„Selbsterhaltung ist eine Vollzeitbeschäftigung.“ – Ani DiFranco, Talk To Me Now, 1990
Ich denke viel darüber nach, was ich tun „sollte“. Meine Gedanken kreisen darum, was alleinstehende Frauen machen sollten und wie sie sein sollten. Gut gemeinte Ratschläge und all diese Dos and Don'ts können sich aber irgendwann wie ein Käfig anfühlen und damit anfangen, dir regelrecht die Luft abzuschnüren.
Single-Frauen sollten mit ihrer Wut hinterm Berg halten. Das muss ich mir die ganze Zeit von Freund:innen und Familienmitgliedern anhören und werde außerdem ständig im Kommentarbereich daran erinnert.
„Kein Wunder, dass sie Single ist. Schau, wie sauer sie ist.“
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„Wow, jemand ist aber ganz schön verärgert.“
„Mit so einer ‚miesen Einstellung‘ wirst du nie jemanden kennen lernen.“
Überrascht oder schockiert dich meine Wut? Das sollte sie nicht. Ich war einmal mit einem Mann aus, der mir sagte, ich hätte zu viel zu allem zu sagen. Ich datete Typen, die sich andere Frauen suchten, als ich übers Wochenende verreiste. Ich hatte Dates mit „geschiedenen“ Männern. Ich habe mich buchstäblich mit Hunderten von Männern verabredet und ihnen Nachrichten geschickt, auf die sie einfach nie geantwortet haben. Seit elf Jahren bin ich jetzt schon Single und auf der Suche nach meiner besseren Hälfte. In all dieser Zeit – trotz all der Verabredungen und meiner Bemühungen – ist nie, nicht ein einziges Mal, etwas Positives dabei rausgekommen.
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So viel vergeudete Zeit würde jeden Menschen in Rage bringen.
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So viel vergeudete Zeit würde jeden Menschen in Rage bringen. Dabei ist Wut aber nur die Spitze des Eisbergs. Furchtbare Dating-Erfahrungen haben mich so oft dazu gebracht, Männer und das Single-Dasein zu verfluchen und mich ohne Ende darüber zu ärgern, wie beschissen doch alles ist. Trotzdem versuche ich es aber immer wieder aufs Neue – und am Ende bekomme ich im Gegenzug nie etwas Gutes zurück. Warum?
Natürlich bin ich sauer, aber als Single-Frau darf ich es nicht sein. Das würde Männer doch nur abschrecken, nicht wahr? Und das Ziel ist es ja schließlich, Männer anziehen, stimmt’s oder stimmt’s?
Um einen Mann an Land zu ziehen, soll ich zufrieden wirken, fröhlich rüberkommen und gut gekleidet sein. Die Liste mit Erwartungen an mich ist damit noch lange nicht zu Ende. Außerdem sind nämlich folgende Eigenschaften Pflicht: dünn sein – aber nicht zu dünn; erfolgreich sein –aber nicht erfolgreicher als der Mann, den ich date; witzig sein, aber nicht witziger als er; freundlich, selbstlos und natürlich sein; verliebt sein – es muss sich aber in Maßen halten, da ich ihn sonst verscheuchen könnte; süß, nachdenklich, geistig anregend, aufregend und spontan sein – aber nur ein bisschen, damit ich nicht zu chaotisch wirke; toll im Bett sein und einen gesunden, aber nicht zu gesunden Sexualtrieb haben und zuletzt auch noch super hübsch sein. Wenn's sonst nichts weiter ist...
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Wütend zu sein gehört aber nicht zu diesen Anforderungen. Ich darf mich nicht darüber ärgern, dass es all diese Erwartungen an mich gibt. Schon gar nicht darf ich sauer darüber sein, dass es mir nichts, absolut gar nichts, gebracht hat, mir ein Bein auszureißen, um diesen Erwartungen gerecht zu werden, oder? Ich muss meine Wut über Bord werfen, sonst werde ich ja schließlich nie einen Mann kennenlernen.
Eine Freundin hat mir folgende Geschichte erzählt: Sie brachte ein Date zur Hochzeit ihrer besten Freundin mit. Diese fand an einem sonnigen Ort voller Palmen und sternenklarer Nächte statt. Sie waren schon eine Weile zusammen gewesen – nicht super lange, aber lange genug, um ihn zu dieser Veranstaltung am anderen Ende des Landes einzuladen. Er stellte sich als die perfekte Begleitung heraus: Sie musste nicht darauf achten, was er vor ihren Freund:innen tun oder sagen würde, da er alles im Griff hatte. Er brachte sogar der Braut Wasser, als sie beim Tanzen ins Schwitzen geriet. Im Nu gewann er alle Herzen für sich und bestand die Feuerprobe. In seiner Anwesenheit fühlte sie sich wohl, war zuversichtlich und glücklich.
Nach dieser Hochzeitsfeier, als sie sich im Taxi auf dem Weg zurück zum Hotel befanden, hielt er aber plötzlich mitten beim Knutschen inne, um ihr zu gestehen, dass er eine Freundin hatte.
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Wenn du Single bist und datest, führt einfach kein Weg an Wut vorbei. Zufrieden zu sein, ist die eigentliche Überraschung.
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Das ist die Dating-Welt, in der wir leben. Das ist aber bloß eine Geschichte von Tausenden ähnlicher Storys. Deshalb ziehe ich es manchmal vor, einfach zu Hause zu bleiben, denn ehrlich gesagt: Single zu sein ist einfach. Das Daten ist die eigentliche Herausforderung. Zu versuchen, jemanden zu finden, ist kein Spaziergang und das, was uns wütend macht und sich grausam und gnadenlos unfair anfühlt. Das ist der Grund, warum ich so viel Zeit damit verbringe, mich dafür stark zu machen, das Single-Dasein schätzen zu lernen. Wenn wir zwanghaft versuchen, unseren Single-Status loszuwerden, weil es uns die Gesellschaft vorschreibt, widerfahren uns so beschissene Situationen wie dieser Dating-Albtraum meiner Freundin. Dann geraten wir in Rage – und dann wird uns gesagt, dass wir das sein lassen sollten.
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Wenn du Single bist und datest, führt einfach kein Weg an Wut vorbei. Zufrieden zu sein, ist die eigentliche Überraschung.
Die einzigen zwei Bewältigungsmechanismen, die mir als alleinstehende Frau jemals dabei geholfen haben, mich besser zu fühlen, sind folgende: Erstens habe ich erkannt, dass es völlig in Ordnung ist, Single zu sein. Meine Schamgefühle oder Traurigkeit in Bezug auf meinen Single-Status haben mit gesellschaftlichen Einflüssen zu tun – nicht mit dem, was ich in meinem Inneren tatsächlich denke oder fühle. Und zweitens: Es kann schon passieren, dass ich wütend werde. Ich erkenne an, dass das, was mir und Frauen in meiner Situation passiert, nicht richtig oder fair ist und nicht etwas ist, das wir beschönigen müssen, um ja nicht sauer rüberzukommen. Das bin ich halt nun mal: wütend. Und ich habe jedes Recht dazu.
Ich will mich gar nicht auf Diskussionen darüber einlassen, was eine Frau fühlen sollte oder nicht. Ich lache über Leute, die mir sagen, dass ich mich nicht ärgern soll, weil ich mir dann immer vorstelle, wie sie sich an meiner Stelle fühlen würden. Ich denke daran, wie es ihnen ergehen würde, wenn ich ihnen sagen würde, dass sie alles, was ihnen in elf Jahren Single-Dasein jemals gesagt oder angetan wurde, mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln hinnehmen sollten.
Wir haben eine Dating-Welt geschaffen, in der sich Frauen verabreden, um jemanden zum Heiraten zu finden, und Männer daten, um zu daten. Es gibt keine Konsequenzen für Männer, die Frauen beim Dating schrecklich behandeln. Als Frauen wird von uns erwartet, unsere Hoffnung und unseren Optimismus zu bewahren und das Daten verdammt noch mal nicht aufzugeben. Wenn wir anders reagieren, werden wir als zu wütend wahrgenommen. Ghosting, Lügen, falsche Versprechungen, obszöne Fotos und Nachrichten – nichts davon hat wirklich Folgen für Männer. Na, auch schon wütend?
Ich verdiene es, sauer zu sein. Ich versuche meine Wut auch durch gesunde Angewohnheiten zu verarbeiten. Das können die Leute, die Kommentare darüber hinterlassen, wie wütend ich doch sei und wie schrecklich meine Artikel doch wären und wie ich von der Tatsache „besessen“ zu sein scheine, dass ich Single bin, aber nicht sehen. Ich bin wütend, na und? Was zum Teufel wärst du an meiner Stelle?
Ich schreibe diese Beiträge aber nicht für Leute, die sich in meine Lage versetzen sollen. Sie sind für jene Frauen gedacht, die bereits diesen Punkt erreicht haben: Diejenigen von uns, die wissen, wie sich das anfühlt und vielleicht eine freundliche Erinnerung daran gebrauchen können, dass es okay ist, diese Gefühle zu haben. Ich will ihnen vor Augen führen, dass sie diese Emotionen nicht zu unterdrücken brauchen, solange sie sich dabei jedoch nicht einsam fühlen.
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