sie typischerweise von nicht-sexueller Natur waren. Romantische Freundschaften erlauben es mir, selbst als Single all meine Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, und das hat auch meinen Blick auf meine nicht-platonischen Beziehungen verändert.
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Lange bevor zum Beispiel meine letzte Partnerin und ich zum Paar wurden, waren wir befreundet. Es war keine Liebe auf den ersten Blick – ein Phänomen, an das ich nicht glaube –, aber es machte doch irgendwie „Klick“. Wir verstanden einander sofort, und unsere romantische Freundschaft wurde schnell tiefer.
Wie viele meiner Freundschaften war auch diese von kleinen, liebevollen Gesten geprägt: Sie kaufte mir Blumen, um sich bei mir zu entschuldigen, nachdem ich mich darüber aufgeregt hatte, dass sie bei unserem letzten Treffen zu spät gekommen war. Als jemand aus ihrer Familie starb, holte ich mir den Schlüssel für ihre Wohnung und machte da sauber, damit sie nach ihrer Rückkehr von der Beerdigung eine Sorge weniger hatte. Wenn eine von uns eine wichtige Präsentation bei der Arbeit hatte, schickte die andere eine Lieblings-Süßigkeit oder eine aufmerksame Nachricht rüber. Wir aßen zusammen bei Kerzenschein und verbrachten dann Stunden mit Brettspielen. Wir verabredeten uns für Gesichtsmasken-Abende, wanderten bei Sonnenuntergang und trafen uns mit gemeinsamen Freund:innen für Picknick-Konzerte.
Schließlich verliebten wir uns ineinander, als wir entdeckten, dass da noch eine Ebene zwischen uns war, die tiefer ging als unsere Freundschaft. Abgesehen von unserer starken Chemie war sie auch zu dem Menschen geworden, den ich zuerst anrufen wollte, wenn etwas Tolles oder Schlimmes passierte. Wenn ich mir mein zukünftiges Leben und Zuhause vorstellte, sah ich darin zum ersten Mal auch jemand anderen: sie. Trotz all ihrer Macken, energischen Meinungen und ihrer nicht enden wollenden Neugier wollte ich „das Leben“ mit ihr „machen“.
Als wir dann zusammenkamen, behielten wir uns unsere romantische Freundschaft, und ich investierte auch noch genau so viel Zeit in meine anderen Freundschaften. Das Einzige, was sich zwischen uns veränderte, war, dass wir jetzt eine gemeinsame Zukunft zu planen begannen. Während wir uns aber zusammen eine Zukunftsvision zu erschaffen versuchten, bemerkten wir doch einige große Inkompatibilitäten – und fanden uns irgendwann in einer Sackgasse wieder. Also trennten wir uns, und obwohl dieser Übergang alles andere als nahtlos ablief, half uns unsere zugrundeliegende romantische Freundschaft enorm dabei, selbst während der Trennung gut zueinander zu sein.
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Wir hatten einander schon immer viel Liebe geschenkt, und waren immer radikal ehrlich gewesen. Wir hatten unser Bestes gegeben, ganz klar zu kommunizieren. Das hieß, dass wir auch jetzt lieb miteinander umgehen konnten, ohne uns Sorgen um Missverständnisse machen zu müssen. Keine von uns musste hinterfragen, was die andere gerade dachte. Wir hatten keine Probleme damit, einander um Freiraum und Zeit zu bitten, um die Trennung zu verarbeiten – ohne Angst zu haben, einander nie wiederzusehen. Genau wegen dieser Offen- und Klarheit sind wir heute immer noch befreundet, und daher fühle ich mich in dieser Freundschaft weiterhin sicher.
Bei Gesprächen darüber, ob aus einer Freundschaft womöglich mehr werden könnte, geht es immer wieder um das Risiko, diese Freundschaft zu verlieren, wenn’s romantisch nicht klappt. Die Sorge ist berechtigt; aber ich glaube, ein Grund für den Verlust einer Freundschaft nach einer Trennung ist der, dass wir von romantischen Partner:innen ganz anderes (und mehr) erwarten als von unseren Freund:innen. Wenn wir beide als unterschiedlich wichtig betrachten, geben wir dabei einen Teil der Verantwortung auf, uns um unsere Freund:innen zu kümmern und sie zu lieben.
Wo eine romantische Beziehung vielleicht sagt: „Ich sorge für deine Sicherheit und drücke dir meine Zuneigung aus, weil wir zusammen sind“, heißt eine romantische Freundschaft: „Ich sorge für deine Sicherheit und drücke dir meine Zuneigung aus, weil wir befreundet sind, selbst wenn wir nicht zusammen sind.“ Die Liebe bleibt – selbst wenn die Beziehung endet.
Meinen Freundschaften Romantik einzuhauchen hat meine Perspektive auf platonische und nicht-platonische Beziehungen so verändert, dass ich jetzt auf jeden Fall immer alles bekomme, was ich mir wünsche – ob ich nun vergeben bin oder nicht. Momentan bin ich Single, weiß aber auch, dass ich nicht bis zu meiner nächsten Beziehung warten muss, um einen Überraschungs-Blumenstrauß, eine süße E-Mail oder einen lieben Brief zu verschicken oder zu bekommen. Wenn ich mich einsam fühle und nicht einschlafen kann, kann ich jederzeit eine:n Freund:in anrufen, der:die dann vorbeikommt und mit mir kuschelt. Und obwohl wir uns immer noch ans Social Distancing halten, sind diese Freundschaften immer dazu bereit, mich mit offenen Armen zu lieben – aus der Nähe, aus der Ferne, wann immer ich sie gerade brauche.
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