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Ich hatte 3 Jahre keinen Sex & bin dafür so dankbar

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich seit drei Jahren keinen Sex hatte, ist die Reaktion darauf meist erstmal überraschtes Schweigen, während mein Gegenüber versucht, mich zu durchschauen. Manche betrachten das als eine Art Herausforderung und versichern mir augenzwinkernd, sie könnten das ganz schnell ändern – wenn ich will, sogar direkt heute Nacht. Andere reagieren auf meine Verkündung mit gut gemeinten Ratschlägen: Vielleicht könnte ich ja einfach Geld für Sex bezahlen? Oder mich mal eben durch Tinder swipen? Und dann sind da noch diejenigen, die mich fragen: „Hast du’s denn wenigstens versucht?“ – Als sei diese Enthaltsamkeit total okay, solange sie meine Absicht ist, aber besorgniserregend, wenn nicht.
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Ich würde an diesem Punkt gern klarstellen, dass ich nie ein Zölibatsgelübde abgelegt habe – im Gegenteil. Meine sexfreie Phase begann total unabsichtlich. Wie viele andere auch hatte ich während der Pandemie sehr viel Zeit zum Nachdenken. Ich war den Großteil meines ersten Jahrzehnts als Erwachsene über Single und hatte bis zu Corona ein (meiner Meinung nach) ziemlich gesundes, aktives Sexleben. Als ich im Lockdown aber länger drüber nachdachte, wurde mir klar, dass mir das eigentlich nie wirklich gefallen hatte.
Sex war für mich immer eine Art Wettbewerb. Als ich als Teenagerin hörte, dass eine meiner Freundinnen ihre erste sexuelle Erfahrung gemacht hatte, tat ich es ihr schnell gleich. Meine ersten sexuellen Kontakte empfand ich demnach eher als etwas, was ich „hinter mich bringen“ wollte – ich wollte das Wettrennen eben nicht verlieren. Von da an wurde mein Sexleben für mich zu einem Spiel, und ich fing an, mein Selbstwertgefühl von meiner sexuellen Erfahrung abhängig zu machen. Sexuelle Durststrecken wollte ich schnellstmöglich beenden, und meine Partner suchte ich mir vor allem anhand ihres Aussehens aus. Ich schäme mich nicht dafür zuzugeben, dass ich dabei nur diejenigen aussuchte, die mich „cool“ wirken ließen: den Frontsänger, den tätowierten Typen. Wann immer ich einen festen Freund hatte, war das für mich anfangs total aufregend – aber nicht lange. Mir wurde schnell langweilig, und meist verlor ich das Interesse an diesen Männern, weil mein erster Eindruck von ihnen nicht ihrer echten Persönlichkeit entsprach. Ich war quasi süchtig danach, alle sexuellen Erfahrungen auf meiner „To-do-Liste“ abzuhaken und mir auf die Art selbst zu beweisen, wie attraktiv ich doch war. Ich war stolz darauf, jeden Typen zu bekommen, den ich haben wollte (sogar die vergebenen). Ich war nur selten auf Sex aus, der mir wirklich gefiel.
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In all den Jahren, während der ich mich selbst als sexuell sehr offenen Menschen betrachtet hatte, hatte ich nie gelernt, meine Bedürfnisse zu kommunizieren oder meine eigene Lust zu priorisieren. 

Im Laufe des Lockdowns und der vielen Monate, die ich demnach in meinen eigenen vier Wänden verbringen musste, wurde mir aber klar, dass ich trotz meiner zahlreichen Sexualpartner an einer Hand abzählen konnte, wie viele Orgasmen ich in meinem Leben schon in Gesellschaft gehabt hatte. Was hatte mir dieser ganze Sex gebracht? Nicht viel – abgesehen von der Fähigkeit, geistig komplett abzuschalten, bis der Akt vorüber war. In all den Jahren, während der ich mich selbst als sexuell sehr offenen Menschen betrachtet hatte, hatte ich nie gelernt, meine Bedürfnisse zu kommunizieren oder meine eigene Lust zu priorisieren. Begehrenswert zu wirken war mir wichtiger gewesen, als mich von meiner Leidenschaft führen zu lassen.
Meine unabsichtliche Enthaltsamkeit hat mich dazu gebracht, die wenigen Gelegenheiten zum Sex kritischer zu betrachten, die sich mir in den letzten paar Jahren eröffnet haben. Weil ich früher während der meisten sexuellen Kontakte betrunken war, habe ich jetzt immer freundlich abgelehnt, wenn ich zu voll war, um wirklich Spaß daran haben zu können. Ich will nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen und bloß Ja sagen, nur um jemandes Interesse zu behalten und mich dann beim Sex mental völlig auszuklinken. Ich weiß heute, dass ich mich nach diesen sexuellen Kontakten nur wegen der kurzzeitigen Aufmerksamkeit sehnte – und wegen meines Selbstwertgefühls. Ich brauchte die Bestätigung. Das sorgte aber letztlich dafür, dass ich nie eine wirkliche emotionale Bindung einging oder ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelte.
Ich kann endlich nachempfinden, was manche Leute fühlen, bevor sie sich dazu entschließen, zum allerersten Mal mit jemandem zu schlafen. Ich bin viel wählerischer denn je. Ich bin mir total bewusst, wann ich mich wohl fühle und wann nicht – und das war mir früher egal. Ich will nur Leute auswählen, bei denen ich mich auf den Sex freue – die geduldig mit mir sind, es langsam angehen lassen, wenn ich es brauche, und zwischendurch auch mal nachfragen, ob alles gut ist, anstatt es einfach durchzuziehen. Natürlich haben die Jahre der distanzierten und gleichgültigen sexuellen Kontakte bei mir dafür gesorgt, dass mir diese neue Form der Intimität eine enorme Angst einflößt. Ich dachte früher, nur Sex allein könne mich meinem auserwählten Partner näher bringen; heute weiß ich, dass der Akt allein noch keine Intimität schafft, und dass es eine aktive Entscheidung ist, sich jemandem sexuell zu öffnen.
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Mich selbst beim Dating zur Priorität zu machen, ist eine viel größere Herausforderung, als es nur für meinen Selbstwert zu tun. Trotz dessen, was mir viele Leute in den letzten Jahren glaubhaft machen wollten, ist es nicht so leicht – ich kann mich nicht einfach Hals über Kopf in den Dating-Pool stürzen. Stattdessen muss ich gewillt sein, mich verletzlich zu machen, zu kommunizieren und den Mund aufzumachen, wenn mir etwas nicht (mehr) gefällt, anstatt mich einfach in meinen Kopf zurückzuziehen. Das heißt nicht, dass ich jetzt zwangsläufig nach etwas Ernstem suche; sondern, dass ich mich von einem sexuellen Kontakt heute erhoffe, dass er uns beiden Spaß macht und wir einander respektieren und aufeinander eingehen, selbst bei einem One-Night-Stand. So etwas zu finden ist viel schwieriger, als einfach auf Teufel komm raus mit irgendwem zu schlafen.
Es war nicht leicht, mir Zeit dabei zu lassen, meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse herauszufinden und meine komplizierte Beziehung zu meiner Lust zu verstehen. Ich habe aber begriffen, dass eine Vielzahl sexueller Partner:innen nicht automatisch bedeutet, dass du genau weißt, was du dir beim Sex wünschst. In mancher Hinsicht hat mich meine Phase der Enthaltsamkeit viel mehr über meine Lust gelehrt, als es Sex allein jemals geschafft hat.
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